Das Bierhoff-Beben
Der Geschäftsführer verlässt den DFB nach 18 Jahren – Bundestrainer Flick verliert seinen wichtigsten Vertrauten
- Für die K.o.Runde dieser WM hatte Oliver Bierhoff keinen Sinn. Er musste in den letzten Tagen seine persönliche ExitStrategie vom Posten des Geschäftsführers Nationalmannschaften entwickeln. Wie all die europäischen Favoriten in Katar das Viertelfinale erreichten, wie sich die Brasilianer am Montagabend in einen Rausch tanzten – alles sekundär. Kaum war die spektakuläre Show der Seleçao gegen Südkorea vorbei, verschickte die DFB-Direktion Kommunikation um 22.17 Uhr die Pressemitteilung mit der Überschrift „Oliver Bierhoff löst Vertrag mit dem DFB auf“.
Nach 18 Jahren im Amt ist für den Geschäftsführer Nationalmannschaften und Akademie der DFB GmbH & Co. KG, so Bierhoffs voller Titel, Schluss – trotz eines Vertrages bis 2024. Darauf habe sich der 54-Jährige „mit Präsident Bernd Neuendorf verständigt“, wie er schrieb. Die Formulierung „einvernehmlich“findet man nicht in den per Pressemitteilung verschickten Zeilen.
War es wohl auch nicht. Bernd Neuendorf ist seit rund acht Monaten im Amt und das Verhältnis zu Bierhoff kühlte von Woche zu Woche ab, in der Wüstenhitze von Katar fröstelte es die Umstehenden. Nun zog Bierhoff die Konsequenzen – auch, weil er wohl spürte, woher der Wind weht. Die drei großen Enttäuschungen bei Turnieren seit 2018 (Vorrunden-Aus bei der WM in Russland, AchtelfinalAus bei der EM 2021 und nun das Debakel von Katar) sind Dokumente der sportlichen Talfahrt. Die allerdings konnte nur so krass ausfallen, weil Bierhoff seit seinem Amtsantritt 2004 als Manager der Nationalmannschaft gemeinsam mit dem TrainerDuo Jürgen Klinsmann und Joachim Löw zunächst das Gefühl „Sommermärchen 2006“schuf und eine neue Euphorie um die Nationalmannschaft
entfachte, die ihren Höhepunkt mit dem WM-Titel 2014 in Brasilien erreichte. Neuendorf würdigte Bierhoff in seinem Abschiedsgruß als „innovativen Treiber“.
Doch durch übertriebene Kommerzialisierung und zwanghafte Markenslogans wie „Die Mannschaft“verlor Bierhoff sein Gefühl und Gespür.
Die Entfremdung von der Basis, von den Fans, nahm stetig zu. Der aktuelle sportliche Misserfolg, die schwachen Einschaltquoten, das mehr als 30 Millionen Euro schwere Defizit im Geschäftsjahr 2021 – Bierhoff hatte keine Argumente mehr.
Die WM sollte am Mittwoch mit dem Treffen zur Aufarbeitung in die
Verlängerung gehen. Teilnehmer neben Bierhoff, Bundestrainer Hansi Flick und Neuendorf: DFB-Vizepräsident Hans-Joachim Watzke, der neue starke Mann, ein Bierhoff-Kritiker (siehe Text unten). Dieses Tribunal wollte sich der ehemalige Stürmer ersparen. Das abrupte Ende dürfte für ihn eine Erleichterung sein. Ein ganz persönliches „Golden Goal“. Bierhoff geht nicht ohne sich auf die Schultern zu klopfen und verwies auf sein „Erbe“, die Akademie: „Ich bin überzeugt davon, dass sie einen maßgebenden Beitrag zur Entwicklung des deutschen Fußballs leisten wird.“Auch damit seien die Voraussetzungen gegeben, um bei der Heim-EM in 18 Monaten „wieder erfolgreich sein“zu können. Dafür könne ja nun sein Nachfolger sorgen.
Was der Bierhoff-Abschied für Flick bedeutet, wurde am Dienstagvormittag klar, als auf der Homepage des DFB ein Statement des 57-Jährigen veröffentlicht wurde. Der Bundestrainer klingt enttäuscht und steht offenbar selbst kurz vor dem Rücktritt. Denn nun ist sein erster Ansprechpartner beim DFB, sein engster Vertrauter und Freund dahin, mit dem er Werte wie „Loyalität, Teamgeist, Vertrauen und Zuverlässigkeit“verbunden hat. „Die letzten Tage waren nicht einfach“, klagte Flick in seiner Erklärung, die sich wie eine Abschiedserklärung liest. Der entscheidende Satz: „Meinem Trainerteam und mir fällt im Moment die Vorstellung schwer, wie die durch Olivers Ausscheiden entstehende Lücke fachlich und menschlich geschlossen werden kann.“Mit der bewussten Betonung auf: Im Moment!
Flick, der nach dem VorrundenAus bei seinem ersten Turnier als Bundestrainer einen Rückzug zunächst ausgeschlossen hatte, möchte wohl erst einmal erfahren, wer ihm als Bierhoffs Nachfolger vor die Nase gesetzt wird – und dann selbst entscheiden, ob ihm das in den Kram passt. Die Heim-EM 2024 sei ihr „gemeinsames Projekt“gewesen, verband Flick seinen Namen mit Bierhoff. Deren Verhältnis sei von „unschätzbar hohem Vertrauen“geprägt gewesen, dies „ist und bleibt im Fußball das höchste Gut“. Ob Flicks Vertrauen zur DFB-Spitze noch zu kitten sein wird?