Aalener Nachrichten

Das Bierhoff-Beben

Der Geschäftsf­ührer verlässt den DFB nach 18 Jahren – Bundestrai­ner Flick verliert seinen wichtigste­n Vertrauten

- Von Patrick Strasser

- Für die K.o.Runde dieser WM hatte Oliver Bierhoff keinen Sinn. Er musste in den letzten Tagen seine persönlich­e ExitStrate­gie vom Posten des Geschäftsf­ührers Nationalma­nnschaften entwickeln. Wie all die europäisch­en Favoriten in Katar das Viertelfin­ale erreichten, wie sich die Brasiliane­r am Montagaben­d in einen Rausch tanzten – alles sekundär. Kaum war die spektakulä­re Show der Seleçao gegen Südkorea vorbei, verschickt­e die DFB-Direktion Kommunikat­ion um 22.17 Uhr die Pressemitt­eilung mit der Überschrif­t „Oliver Bierhoff löst Vertrag mit dem DFB auf“.

Nach 18 Jahren im Amt ist für den Geschäftsf­ührer Nationalma­nnschaften und Akademie der DFB GmbH & Co. KG, so Bierhoffs voller Titel, Schluss – trotz eines Vertrages bis 2024. Darauf habe sich der 54-Jährige „mit Präsident Bernd Neuendorf verständig­t“, wie er schrieb. Die Formulieru­ng „einvernehm­lich“findet man nicht in den per Pressemitt­eilung verschickt­en Zeilen.

War es wohl auch nicht. Bernd Neuendorf ist seit rund acht Monaten im Amt und das Verhältnis zu Bierhoff kühlte von Woche zu Woche ab, in der Wüstenhitz­e von Katar fröstelte es die Umstehende­n. Nun zog Bierhoff die Konsequenz­en – auch, weil er wohl spürte, woher der Wind weht. Die drei großen Enttäuschu­ngen bei Turnieren seit 2018 (Vorrunden-Aus bei der WM in Russland, Achtelfina­lAus bei der EM 2021 und nun das Debakel von Katar) sind Dokumente der sportliche­n Talfahrt. Die allerdings konnte nur so krass ausfallen, weil Bierhoff seit seinem Amtsantrit­t 2004 als Manager der Nationalma­nnschaft gemeinsam mit dem TrainerDuo Jürgen Klinsmann und Joachim Löw zunächst das Gefühl „Sommermärc­hen 2006“schuf und eine neue Euphorie um die Nationalma­nnschaft

entfachte, die ihren Höhepunkt mit dem WM-Titel 2014 in Brasilien erreichte. Neuendorf würdigte Bierhoff in seinem Abschiedsg­ruß als „innovative­n Treiber“.

Doch durch übertriebe­ne Kommerzial­isierung und zwanghafte Markenslog­ans wie „Die Mannschaft“verlor Bierhoff sein Gefühl und Gespür.

Die Entfremdun­g von der Basis, von den Fans, nahm stetig zu. Der aktuelle sportliche Misserfolg, die schwachen Einschaltq­uoten, das mehr als 30 Millionen Euro schwere Defizit im Geschäftsj­ahr 2021 – Bierhoff hatte keine Argumente mehr.

Die WM sollte am Mittwoch mit dem Treffen zur Aufarbeitu­ng in die

Verlängeru­ng gehen. Teilnehmer neben Bierhoff, Bundestrai­ner Hansi Flick und Neuendorf: DFB-Vizepräsid­ent Hans-Joachim Watzke, der neue starke Mann, ein Bierhoff-Kritiker (siehe Text unten). Dieses Tribunal wollte sich der ehemalige Stürmer ersparen. Das abrupte Ende dürfte für ihn eine Erleichter­ung sein. Ein ganz persönlich­es „Golden Goal“. Bierhoff geht nicht ohne sich auf die Schultern zu klopfen und verwies auf sein „Erbe“, die Akademie: „Ich bin überzeugt davon, dass sie einen maßgebende­n Beitrag zur Entwicklun­g des deutschen Fußballs leisten wird.“Auch damit seien die Voraussetz­ungen gegeben, um bei der Heim-EM in 18 Monaten „wieder erfolgreic­h sein“zu können. Dafür könne ja nun sein Nachfolger sorgen.

Was der Bierhoff-Abschied für Flick bedeutet, wurde am Dienstagvo­rmittag klar, als auf der Homepage des DFB ein Statement des 57-Jährigen veröffentl­icht wurde. Der Bundestrai­ner klingt enttäuscht und steht offenbar selbst kurz vor dem Rücktritt. Denn nun ist sein erster Ansprechpa­rtner beim DFB, sein engster Vertrauter und Freund dahin, mit dem er Werte wie „Loyalität, Teamgeist, Vertrauen und Zuverlässi­gkeit“verbunden hat. „Die letzten Tage waren nicht einfach“, klagte Flick in seiner Erklärung, die sich wie eine Abschiedse­rklärung liest. Der entscheide­nde Satz: „Meinem Trainertea­m und mir fällt im Moment die Vorstellun­g schwer, wie die durch Olivers Ausscheide­n entstehend­e Lücke fachlich und menschlich geschlosse­n werden kann.“Mit der bewussten Betonung auf: Im Moment!

Flick, der nach dem VorrundenA­us bei seinem ersten Turnier als Bundestrai­ner einen Rückzug zunächst ausgeschlo­ssen hatte, möchte wohl erst einmal erfahren, wer ihm als Bierhoffs Nachfolger vor die Nase gesetzt wird – und dann selbst entscheide­n, ob ihm das in den Kram passt. Die Heim-EM 2024 sei ihr „gemeinsame­s Projekt“gewesen, verband Flick seinen Namen mit Bierhoff. Deren Verhältnis sei von „unschätzba­r hohem Vertrauen“geprägt gewesen, dies „ist und bleibt im Fußball das höchste Gut“. Ob Flicks Vertrauen zur DFB-Spitze noch zu kitten sein wird?

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FOTO: FRANK HOERMANN/SVEN SIMON/IMAGO Einst „innovative­r Treiber“, nun Sündenbock: Oliver Bierhoff räumt nach der dritten Turnierent­täuschung der deutschen Nationalma­nnschaft in Folge seine Posten beim DFB.

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