Spielotheken im Pech
Umsetzung des Staatsvertrags zwingt viele Spielhallen zur Schließung
- Glücksspiel polarisiert die Gesellschaft. Während Jugendschützer und Politiker vor allem die Sucht danach fürchten und Minderjährige vor den Gefahren des Glücksspiels schützen wollen, sind viele Betreiber von Spielhallen im Südwesten durch hohe und veränderte Auflagen in ihrer Existenz gefährdet. Einige Betreiber wissen gerade nicht, ob und wann sie aufgrund dessen ihre Spielhalle schließen müssen – zum Wohle des Jugendschutzes. Denn die Umsetzung des veränderten Glücksspielstaatsvertrags von 2012 hakt an allen Ecken und Enden.
Was hat sich geändert?
Im Jahr 2012 trat der neue Glücksspielstaatsvertrag in Kraft – mit weitreichenden Folgen für Spielotheken. Trotzdem konnten die Länder den Vertrag anpassen. In BadenWürttemberg seien die neuen Regelungen für die Betreiber von Spielhallen aber am strengsten, erklärt Dirk Fischer, Vorsitzender des Automatenverbands Baden-Württemberg. So wurde festgelegt, dass pro Spielhalle nur noch eine Konzession erlaubt ist. Eine Spielhallenkonzession ist dabei nichts anderes als eine staatliche Glücksspiel-Erlaubnis für einen Betreiber. „Mehrfachkonzessionen darf es nicht mehr geben“, sagt Fischer. Bei einer Konzession sind maximal zwölf Spielautomaten pro Standort erlaubt.
Außerdem müssen alle Spielhallen im neuen Gesetz mindestens 500 Meter Luftlinie von Schulen, Kinderund Jugendeinrichtungen oder anderen Spielhallen entfernt sein. Weil das für einen großen Teil der Spielhallen das kurzfristige Aus bedeutet hätte, wurde eine generelle Übergangszeit zur Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags bis zum 30. Juni 2017 erteilt, die dann nochmal bis Juli 2021 verlängert wurde. Für Fischer ist die Regelung nicht nachvollziehbar, weil es „bisher nicht empirisch bewiesen wurde, welcher Mindestabstand der richtige ist, um problematisches Spielverhalten zu verhindern“. Außerdem ist der Abstand von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. Auch hier fährt der Südwesten mit 500 Metern den härtesten Kurs – in Niedersachsen sind es beispielsweise nur 100 Meter.
Was ist das aktuelle Problem?
Viele Kommunen stehen vor der Frage, welche Spielhalle nun offen bleiben darf und welche schließen muss. Wenn in einer Innenstadt beispielsweise mehrere Standorte aufgrund der Abstandsregeln schließen müssten, veranlasst die zuständige Kommune ein Auswahlverfahren, um festzulegen, welche Spielotheken keine Konzession mehr bekommen. Dieses Auswahlverfahren ist oft sehr undurchsichtig und für viele
ungerechtfertigt. Die Folge: Mehrere Spielhallenbetreiber klagen gegen die Auswahlverfahren vor Gericht. „Das ist an Komplexität nicht zu überbieten und für alle eine echte Hängepartie“, betont Fischer. Die Städte und Gemeinden führen die Auswahlverfahren unter Berücksichtigung des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus aus, sagt Christopher Heck, Sprecher beim Gemeindetag BadenWürttemberg.
Automatenvertreter Fischer hat aber das Gefühl, vielen Kommunen kommt eine verzögerte Schließung ihrer Spielhallen ganz recht – schließlich nehmen die solange noch die Vergnügungssteuer ein. Der Anteil der Vergnügungssteuer variiert von Kommune zu Kommune – berechnet wird meistens ein Satz zwischen zehn und 25 Prozent auf den Umsatz der Geräte. Bezahlen muss sie der Halter der Spielapparate und zwar direkt an die Kommune. Die Gemeinden würden sich an die Gesetzmäßigkeiten halten, betont Heck, „gleichwohl gilt es, vor Ort die entsprechenden Prioritäten der Auf
gabenerledigung zu setzen, da auch in den Verwaltungen der Fachkräftemangel neben dem Krisenmanagement spürbar ist“.
