Für 365 Euro durch den Südwesten
Land will ab März mit günstigem Jugendticket den ÖPNV stärken
STUTTGART - Einen Euro pro Tag. Mehr sollen junge Menschen in Baden-Württemberg bald nicht mehr ausgeben müssen, um im gesamten Land mit Bus und Bahn zu fahren. Im kommenden März startet das Angebot für Schüler, Studenten und Azubis landesweit. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was ist im Jugendticket alles enthalten?
Laut baden-württembergischen Verkehrsministerium richtet sich das neue Ticket an zwei Zielgruppen: zum einen an Jugendliche unter 21 Jahren, zum anderen an Schüler, Azubis und Studenten bis zum 27. Lebensjahr. Für 365 Euro im Jahr können sie alle jeden Tag und rund um die Uhr die Busse, Straßenbahnen oder Regionalzüge im Südwesten nutzen. Die einzigen Voraussetzungen: Der Hauptwohnsitz oder die Hochschule muss in Baden-Württemberg liegen.
Das Ticket gilt in allen 21 Verkehrsverbünden im Land – ausgenommen ist nur der Fernverkehr, also eine Fahrt mit dem ICE oder IC. Allerdings ist das Jugendticket bislang nur als Jahreskarte geplant, erhältlich an den Verkaufsstellen der Verkehrsverbünde oder im Internet.
Was erhofft sich die Landesregierung vom Jugendticket?
Einerseits will das Land junge Menschen und ihre Familien mit dem 365Euro-Ticket finanziell entlasten. „Andererseits werden damit junge Menschen bereits früh für den ÖPNV gewonnen, und das in einer Lebensphase, die das Mobilitätsverhalten für das ganze Leben prägt“, sagt ein Sprecher des baden-württembergischen Verkehrsministers Winfried Hermann (Grüne). Der ÖPNV soll so zum attraktivsten Verkehrsmittel für junge Leute in Baden-Württemberg werden.
Kollidiert das Jugendticket nicht mit dem 49-Euro-Ticket?
„Hier gibt es keine Kollision“, heißt es aus dem Verkehrsministerium. Der genaue Einführungszeitpunkt und die Randbedingungen des Deutschlandtickets seien aktuell noch nicht abschließend klar. Zudem liege zwischen dem Deutschlandticket und dem Jugendticket ein Preisabstand von jährlich 223 Euro. „Das Deutschlandticket kann deswegen kein Ersatz für das landesweite Jugendticket sein“, so der Sprecher.
Wie das Jugendticket für BadenWürttemberg in ein möglicherweise schon ab April verfügbares Deutschlandticket integriert werden kann, sei aktuell noch nicht abzusehen. Das sei noch Verhandlungsgegenstand
zwischen Bund und Ländern, wie das Verkehrsministerium auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mitteilt.
Der verkehrspolitische Sprecher der SPD im Landtag, Hans-Peter Storz, glaubt schon, dass das bundesweite Ticket für einige Jugendlichen interessanter als das 365-Euro-Ticket sein kann. Er will, dass das Jugendticket ebenfalls deutschlandweit gilt. „Deswegen ist es Aufgabe der Landesregierung, bis zum Start des 49Euro-Tickets nach Möglichkeiten der Umsetzung zu suchen und sie auch zu finanzieren“, erklärt er.
Das Verkehrsministerium geht davon aus, dass sich trotz der Konkurrenz des 49-Euro-Tickets viele junge Menschen für das Jugendticket im Südwesten entscheiden werden. „Der Großteil der Bezugsberechtigten ist in erster Linie im direkten Wohnumfeld mobil. Die bundesweite Gültigkeit dürfte daher nur für einen kleinen Anteil der Jugendlichen ein zusätzlicher Anreiz sein“, betont Hermanns Sprecher.
Was sagen Beobachter?
Die Verkehrsverbände begrüßen das 365-Euro-Angebot für Jugendliche. „Aus unserer Sicht ist es ganz wichtig, dass Jugendliche jetzt durch das Ticket eine Alternative zum Auto sehen“, sagt Matthias Lieb, Landesvorsitzender des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD) in Baden-Württemberg. Mit der neuen Fahrkarte hätten Jugendliche und junge Erwachsene eine echte Chance, mit dem ÖPNV mobil zu sein. „Das könnte ein echter Ersatz fürs
Mama-Taxi sein“, so Lieb. Der VCDLandesvorsitzende ist sich sicher, dass das Ticket auch im ländlichen Raum nachgefragt sein wird. „Vor allem für die Schüler auf dem Land, die mit dem Bus zur Schule fahren“, erklärt Lieb. Für sie sei das Jugendticket – im Vergleich zu ihrer Schülermonatskarte – in den meisten Fällen billiger und weite das Angebot nun sogar enorm aus.
Auch Joachim Barth vom Fahrgastverband PRO BAHN ist mit dem 365-Euro-Tickett zufrieden. „Das ist für die junge Zielgruppe eine schöne Sache. Ich denke, dass es auch gut anlaufen wird“, so Barth. Allerdings gibt er zu bedenken, dass die neue Fahrkarte für Menschen, die in Grenzgebieten zu anderen Bundesländern wohnen, weniger interessant sein könnte. „Es ist natürlich nicht so attraktiv, wenn man gerne öfter mal in die andere Richtung will“, so Barth.
Was kostet das Ticket für das Land?
Baden-Württemberg übernimmt 70 Prozent der anfallenden Kosten. Insgesamt stehen für das Jugendticket bis zum Jahr 2025 rund 327 Millionen Euro zur Verfügung. Das Geld dafür ist vom Haushalt schon genehmigt. Das Land geht nicht von nennenswerten Einsparungen aus, wenn sich nun mehr Menschen direkt für das bundesweite 49-Euro-Ticket anstelle des Jugendtickets entscheiden, „zumal sich Einsparungen im Einzelfall an der Stelle des Jugendtickets durch Ausgaben an der Stelle des Deutschlandtickets
wieder aufheben dürften“, erklärt Hermanns Sprecher.
Welche Kritik gibt es?
„Das 365-Euro-Jugendticket erachten wir als nicht zielführend“, sagt Hans Dieter Scheerer, Sprecher für den ÖPNV in der FDP-Fraktion im Landtag. Es entziehe dem öffentlichen Nahverkehr notwendige Gelder. „Die Kosten laufen im ÖPNV davon und hier soll eine Flatrate von einem Euro pro Tag auf Dauer festgeschrieben werden“, so Scheerer. Er trete dafür ein, die Attraktivität des ÖPNV zu erhöhen, aber das passiere vor allem durch größere Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Sicherheit und attraktive Reisezeiten. „Niemand benutzt Bus und Bahn, wenn die Reisezeiten unverhältnismäßig länger und mit zahlreichen Umstiegen versehen sind“, so Scheerer. Es handele sich um Symbolpolitik, die Qualität und Angebot nicht verbessert, sondern unter erheblichem Einsatz von Steuergeldern vermeintliche Geschenke verteile. Die Sozialdemokraten begrüßen zwar das Jugendticket, bemängeln aber, dass sich das günstige Ticket nur auf junge Erwachsene beschränkt. „Nicht nur junge Menschen leiden unter den erheblichen Preissteigerungen“, sagt SPD-Mann Storz. Er fordert eine Ausweitung des Jugendtickets zu einem allgemeinen Solidarticket – auch für Menschen mit wenig Geld und für Rentner. „Das ist eine verpasste Chance“, so Storz. Außerdem sei die dauerhafte Finanzierung des Jugendtickets über 2025 hinaus noch nicht gesichert.