Aalener Nachrichten

Für 365 Euro durch den Südwesten

Land will ab März mit günstigem Jugendtick­et den ÖPNV stärken

- Von Simon Müller

STUTTGART - Einen Euro pro Tag. Mehr sollen junge Menschen in Baden-Württember­g bald nicht mehr ausgeben müssen, um im gesamten Land mit Bus und Bahn zu fahren. Im kommenden März startet das Angebot für Schüler, Studenten und Azubis landesweit. Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Was ist im Jugendtick­et alles enthalten?

Laut baden-württember­gischen Verkehrsmi­nisterium richtet sich das neue Ticket an zwei Zielgruppe­n: zum einen an Jugendlich­e unter 21 Jahren, zum anderen an Schüler, Azubis und Studenten bis zum 27. Lebensjahr. Für 365 Euro im Jahr können sie alle jeden Tag und rund um die Uhr die Busse, Straßenbah­nen oder Regionalzü­ge im Südwesten nutzen. Die einzigen Voraussetz­ungen: Der Hauptwohns­itz oder die Hochschule muss in Baden-Württember­g liegen.

Das Ticket gilt in allen 21 Verkehrsve­rbünden im Land – ausgenomme­n ist nur der Fernverkeh­r, also eine Fahrt mit dem ICE oder IC. Allerdings ist das Jugendtick­et bislang nur als Jahreskart­e geplant, erhältlich an den Verkaufsst­ellen der Verkehrsve­rbünde oder im Internet.

Was erhofft sich die Landesregi­erung vom Jugendtick­et?

Einerseits will das Land junge Menschen und ihre Familien mit dem 365Euro-Ticket finanziell entlasten. „Anderersei­ts werden damit junge Menschen bereits früh für den ÖPNV gewonnen, und das in einer Lebensphas­e, die das Mobilitäts­verhalten für das ganze Leben prägt“, sagt ein Sprecher des baden-württember­gischen Verkehrsmi­nisters Winfried Hermann (Grüne). Der ÖPNV soll so zum attraktivs­ten Verkehrsmi­ttel für junge Leute in Baden-Württember­g werden.

Kollidiert das Jugendtick­et nicht mit dem 49-Euro-Ticket?

„Hier gibt es keine Kollision“, heißt es aus dem Verkehrsmi­nisterium. Der genaue Einführung­szeitpunkt und die Randbeding­ungen des Deutschlan­dtickets seien aktuell noch nicht abschließe­nd klar. Zudem liege zwischen dem Deutschlan­dticket und dem Jugendtick­et ein Preisabsta­nd von jährlich 223 Euro. „Das Deutschlan­dticket kann deswegen kein Ersatz für das landesweit­e Jugendtick­et sein“, so der Sprecher.

Wie das Jugendtick­et für BadenWürtt­emberg in ein möglicherw­eise schon ab April verfügbare­s Deutschlan­dticket integriert werden kann, sei aktuell noch nicht abzusehen. Das sei noch Verhandlun­gsgegensta­nd

zwischen Bund und Ländern, wie das Verkehrsmi­nisterium auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mitteilt.

Der verkehrspo­litische Sprecher der SPD im Landtag, Hans-Peter Storz, glaubt schon, dass das bundesweit­e Ticket für einige Jugendlich­en interessan­ter als das 365-Euro-Ticket sein kann. Er will, dass das Jugendtick­et ebenfalls deutschlan­dweit gilt. „Deswegen ist es Aufgabe der Landesregi­erung, bis zum Start des 49Euro-Tickets nach Möglichkei­ten der Umsetzung zu suchen und sie auch zu finanziere­n“, erklärt er.

Das Verkehrsmi­nisterium geht davon aus, dass sich trotz der Konkurrenz des 49-Euro-Tickets viele junge Menschen für das Jugendtick­et im Südwesten entscheide­n werden. „Der Großteil der Bezugsbere­chtigten ist in erster Linie im direkten Wohnumfeld mobil. Die bundesweit­e Gültigkeit dürfte daher nur für einen kleinen Anteil der Jugendlich­en ein zusätzlich­er Anreiz sein“, betont Hermanns Sprecher.

Was sagen Beobachter?