Andere Länder wie RheinlandPfalz oder Bayern haben ihre Landesgesetze so angepasst, dass sie fast all ihre Standorte bei reduzierter Größe erhalten können, betont Fischer. „In Baden-Württemberg erleben wir aber einen Kahlschlag.“Wenn der Glücksspielstaatsvertrag an allen Orten vollzogen ist, „werden wir im Südwesten bis zu 80 Prozent der bisher legalen und genehmigten Konzessionen verlieren“.
Was fordern die Betreiber von der Politik?
Während der illegale Glücksspielmarkt boomt, müssen die Spielhallenbetreiber immer höhere Auflagen erfüllen. „Die Politik sollte diese Fehlentwicklung endlich wahrnehmen“, betont Fischer. Die Konsequenz für ihn: Zu wenigen legalen folgt „ein extremer Wildwuchs an illegalen Angeboten. Motorradclubs, Hinterzimmer oder gar Lagerhallen und Kellerräume werden zu illegalen Casinos umfunktioniert.“Hier gebe es keinen Jugend- oder Spielerschutz und kein Steueraufkommen. Fischer schlägt deshalb der Landespolitik vor, alle genehmigten Spielhallen-Standorte, die eine Konzession vor 2012 besessen haben, mit maximal zwölf Geräten zu erhalten.
Verlagert sich die Spielsucht jetzt ins Internet?
Das Online-Glücksspiel wächst – dort können Spieler jederzeit und ohne Abstandsgebote und Sperrzeiten zocken. Legale Online-Casinos seien zwar stark reglementiert, aber es fehle trotzdem jede soziale Kontrolle, so Fischer. Das sieht auch Jennifer Matthies so. Sie ist Sozialarbeiterin in der Fachstelle Sucht des baden-württembergischen Landesverbands für Prävention und Rehabilitation in Tuttlingen. Zwar seien die Süchtigen, die sich an die Fachstelle wenden, häufig noch klassische Automatenspieler, „aber sicher gibt es eine Verschiebung, denn das Internet ist voll von Angeboten, auch von illegalem Glücksspiel“, sagt sie.
Deswegen glaubt Matthies, dass die Dunkelziffer von Süchtigen im Online-Bereich deutlich höher ist. „Bei den Automatenspielern in den Spielhallen gibt es geschultes Personal zum Spielerschutz: Leute sprechen einen an, händigen einen Flyer aus. Im Online-Bereich fehlt das komplett.“Auch sie empfindet es für die Spielothekenbetreiber als ungerecht, dass „man den Spielhallen einerseits so viele Auflagen gibt und andererseits im Online-Bereich der Blick auf Spieler- und Jugendschutz komplett verloren geht. Das steht in keinem Verhältnis“, so Matthies.
Für viele sei Glücksspiel eine Art Ablenkung von den Alltagssorgen. Wenn dieses Verhalten zur Gewohnheit wird, kann das schnell zur Sucht führen. „Oft verheimlicht man, dass man in die Spielhalle geht“, sagt Matthies. Online ist die Anonymität umso größer. „Es gibt nur sehr wenige Online-Casinos mit deutscher Lizenz, die sich an die Regeln zur Vermeidung und Bekämpfung von Glücksspielsucht halten“, so Matthies.
Wie geht es weiter?
Ein bevorstehendes Urteil vor dem baden-württembergischen Verfassungsgerichtshof in Stuttgart könnte für viele Betreiber richtungsweisend sein. Den dieser prüft gerade die Umsetzung verschiedener Auswahlverfahren zur Schließung der Spielotheken – konkret geht es um Fälle in Mosbach und Karlsruhe. Eine gesetzliche Vorgabe, anhand welcher Kriterien ein solches Verfahren durchzuführen ist, gibt es nicht. Eine Klarstellung durch das Gericht ist für viele Spielhalleninhaber erforderlich, damit die Politik eindeutige Auswahlkriterien schafft. Eine Entscheidung im aktuellen Fall wird im März erwartet.