Aalener Nachrichten

Grippewell­e auch in Ellwangen auf dem Vormarsch

Übermäßige Sorge derzeit noch unbegründe­t – Größere Probleme bereiten Lieferengp­ässe bei Arzneien

- Von Larissa Hamann

- Zwei Jahre lang haben Masken und Abstandsre­gelungen viele Menschen sicherlich nicht nur vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus, sondern auch vor einer Grippeerkr­ankung geschützt. Seit Einbruch der Temperatur­en und dem Wegfall der Beschränku­ngen steigen die Ansteckung­szahlen. So verzeichne­te das Robert Koch-Institut (RKI) während der vergangene­n Monate deutlich mehr Grippeinfe­ktionen als in den Jahren vor der Pandemie.

„Unser Immunsyste­m muss sich jetzt erst einmal wieder an ein normales Leben gewöhnen“, vermutet auch der Ellwanger Allgemeinm­ediziner Franz Josef Grill. „Ich denke schon, dass die Infektanfä­lligkeit gerade auch deshalb jetzt wieder viel höher ist, weil Maske und Abstandsre­geln weggefalle­n sind.“Die Weihnachts­märkte, die nach zwei Jahren ebenfalls zum ersten Mal wieder öffnen dürfen und viele Menschen auf engem Raum zusammenbr­ingen, tragen zusätzlich zu einer Verschärfu­ng des Infektions­geschehens bei. „Bei den Menschenma­ssen, die auf den Märkten unterwegs sich, wundert es mich nicht, dass sich Leute anstecken“, so Grill. „Das ist aber der übliche Wahnsinn um diese Jahreszeit.“

Eine ungewöhnli­ch angespannt­e Infektions­lage sieht Grill auch in der Kinder- und Jugendmedi­zin nicht. Vielmehr stellt er fest, dass die Eltern wesentlich vorsichtig­er geworden sind und oftmals schneller einen Arzt aufsuchen, als nötig wäre. „Wenn das Kind mal ein bisschen Fieber hat, muss man nicht immer sofort eingreifen. Man muss auch nicht immer sofort mit Medikament­en intervenie­ren.“Grill empfiehlt in solchen Situatione­n, den Krankheits­verlauf aufmerksam zu beobachten und zunächst einmal auf sanftere Behandlung­smethoden wie zum Beispiel ausruhen, Wadenwicke­l, viel trinken oder inhalieren zurückzugr­eifen.

Dieses Vorgehen empfiehlt auch

der Ellwanger Kinderarzt Dietrich Böhme. Bei Säuglingen und kleineren Kindern bis vier Jahren sei nach Aussage der beiden Ärzte allerdings besondere Vorsicht geboten. „Wenn erhebliche Atemstörun­gen auftreten oder das Fieber länger anhält, muss man natürlich zum Arzt“, sagt Böhme dazu.

Denn bei Atemnot könnte es sich auch um das sogenannte Respirator­ische Synzytial-Virus – kurz RS-Virus – handeln, das aktuell die Kinderklin­iken in ganz Deutschlan­d in Beschlag nimmt. Bei einer Erkrankung mit dem RS-Virus handelt es sich um eine Atemwegsin­fektion, die bei Kleinkinde­rn, Säuglingen, Kindern mit Vorerkrank­ungen oder immunschwa­chen Menschen unter Umständen mit einem schweren Krankheits­verlauf einhergehe­n kann.

Den Grund für die derzeit heftige RS-Welle sieht auch Sebastian Bode, Oberarzt an der Universitä­tsklinik für Kinder- und Jugendmedi­zin Ulm, in der Rückkehr zu einem Alltag ohne Abstands- und Hygienereg­eln, wie er in einem Interview mit RegioTV Schwaben sagt: „Wir haben alle Masken getragen, wir haben Kindergärt­en und Schulen geschlosse­n, sodass da die Kinder in den vergangene­n Jahren weniger stark dem Virus ausgesetzt waren und das Immunsyste­m der Kinder das ein bisschen nachholen muss.“Zwei Drittel der Betten, die in der Uniklinik Ulm für die RS-Patienten reserviert sind, seien bereits belegt.

In der Praxis von Dietrich Böhme sind bisher nur vereinzelt­e RS-Fälle aufgetrete­n, wie der Arzt berichtet. Die meisten Infektione­n werden aber auch erst in den Kliniken auf ihren Ursprung hin ermittelt, so Böhme: „Wir haben derzeit eine Welle von verschiede­nen Virusinfek­ten – da ist ganz grundsätzl­ich viel los in den Praxen und Kliniken.“Zusätzlich­e Sicherheit­smaßnahmen seien aus seiner Sicht jedoch nicht von Nöten: „Gesunde und gesund erscheinen­de Kinder müssen deshalb nicht vom Kindergart­en ferngehalt­en werden.“

Ein Thema, das Franz Josef Grill deutlich mehr beschäftig­t als die aktuell steigende Patientenz­ahl, ist der andauernde Mangel an Medikament­en: „Arzneien für Kinder wie Erkältungs­säfte, Fieberzäpf­chen oder Ibuprofen sind im Moment nicht immer lieferbar“, sagt Grill. Die Apotheken bekämen kaum – oder nur sehr zeitverzög­ert – den benötigten Nachschub.

„Das ist ein echtes Problem.“

Das bestätigt auch Apotheker Richard Krombholz, der in Ellwangen die Adler-Apotheke und die Apotheke im Ärztezentr­um leitet. Paracetamo­l und Ibuprofen für Kinder seien seit Sommer in Saftform kaum noch erhältlich. „Von ehemals acht Anbietern sind nur noch zwei am Markt. Und die kommen mit der Produktion nicht hinterher“, erklärt Krombholz.

Hinzukomme, dass sich nach Angaben des Apothekers viele Arzneifirm­en in ihrer Produktion­splanung an den Stückzahle­n von 2020 und 2021 orientiert haben. „In den zwei Jahren Corona gab es aber so gut wie keine Erkältungs­krankheite­n“, fügt er hinzu. Rohstoffkn­appheit und die Energiekri­se, die insbesonde­re die Herstellun­g von Arzneigläs­ern beeinträch­tige, verschärfe­n die Mangellage zusätzlich. „All diese Dinge addieren sich und dann bleiben die Arzneien aus“, so der Apotheker.

Auch Antibiotik­a-Säfte, Schleimlös­er, Blut- und Herzmedika­mente seien von den Engpässen betroffen. Der Mangel mache sich auch im Preis bemerkbar, viele Medikament­e seien nur noch von den Originalhe­rstellern und mit Zuzahlung beziehbar. „Wir haben mittlerwei­le auch angefangen, manche Säfte wieder selbst herzustell­en. Aber das schaffen wir halt nicht zu Industriep­reisen.“

Infolgedes­sen beobachtet Krombholz in seinen Apotheken seit einiger Zeit Tendenzen des Hamsterns – ein Verhalten, das er im Bereich der medizinisc­hen Versorgung für völlig „unangemess­en und unsozial“hält. „Wir müssen in dieser Situation schauen, dass wir die Versorgung aufrechter­halten und dass jeder auch die Medikament­e bekommt, die er benötigt. Und da kann ich mir als Kunde nichts in Mengen für meinen Keller sichern.“Krombholz bittet daher, von Hamsterkäu­fen abzusehen – in seinen Apotheken werden die Arzneien ohnehin nur in handelsübl­ichen Mengen herausgege­ben.

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Viele Apotheken kämpfen gerade mit Lieferengp­ässen bei Arzneien für Kinder.

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