Grippewelle auch in Ellwangen auf dem Vormarsch
Übermäßige Sorge derzeit noch unbegründet – Größere Probleme bereiten Lieferengpässe bei Arzneien
- Zwei Jahre lang haben Masken und Abstandsregelungen viele Menschen sicherlich nicht nur vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus, sondern auch vor einer Grippeerkrankung geschützt. Seit Einbruch der Temperaturen und dem Wegfall der Beschränkungen steigen die Ansteckungszahlen. So verzeichnete das Robert Koch-Institut (RKI) während der vergangenen Monate deutlich mehr Grippeinfektionen als in den Jahren vor der Pandemie.
„Unser Immunsystem muss sich jetzt erst einmal wieder an ein normales Leben gewöhnen“, vermutet auch der Ellwanger Allgemeinmediziner Franz Josef Grill. „Ich denke schon, dass die Infektanfälligkeit gerade auch deshalb jetzt wieder viel höher ist, weil Maske und Abstandsregeln weggefallen sind.“Die Weihnachtsmärkte, die nach zwei Jahren ebenfalls zum ersten Mal wieder öffnen dürfen und viele Menschen auf engem Raum zusammenbringen, tragen zusätzlich zu einer Verschärfung des Infektionsgeschehens bei. „Bei den Menschenmassen, die auf den Märkten unterwegs sich, wundert es mich nicht, dass sich Leute anstecken“, so Grill. „Das ist aber der übliche Wahnsinn um diese Jahreszeit.“
Eine ungewöhnlich angespannte Infektionslage sieht Grill auch in der Kinder- und Jugendmedizin nicht. Vielmehr stellt er fest, dass die Eltern wesentlich vorsichtiger geworden sind und oftmals schneller einen Arzt aufsuchen, als nötig wäre. „Wenn das Kind mal ein bisschen Fieber hat, muss man nicht immer sofort eingreifen. Man muss auch nicht immer sofort mit Medikamenten intervenieren.“Grill empfiehlt in solchen Situationen, den Krankheitsverlauf aufmerksam zu beobachten und zunächst einmal auf sanftere Behandlungsmethoden wie zum Beispiel ausruhen, Wadenwickel, viel trinken oder inhalieren zurückzugreifen.
Dieses Vorgehen empfiehlt auch
der Ellwanger Kinderarzt Dietrich Böhme. Bei Säuglingen und kleineren Kindern bis vier Jahren sei nach Aussage der beiden Ärzte allerdings besondere Vorsicht geboten. „Wenn erhebliche Atemstörungen auftreten oder das Fieber länger anhält, muss man natürlich zum Arzt“, sagt Böhme dazu.
Denn bei Atemnot könnte es sich auch um das sogenannte Respiratorische Synzytial-Virus – kurz RS-Virus – handeln, das aktuell die Kinderkliniken in ganz Deutschland in Beschlag nimmt. Bei einer Erkrankung mit dem RS-Virus handelt es sich um eine Atemwegsinfektion, die bei Kleinkindern, Säuglingen, Kindern mit Vorerkrankungen oder immunschwachen Menschen unter Umständen mit einem schweren Krankheitsverlauf einhergehen kann.
Den Grund für die derzeit heftige RS-Welle sieht auch Sebastian Bode, Oberarzt an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Ulm, in der Rückkehr zu einem Alltag ohne Abstands- und Hygieneregeln, wie er in einem Interview mit RegioTV Schwaben sagt: „Wir haben alle Masken getragen, wir haben Kindergärten und Schulen geschlossen, sodass da die Kinder in den vergangenen Jahren weniger stark dem Virus ausgesetzt waren und das Immunsystem der Kinder das ein bisschen nachholen muss.“Zwei Drittel der Betten, die in der Uniklinik Ulm für die RS-Patienten reserviert sind, seien bereits belegt.
In der Praxis von Dietrich Böhme sind bisher nur vereinzelte RS-Fälle aufgetreten, wie der Arzt berichtet. Die meisten Infektionen werden aber auch erst in den Kliniken auf ihren Ursprung hin ermittelt, so Böhme: „Wir haben derzeit eine Welle von verschiedenen Virusinfekten – da ist ganz grundsätzlich viel los in den Praxen und Kliniken.“Zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen seien aus seiner Sicht jedoch nicht von Nöten: „Gesunde und gesund erscheinende Kinder müssen deshalb nicht vom Kindergarten ferngehalten werden.“
Ein Thema, das Franz Josef Grill deutlich mehr beschäftigt als die aktuell steigende Patientenzahl, ist der andauernde Mangel an Medikamenten: „Arzneien für Kinder wie Erkältungssäfte, Fieberzäpfchen oder Ibuprofen sind im Moment nicht immer lieferbar“, sagt Grill. Die Apotheken bekämen kaum – oder nur sehr zeitverzögert – den benötigten Nachschub.
„Das ist ein echtes Problem.“
Das bestätigt auch Apotheker Richard Krombholz, der in Ellwangen die Adler-Apotheke und die Apotheke im Ärztezentrum leitet. Paracetamol und Ibuprofen für Kinder seien seit Sommer in Saftform kaum noch erhältlich. „Von ehemals acht Anbietern sind nur noch zwei am Markt. Und die kommen mit der Produktion nicht hinterher“, erklärt Krombholz.
Hinzukomme, dass sich nach Angaben des Apothekers viele Arzneifirmen in ihrer Produktionsplanung an den Stückzahlen von 2020 und 2021 orientiert haben. „In den zwei Jahren Corona gab es aber so gut wie keine Erkältungskrankheiten“, fügt er hinzu. Rohstoffknappheit und die Energiekrise, die insbesondere die Herstellung von Arzneigläsern beeinträchtige, verschärfen die Mangellage zusätzlich. „All diese Dinge addieren sich und dann bleiben die Arzneien aus“, so der Apotheker.
Auch Antibiotika-Säfte, Schleimlöser, Blut- und Herzmedikamente seien von den Engpässen betroffen. Der Mangel mache sich auch im Preis bemerkbar, viele Medikamente seien nur noch von den Originalherstellern und mit Zuzahlung beziehbar. „Wir haben mittlerweile auch angefangen, manche Säfte wieder selbst herzustellen. Aber das schaffen wir halt nicht zu Industriepreisen.“
Infolgedessen beobachtet Krombholz in seinen Apotheken seit einiger Zeit Tendenzen des Hamsterns – ein Verhalten, das er im Bereich der medizinischen Versorgung für völlig „unangemessen und unsozial“hält. „Wir müssen in dieser Situation schauen, dass wir die Versorgung aufrechterhalten und dass jeder auch die Medikamente bekommt, die er benötigt. Und da kann ich mir als Kunde nichts in Mengen für meinen Keller sichern.“Krombholz bittet daher, von Hamsterkäufen abzusehen – in seinen Apotheken werden die Arzneien ohnehin nur in handelsüblichen Mengen herausgegeben.