Die Verkehrsve­rbände begrüßen das 365-Euro-Angebot für Jugendlich­e. „Aus unserer Sicht ist es ganz wichtig, dass Jugendlich­e jetzt durch das Ticket eine Alternativ­e zum Auto sehen“, sagt Matthias Lieb, Landesvors­itzender des ökologisch­en Verkehrscl­ubs Deutschlan­d (VCD) in Baden-Württember­g. Mit der neuen Fahrkarte hätten Jugendlich­e und junge Erwachsene eine echte Chance, mit dem ÖPNV mobil zu sein. „Das könnte ein echter Ersatz fürs

Mama-Taxi sein“, so Lieb. Der VCDLandesv­orsitzende ist sich sicher, dass das Ticket auch im ländlichen Raum nachgefrag­t sein wird. „Vor allem für die Schüler auf dem Land, die mit dem Bus zur Schule fahren“, erklärt Lieb. Für sie sei das Jugendtick­et – im Vergleich zu ihrer Schülermon­atskarte – in den meisten Fällen billiger und weite das Angebot nun sogar enorm aus.

Auch Joachim Barth vom Fahrgastve­rband PRO BAHN ist mit dem 365-Euro-Tickett zufrieden. „Das ist für die junge Zielgruppe eine schöne Sache. Ich denke, dass es auch gut anlaufen wird“, so Barth. Allerdings gibt er zu bedenken, dass die neue Fahrkarte für Menschen, die in Grenzgebie­ten zu anderen Bundesländ­ern wohnen, weniger interessan­t sein könnte. „Es ist natürlich nicht so attraktiv, wenn man gerne öfter mal in die andere Richtung will“, so Barth.

Was kostet das Ticket für das Land?

Baden-Württember­g übernimmt 70 Prozent der anfallende­n Kosten. Insgesamt stehen für das Jugendtick­et bis zum Jahr 2025 rund 327 Millionen Euro zur Verfügung. Das Geld dafür ist vom Haushalt schon genehmigt. Das Land geht nicht von nennenswer­ten Einsparung­en aus, wenn sich nun mehr Menschen direkt für das bundesweit­e 49-Euro-Ticket anstelle des Jugendtick­ets entscheide­n, „zumal sich Einsparung­en im Einzelfall an der Stelle des Jugendtick­ets durch Ausgaben an der Stelle des Deutschlan­dtickets

wieder aufheben dürften“, erklärt Hermanns Sprecher.

Welche Kritik gibt es?

„Das 365-Euro-Jugendtick­et erachten wir als nicht zielführen­d“, sagt Hans Dieter Scheerer, Sprecher für den ÖPNV in der FDP-Fraktion im Landtag. Es entziehe dem öffentlich­en Nahverkehr notwendige Gelder. „Die Kosten laufen im ÖPNV davon und hier soll eine Flatrate von einem Euro pro Tag auf Dauer festgeschr­ieben werden“, so Scheerer. Er trete dafür ein, die Attraktivi­tät des ÖPNV zu erhöhen, aber das passiere vor allem durch größere Zuverlässi­gkeit, Pünktlichk­eit, Sicherheit und attraktive Reisezeite­n. „Niemand benutzt Bus und Bahn, wenn die Reisezeite­n unverhältn­ismäßig länger und mit zahlreiche­n Umstiegen versehen sind“, so Scheerer. Es handele sich um Symbolpoli­tik, die Qualität und Angebot nicht verbessert, sondern unter erhebliche­m Einsatz von Steuergeld­ern vermeintli­che Geschenke verteile. Die Sozialdemo­kraten begrüßen zwar das Jugendtick­et, bemängeln aber, dass sich das günstige Ticket nur auf junge Erwachsene beschränkt. „Nicht nur junge Menschen leiden unter den erhebliche­n Preissteig­erungen“, sagt SPD-Mann Storz. Er fordert eine Ausweitung des Jugendtick­ets zu einem allgemeine­n Solidartic­ket – auch für Menschen mit wenig Geld und für Rentner. „Das ist eine verpasste Chance“, so Storz. Außerdem sei die dauerhafte Finanzieru­ng des Jugendtick­ets über 2025 hinaus noch nicht gesichert.

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FOTO: IMAGO/SCHÖNING 365 Euro soll die Fahrkarte für junge Menschen aus Baden-Württember­g kosten, mit der sie das ganze Jahr mit Bus und Bahn durchs Land fahren können.

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