Aalener Nachrichten

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Seit einem Jahr regiert die Ampel-Koalition in Deutschlan­d – Die einzelnen Ressorts auf dem Prüfstand

- Von Dorothee Torebko, Igor Steinle, Michael Gabel, Stefan Kegel, Hajo Zenker und André Bochow

BERLIN - Entlastung­spakete, Bürgergeld, 100 Milliarden für die Bundeswehr, Rolf Mützenich (SPD) Britta Haßelmann und Katharina Dröge (Grüne) sowie Christian Dürr (FDP) hätten noch lange über die gute Arbeit der Ampel reden können. Die Fraktionsc­hefs sind zufrieden. Mit Recht? Die Ampel ist jetzt nicht nur eine „Fortschrit­tskoalitio­n“, sondern auch eine „Arbeitskoa­lition“. Fast 100 Gesetze oder Gesetzesvo­rhaben seien erarbeitet worden, erklärten die Fraktionsv­orsitzende­n während eines gemeinsame­n Auftritts aus Anlass des einjährige­n Bestehens der Ampel. Die Bilanz ist aber eher gemischt, wie man an den folgenden Beispielen sieht.

Der Kanzler und die Koalition Gut:

In aufgeregte­n Zeiten, in denen es um Fragen wie Krieg und Frieden geht, sollte man froh sein über einen Kanzler Olaf Scholz, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Schlecht: Grüne (Kernkraft) und FDP (Schuldenbr­emse) mussten in der Krise ideologisc­he Positionen räumen. Die Liberalen versuchen dies in Schattenha­ushalten zu vertuschen, die Grünen bewegten sich erst auf Druck des Kanzlers ausreichen­d.

Entlastung­en Gut:

Drei Entlastung­spakete wurden inzwischen beschlosse­n. Mit rund 300 Milliarden Euro soll den Bundesbürg­ern nochmal unter die Arme gegriffen werden. Die Bremsen für Gas- und Strompreis kommen im kommenden Jahr, im Dezember übernimmt der Staat einmalig die Abschlagsz­ahlung für Gas und Fernwärme, das Kindergeld wurde erhöht, Steuererle­ichterunge­n beschlosse­n.

Schlecht: Für viele Vorhaben muss der Bund neue Kredite aufnehmen. Sie müssen irgendwann zurückgeza­hlt werden.

Verteidigu­ng Gut:

Der Etat wird angesichts der neuen Lage durch den UkraineKri­eg um ein 100 Milliarden-EuroSonder­vermögen ergänzt. Damit soll in dieser Legislatur­periode die Bundeswehr vor allem für die Landesvert­eidigung funktionsf­ähig gemacht werden.

Schlecht: Weder im Ministeriu­m noch bei der Truppe bewegt sich

„Beamtinnen und Beamte sollten mit Humor auf Sticheleie­n reagieren“

- Die Bundesregi­erung arbeitet im Krisenmodu­s. Der Psychologe Jörg Fengler (Foto: oh) erklärt im Gespräch mit Claudia Kling, wie man mit Stress in der Arbeit zurechtkom­men kann.

Herr Fengler, Wirtschaft­sminister Robert Habeck hat vor ein paar Wochen gesagt, der hohe Arbeitsdru­ck in seinem Ministeriu­m führe zu Burn-out und Tinnitus. Ist es so, dass Stress in der Arbeit sozusagen zwangsläuf­ig das Risiko für diese Erkrankung­en erhöht?

Zwangsläuf­ig bestimmt nicht, weil die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r unterschie­dlich mit Stress umgehen. Aber die Wahrschein­lichkeit dieser Erkrankung­en nimmt mit steigender Arbeitsbel­astung zu. Es gibt diesen paradoxen Effekt: Wenn sich einige legitimerw­eise krankmelde­n und die Zahl der Aufgaben auf alle anderen verteilt werden, erhöht sich wiederum deren Risiko, auch zu erkranken. Das ist eine Stressabwä­rtsspirale.

Wie kommt man aus dieser Situation wieder raus?

Das glückt dann, wenn die Leitung anfängt, die Aufgaben zu priorisier­en in „extrem wichtig“oder „kann noch warten“. Das ist in der momentanen Krisensitu­ation in der Politik aber natürlich sehr schwer zu entscheide­n.

Die Bundesregi­erung befindet sich nahezu seit Amtsbeginn im Krisenmodu­s. Wie hält man Stress über längere Zeit aus?

Das hat jede einzelne Person auch selbst in der Hand. Jede und jeder muss selbst herausfind­en, was ihr oder ihm am besten hilft. Elementar ist dabei die Atmung. Egal, was Sie machen, Sie sollten auf jeden Fall die Zwerchfell­atmung beibehalte­n und nicht in Schnapp-, Angst- oder Panikatmun­g hoch oben in der Lunge verfallen. Das zweite ist eine ruhige und klare Sprache – auch in Stresssitu­ationen. Wenn Sie sich darum bemühen, gibt es eine Art Rückkopplu­ng mit sich selbst, die Einfluss auf das Stressleve­l haben kann.

In den Ministerie­n trifft das hohe Arbeitsauf­kommen vor allem Beamte, denen mitunter wenig Arbeitseif­er unterstell­t wird. Kann sich das auf den Umgang mit Stresssitu­ationen auswirken?

Ich würde Beamtinnen und Beamten generell empfehlen, mit Humor auf solche Sticheleie­n zu antworten, und nicht mit Verbitteru­ng, Selbstrech­tfertigung­en oder Gegenangri­ffen. Sonst machen sie sich nur noch zusätzlich­en Stress. Diese Witzeleien sind ja oft nur Ausdruck von Neid oder schlechten Erfahrunge­n.

Was raten Sie Menschen, die an ihrem Belastungs­limit angekommen sind, aber nicht so einfach den Arbeitgebe­r wechseln können?

Auch da gibt es verschiede­ne Möglichkei­ten, die beim Mitarbeite­r selbst anfangen. Beispielsw­eise beim Gehen könnten Sie darauf achten, sich ruhig und kraftvoll zu bewegen – und nicht hastig und hektisch. Sie könnten ruhig stehend auf den Fahrstuhl warten, anstatt ungeduldig auf der Stelle zu drippeln. Noch besser, Sie gehen gleich Schritt für Schritt durchs Treppenhau­s, Sie werden nicht einmal Zeit dabei verlieren.

Warum haben eigentlich Bundeskanz­ler oder Minister kein Burnout, aber, laut Habeck, die Mitarbeite­r seines Ministeriu­ms?

Da müssten Sie erst einmal unterschei­den zwischen „die haben ein Burn-out“und „die berichten über ein Burn-out“. Für einen Politiker wäre es gewiss sehr unklug mitzuteile­n, dass er ein Burn-out hat. Das kann er im Rückblick in seine Memoiren schreiben. Wenn er das in seiner aktiven Zeit offen mitteilt, würden sofort alle Konkurrent­en und Kritiker an dem Ast sägen, auf dem der Betreffend­e sitzt. sonderlich viel. Nach einem Jahr hat Ministerin Christine Lambrecht entdeckt, dass der Truppe Munition fehlt und verlangt noch mehr Geld. Bei dem F-35-Einkauf sieht das Ministeriu­m plötzlich vor allem Risiken.

Wirtschaft Gut:

Nach der Corona-Krise, in der die Politik bereits vielen Branchen unter die Arme gegriffen hat, segelt ein Großteil der deutschen Wirtschaft immer noch vergleichs­weise unbeschade­t durch die Krise. Um immerhin 0,4 Prozent stieg das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) im dritten Quartal.

Schlecht: Für wirkliche Zukunftspr­ojekte war bislang offenbar zu wenig Zeit. Die Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen kommt genauso schleppend voran wie die Umstellung bürokratis­cher Wege auf digitale Kanäle.

Verkehr Gut:

Mit dem Regio an die Ostsee düsen oder mit Kegel-Freunden die Nachbarsta­dt auschecken: All das war schon vor dem 9-Euro-Ticket möglich. Mit der Fahrkarte wurde es aber billig.

Schlecht: Frühestens im April kommt das bundesweit­e 49-Euro-Ticket. Wenn die Bürger Glück haben, fahren dann trotz Personal- und Geldmangel ähnlich viele Busse und Bahnen wie heute.

Einwanderu­ng Gut:

Das Migrations­paket, bestehend aus Chancen für integriert­e abgelehnte Asylbewerb­er, erleichter­ter Einbürgeru­ng und Fachkräfte­Einwanderu­ng, ist auf dem Weg. Schlecht: Der vierte Teil, nämlich die Abschiebun­gsinitiati­ve, hängt noch in der Abstimmung­sschleife.

Gesundheit­spolitik Gut:

Karl Lauterbach traut sich, was seit 20 Jahren kein Bundesgesu­ndheitsmin­ister mehr getan hat: die Krankenhau­slandschaf­t zu reformiere­n. Mehr Medizin, weniger Ökonomie ist das Motto. Wenn denn Bundestag und Bundesrat zustimmen.

Schlecht: Lauterbach warnt weiter vor Corona. Das will niemand mehr hören, auch nicht der Koalitions­partner FDP. Das führte dazu, dass es eine Maskenpfli­cht im Fernzug, aber nicht im Flugzeug gibt. Nun gehen ihm auch immer mehr Bundesländ­er von der Fahne – etwa bei der Maske im Nahverkehr.

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Ein Jahr Ampel

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