Wie MeToo ins Rollen kam
„She Said“ist ein Journalistendrama über die Recherchen im Fall Weinstein
An den amerikanischen Kinokassen war der Start von „She Said“ein eindeutiger Flop – was seine Relevanz nur noch untermauert. Das mag paradox klingen, schließlich spielte die gut 30 Millionen Dollar teure Produktion am Startwochenende mit 2,3 Millionen nicht einmal die Hälfte der ohnehin schon niedrigen erwarteten Einkünfte ein. Als möglicher Grund wurde eine Ermüdung, wenn nicht gar Übersättigung des Publikumsinteresses an dem Thema des Filmes identifiziert. Doch die MeToo-Debatte um sexuelle Belästigung ist mit Sicherheit noch nicht abgeschlossen und die deutsche Schauspielerin und Regisseurin Maria Schrader („Unorthodox“, „Ich bin dein Mensch“) arbeitet hier mit den Recherchen zum Weinstein-Skandal einen der zentralen Auslöser auf.
Im Januar 2017 hatte Weinstein noch an einem „Women’s March“teilgenommen und sich als Vorkämpfer für die stärkere Rolle von Frauen in Hollywood selber gefeiert. Im Herbst desselben Jahres begannen mehr als 80 Frauen, mit Anschuldigungen von sexueller Belästigung bis hin zu Vergewaltigung an die Öffentlichkeit zu treten, was schließlich zu einer Verurteilung des Produzenten mit langjähriger Haftstrafe führte. Dass Weinstein eine Gefahr für Frauen darstellt, war allerdings schon seit Langem in Hollywood bekannt und der Film thematisiert auch, warum so viele so lange hierzu geschwiegen haben.
Im Mittelpunkt stehen zwei Reporterinnen der New York Times, Jodi Kantor (Zoe Kazan) und Megan Twohey (Carey Mulligan). Das ist nachvollziehbar, schließlich beruht der Film auf ihrem Buch „Me Too: Von der ersten Enthüllung zur globalen Bewegung“, allerdings hätte man die zeitgleichen Recherchen von Rodie nan Farrow im „New Yorker“mehr als wie hier nur kurz am Rande einbauen können. Schrader will aber das journalistische Selbstverständnis dieser beiden Frauen zeigen sowie einen Einblick in ihr Privatleben bieten – wie wirken sich die bedrückenden Recherchen darauf aus, wie werden sie vom privaten Umfeld unterstützt? Dazu zählen der Rückhalt der Ehemänner (Tom Pelphrey, Adam Shapiro), der Austausch mit den Kindern, darunter eine Tochter, die mehr über die Recherchen wissen will und eigene Herausforderungen wie eine postnatale Depression. Die auch jenseits der Leinwand seit Langem befreundeten Kazan und Mulligan vermitteln glaubhaft die Chemie zwischen den Journalistinnen.
Im Mittelpunkt steht dann aber die Recherchearbeit und hier setzt die sonst auch für Experimente offene Schrader auf eine sehr geradlinige Inszenierung im Stile von Investigativdramen wie „Spotlight“. Der Film ist somit auch ein Tribut an sorgfältigen Journalismus und die zentrale Rolle,
der Rückhalt durch die Leitung der dahinter stehenden Medien spielt. Dies ist umso bedeutender, wenn es sich um einen so gut vernetzten Menschen wie Weinstein handelt, der nicht nur immense Ressourcen zur Verfügung hatte, sondern auch von vielen Kulturschaffenden und -journalisten für seine Rolle als Produzent innovativer und stilbildender Filme geschätzt und gefeiert wurde. Die Bandbreite reichte dabei von „Pulp Fiction“über „Shakespeare In Love“bis hin zu „Frida“und dass der Produzent dabei auch jenseits seines Verhältnisses zu Frauen als gelinde gesagt schwierig galt, wurde oft als nicht ungewöhnliche Kehrseite seines Genies abgetan.
Betroffene Frauen wurden mit Schweigevereinbarungen und anderem Druck stillgehalten und viele wollten lieber weghören. Die beiden Journalistinnen machen nun das Gegenteil: Sie schenken den Opfern Vertrauen und lassen sie zu Wort kommen. Ein nicht unerheblicher Teil des Films besteht daher aus Berichten.
Schrader verzichtet völlig darauf, die Missbrauchsszenen nachzustellen, allenfalls schwenkt die Kamera mal während der Erzählungen durch einen leeren Hotelflur, schließlich spielten sich die Vorgänge oft in von Weinstein angemieteten Hotelsuiten ab.
Zu der Eindringlichkeit trägt bei, dass sich einige der Betroffenen selbst spielen (Ashley Judd) beziehungsweise sprechen (Gwyneth Paltrow, Judith Godrèche). Weinstein selbst ist vor allem als Stimme am Telefon zu vernehmen (Mike Houston) und wird sonst nur verschwommen gezeigt – die Gefahr, dass dann doch letztlich er im Mittelpunkt des Films steht, wird somit klar umgangen. Sehr präsent in seinen Szenen ist dagegen Peter Friedman als öliger Anwalt und Lobbyist Lanny Davis mit der klassischen „Lass uns einen Deal machen“Einstellung, die Weinstein lange schützte.
Schrader schont somit in ihrem US-Debüt auch das System Hollywood nicht, doch selbst bei dieser Produktion lässt sich das eine oder andere hinterfragen. So wusste „She Said“-Produzent Brad Pitt durch seine damalige Partnerin Angelina Jolie von den Vorwürfen gegenüber Weinstein, arbeitete aber weiter mit diesem zusammen. Und die „New York Times“war wohl schon wesentlich länger über Weinstein im Bilde und beschäftigt bis heute mit Glenn Thrush einen Journalisten, dem vielfache sexuelle Belästigung nachgewiesen wurde. Letztlich untermauern aber auch diese Ambivalenzen: Das Thema MeToo kann noch lange nicht zu den Akten gelegt werden.
She said, Regie: Maria Schrader, USA 2022. 129 Minuten. Besetzung: Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson.