Neun von zehn Schulen bekämpfen Corona-Defizite
„Lernen mit Rückenwind“laut neuesten Zahlen stark gefragt – Schulleiter loben unkomplizierte Umsetzung
- Bei vielen Kindern und Jugendlichen hat die CoronaPandemie fachliche und sozial-emotionale Spuren hinterlassen. Zum vorigen Schuljahr hat die Aufholjagd begonnen – dank zwei Milliarden Euro vom Bund für zwei Jahre. Seine 260 Millionen Euro hiervon hat BadenWürttemberg in das Förderprgramm „Lernen mit Rückenwind“gesteckt. Nach einem „Holperstart“, wie Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) im Mai selbst sagte, ist das Programm inzwischen sehr gefragt. Das bestätigen neue Zahlen, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegen.
Lernrückstände aufzuholen sei ein Marathon, kein Sprint, betonte Schopper im vergangenen Schuljahr, als sich noch nicht viele Schulen an „Rückenwind“beteiligt hatten. Inzwischen nehmen laut Ministerium, Stand 30. November, fast 90 Prozent der öffentlichen Schulen teil und haben in diesem Schuljahr schon knapp 13.200 Aktivitäten verbucht, die mit dem Rückenwind-Geld bezahlt werden. Laut Ministerium umfasst das schon 70 Prozent der Aktivitäten aus dem gesamten Schuljahr 2021/22.
Der Fokus liegt auf Lernrückständen in Mathe, Deutsch und Englisch. Die Schüler sollen aber auch sozialemotional aufgefangen werden. Wer an den Zusatzangeboten teilnimmt, entscheiden die Schulen. Etwa die Hälfte des Geldes fließt laut Ministerium
für zusätzliches Personal, das die Schulen selbst, oder über eine vom Ministerium eingerichtete Online-Börse finden. Von den aktuell rund 13.200 Helfern sind etwa die Hälfte Studenten, rund 750 sind pensionierte Lehrkräfte, hinzu kommen Menschen mit sonstigen pädagogischen Erfahrungen. Rund ein Viertel des Geldes entfalle auf Kooperationspartner, etwa Nachhilfeinstitute. Außerdem stocken manche Lehrkräfte ihre Stunden auf, mitunter geben auch ältere Schüler jüngeren Nachhilfe. „Wir haben das Programm bewusst so konzipiert, dass es flexibel ist, dass es viele Wege bietet, um Schülerinnen und Schüler zu fördern, damit die Rückstände wieder aufgeholt werden“, erklärt Ministerin Schopper. „Die Schulen nehmen es sehr gut an und kommen auch gut mit dem Programm zurecht.“
Das bestätigt Markus Bichler, Leiter der Gemeinschaftsschule Horgenzell im Kreis Ravensburg. „Man mault manchmal auf die Schulverwaltung“, gesteht er. Bei Rückenwind gebe es aber viel Unterstützung, jederzeit Ansprechpartner und bei Bedarf auch mehr Geld als budgetiert. 120 seiner 600 Schüler hätten teils in Intensivgruppen während, teils zusätzlich zum Unterricht Förderung erfahren. „Das sind die, die sehr viel Unterstützung gebraucht haben.“Selbst am sonst freien Mittwochnachmittag seien die Auserwählten zur Mathe-Nachhilfe erschienen.
Susanne Galla, Leiterin der gewerblichen Ferdinand-von-SteinbeisSchule in Tuttlingen, hat vor dem Start bei Schülern, Lehrer, Eltern und Ausbildungsbetrieben die Bedürfnisse abgefragt, „ein bisschen wie beim Reisebüro“, sagt sie. Jede Gruppe trage nun dazu bei, dass das Programm erfolgreich sei und kein Schüler mit Bedarf durchs Raster falle, erklärt sie. So stellten die Betriebe etwa die Schüler für Rückenwind frei.
Auch Galla lobt die inzwischen unkomplizierte Umsetzung von Rückenwind – was auch Dirk Lederle, Vize-Landechef des Verbands Bildung und Erziehung, betont. Als Problem bezeichnet er, dass nicht alle
Schulen leicht gutes Personal finden und kein Schüler zur Teilnahme verpflichtet ist. „Schulen, die in Gebieten angesiedelt sind, wo die Kinder nicht auf Rosen gebettet sind, kommen an manche Kinder so nicht ran“, sagt er und verweist auf die jüngsten Bildungsstudien, die dem Südwesten klare Defizite bescheinigten. „Der Anteil der Kinder, die nicht mal die Mindeststandards erfüllen, ist größer geworden. Das ist alarmierend vor dem Hintergrund, dass Rückenwind schon seit eineinhalb Jahren läuft.“Monika Stein fordert daher vom Ministerium, genauer hinzuschauen. „Wir wissen nicht, ob die Unterstützung bei den Kindern ankommt, die das am nötigsten haben“, sagt die Landeschefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. „Deshalb nützt eine Gesamtzahl an teilnehmenden Schulen nichts.“Laut Ministerium haben 370.000 Schüler Angebote genutzt. Da manche aber mehr als einen Kurs belegt haben, bleibt unklar, wie viel Prozent der knappen Million Schüler erreicht wurden.
Sowohl Galla als auch Bichler legen dieses Schuljahr verstärkt wert darauf, ihre Schüler auch sozial-emotional aufzufangen. Galla wünscht sich, dass das Programm weiterläuft, „denn zusätzliche Notwendigkeiten gibt es immer“. Das haben bereits die Kultusminister der Länder gefordert und beim Bund eine halbe Milliarde für das kommende Schuljahr angemahnt. Entschieden ist noch nichts.