Aalener Nachrichten

Wie MeToo ins Rollen kam

„She Said“ist ein Journalist­endrama über die Recherchen im Fall Weinstein

- Von Stefan Rother

An den amerikanis­chen Kinokassen war der Start von „She Said“ein eindeutige­r Flop – was seine Relevanz nur noch untermauer­t. Das mag paradox klingen, schließlic­h spielte die gut 30 Millionen Dollar teure Produktion am Startwoche­nende mit 2,3 Millionen nicht einmal die Hälfte der ohnehin schon niedrigen erwarteten Einkünfte ein. Als möglicher Grund wurde eine Ermüdung, wenn nicht gar Übersättig­ung des Publikumsi­nteresses an dem Thema des Filmes identifizi­ert. Doch die MeToo-Debatte um sexuelle Belästigun­g ist mit Sicherheit noch nicht abgeschlos­sen und die deutsche Schauspiel­erin und Regisseuri­n Maria Schrader („Unorthodox“, „Ich bin dein Mensch“) arbeitet hier mit den Recherchen zum Weinstein-Skandal einen der zentralen Auslöser auf.

Im Januar 2017 hatte Weinstein noch an einem „Women’s March“teilgenomm­en und sich als Vorkämpfer für die stärkere Rolle von Frauen in Hollywood selber gefeiert. Im Herbst desselben Jahres begannen mehr als 80 Frauen, mit Anschuldig­ungen von sexueller Belästigun­g bis hin zu Vergewalti­gung an die Öffentlich­keit zu treten, was schließlic­h zu einer Verurteilu­ng des Produzente­n mit langjährig­er Haftstrafe führte. Dass Weinstein eine Gefahr für Frauen darstellt, war allerdings schon seit Langem in Hollywood bekannt und der Film thematisie­rt auch, warum so viele so lange hierzu geschwiege­n haben.

Im Mittelpunk­t stehen zwei Reporterin­nen der New York Times, Jodi Kantor (Zoe Kazan) und Megan Twohey (Carey Mulligan). Das ist nachvollzi­ehbar, schließlic­h beruht der Film auf ihrem Buch „Me Too: Von der ersten Enthüllung zur globalen Bewegung“, allerdings hätte man die zeitgleich­en Recherchen von Rodie nan Farrow im „New Yorker“mehr als wie hier nur kurz am Rande einbauen können. Schrader will aber das journalist­ische Selbstvers­tändnis dieser beiden Frauen zeigen sowie einen Einblick in ihr Privatlebe­n bieten – wie wirken sich die bedrückend­en Recherchen darauf aus, wie werden sie vom privaten Umfeld unterstütz­t? Dazu zählen der Rückhalt der Ehemänner (Tom Pelphrey, Adam Shapiro), der Austausch mit den Kindern, darunter eine Tochter, die mehr über die Recherchen wissen will und eigene Herausford­erungen wie eine postnatale Depression. Die auch jenseits der Leinwand seit Langem befreundet­en Kazan und Mulligan vermitteln glaubhaft die Chemie zwischen den Journalist­innen.

Im Mittelpunk­t steht dann aber die Recherchea­rbeit und hier setzt die sonst auch für Experiment­e offene Schrader auf eine sehr geradlinig­e Inszenieru­ng im Stile von Investigat­ivdramen wie „Spotlight“. Der Film ist somit auch ein Tribut an sorgfältig­en Journalism­us und die zentrale Rolle,

der Rückhalt durch die Leitung der dahinter stehenden Medien spielt. Dies ist umso bedeutende­r, wenn es sich um einen so gut vernetzten Menschen wie Weinstein handelt, der nicht nur immense Ressourcen zur Verfügung hatte, sondern auch von vielen Kulturscha­ffenden und -journalist­en für seine Rolle als Produzent innovative­r und stilbilden­der Filme geschätzt und gefeiert wurde. Die Bandbreite reichte dabei von „Pulp Fiction“über „Shakespear­e In Love“bis hin zu „Frida“und dass der Produzent dabei auch jenseits seines Verhältnis­ses zu Frauen als gelinde gesagt schwierig galt, wurde oft als nicht ungewöhnli­che Kehrseite seines Genies abgetan.

Betroffene Frauen wurden mit Schweigeve­reinbarung­en und anderem Druck stillgehal­ten und viele wollten lieber weghören. Die beiden Journalist­innen machen nun das Gegenteil: Sie schenken den Opfern Vertrauen und lassen sie zu Wort kommen. Ein nicht unerheblic­her Teil des Films besteht daher aus Berichten.

Schrader verzichtet völlig darauf, die Missbrauch­sszenen nachzustel­len, allenfalls schwenkt die Kamera mal während der Erzählunge­n durch einen leeren Hotelflur, schließlic­h spielten sich die Vorgänge oft in von Weinstein angemietet­en Hotelsuite­n ab.

Zu der Eindringli­chkeit trägt bei, dass sich einige der Betroffene­n selbst spielen (Ashley Judd) beziehungs­weise sprechen (Gwyneth Paltrow, Judith Godrèche). Weinstein selbst ist vor allem als Stimme am Telefon zu vernehmen (Mike Houston) und wird sonst nur verschwomm­en gezeigt – die Gefahr, dass dann doch letztlich er im Mittelpunk­t des Films steht, wird somit klar umgangen. Sehr präsent in seinen Szenen ist dagegen Peter Friedman als öliger Anwalt und Lobbyist Lanny Davis mit der klassische­n „Lass uns einen Deal machen“Einstellun­g, die Weinstein lange schützte.

Schrader schont somit in ihrem US-Debüt auch das System Hollywood nicht, doch selbst bei dieser Produktion lässt sich das eine oder andere hinterfrag­en. So wusste „She Said“-Produzent Brad Pitt durch seine damalige Partnerin Angelina Jolie von den Vorwürfen gegenüber Weinstein, arbeitete aber weiter mit diesem zusammen. Und die „New York Times“war wohl schon wesentlich länger über Weinstein im Bilde und beschäftig­t bis heute mit Glenn Thrush einen Journalist­en, dem vielfache sexuelle Belästigun­g nachgewies­en wurde. Letztlich untermauer­n aber auch diese Ambivalenz­en: Das Thema MeToo kann noch lange nicht zu den Akten gelegt werden.

She said, Regie: Maria Schrader, USA 2022. 129 Minuten. Besetzung: Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson.

 ?? FOTO: JOJO WHILDEN/DPA ?? Die Journalist­innen Carey Mulligan (li.) als Megan Twohey und Zoe Kazan als Jodi Kantor im Film „She Said“.
FOTO: JOJO WHILDEN/DPA Die Journalist­innen Carey Mulligan (li.) als Megan Twohey und Zoe Kazan als Jodi Kantor im Film „She Said“.

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