Ein doppelter Bruch
Wie es nach seinem Kritik-Interview mit Manuel Neuer und den Bayern weitergeht
- Eigentlich war die vergangene Woche zunächst höchst erfreulich verlaufen für den FC Bayern München. Mit der unverhofften Leihe von João Cancelo (28) kam man am Montag wie die Jungfrau zum Weltstar und der Rekordmeister konnte sich urplötzlich einen Traum von einer Verstärkung erfüllen, die spielerische und personelle Probleme ad hoc löst. Bei seinem Einstand zwei Tage später überzeugte der Portugiese, das souveräne 4:0 im DFB-Pokal-Achtelfinale in Mainz bedeutete den ersehnten ersten Pflichtspielerfolg des Jahres nach drei Remis in der Bundesliga.
Doch dann kam der Freitag – und die Bayern wurden kalt erwischt. Von Manuel Neuer und dessen Interviews, geführt mit der „Süddeutschen Zeitung“und dem Portal „The Athletic“, entgegen der sonst üblichen Praxis an der Medienabteilung des Vereins vorbei. Darin machte der Nationaltorhüter seiner Wut über die Entlassung des Torwarttrainers Toni Tapalovic, zugleich sein enger Freund und Trauzeuge, höchst emotional Luft. „Für mich war das ein Schlag, als ich bereits am Boden lag. Ich hatte das Gefühl, mir wird mein Herz rausgerissen. Das war das Krasseste, was ich in meiner Karriere erlebt habe“, sagte der 36Jährige, aktuell in der Reha nach seinem Unterschenkelbruch, erlitten bei einer Skitour im Dezember. Was nicht vergessen werden darf: Neuers Unfall bei einer – nicht verbotenen, aber umstrittenen – Freizeitgestaltung ist der Auslöser für all das, was anschließend passierte. Inklusive des mindestens acht Millionen Euro teuren Transfers von Ersatzmann Yann Sommer (34) von Borussia Mönchengladbach. Diese Ursächlichkeit erkennt die langjährige Nummer 1 des FC Bayern nicht. Neuer wirkt uneinsichtig. „Er spricht sich von allem frei und geht auf alles andere los“, findet Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus.
Welche Lawine dieses Interview nun losgetreten hat, werden der Torhüter und seine Berater gewusst haben, alles andere wäre naiv. Denn: Seine beleidigten Worte bedeuten im Vergleich zur Unterschenkelfraktur den schlimmeren Bruch, einen doppelten sogar. Einerseits mit Trainer Julian
Nagelsmann, da deren Zusammenarbeit durch den schweren gegenseitigen Vertrauensverlust geprägt sein wird. Andererseits könnte Neuers wütende Wortmeldung sogar das Ende der fast zwölfjährigen Erfolgsgeschichte zwischen dem Kapitän und dem FC Bayern einleiten.
Ein folgenschweres Eigentor. Hat Neuer am 12. November bei seinem Ex-Club FC Schalke, von dem er 2011 nach München gewechselt war, sein letztes von bis dato 488 Pflichtspielen für den FC Bayern bestritten? An den Status seiner sportlichen wie hierarchischen Unantastbarkeit glaubt wohl nur noch der Weltmeister von 2014 selbst. Ex-Nationalspieler und Sky-Experte Didi Hamann zur Frage, ob Neuer noch einmal für den Rekordmeister auflaufen werde: „Eher nein.“Und Matthäus meinte: „Es wird schwierig, dieses zerschnittene Tischtuch wieder zusammenzubringen.“
Falls Neuer noch eine Zukunft bei den Bayern hat, dann nur eine sehr ungemütliche. Zeitnah wird er sich bei
seinen Bossen Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic erklären müssen. Deren Reaktionen auf Neuers vereinskritisches Interview („Wir wollen als Bayern München anders – eine Familie – sein. Und dann passiert etwas, das ich so hier noch nicht erlebt habe“) sind eisig. Kahn erklärte, dessen Aussagen würden „weder ihm als Kapitän noch den Werten des FC Bayern gerecht“werden. Neuer habe „seine persönlichen Interessen über die Interessen des Clubs gestellt“, schimpfte Salihamidzic in „BamS“.
Auch Nagelsmann zeigte vor der Partie beim VfL Wolfsburg wenig verständnis für seinen verletzten Kapitän. „Ich aus meiner Perspektive hätte das Interview nicht gegeben, erst recht, wenn im selbigen zu lesen ist, dass der Club im Vordergrund steht“, sagte der Trainer bei DAZN. „Natürlich trägt das nicht gerade zur Ruhe bei.“Nagelsmann berichtete, dass er Neuer die Trennung von Tapalovic „weit vor dem Interview“unter vier Augen erläutert habe: „Den Weg, den ich gewählt
habe, es nicht öffentlich zu machen, ihm die Gründe zu nennen, warum es zu der Trennung kam, war in meinen Augen der richtige.“
Neuer wählte einen anderen Weg und muss nun mindestens mit einer schmerzhaften Geldstrafe rechnen – vergleichbar mit der Summe, die Philipp Lahm im November 2009 für ein nicht autorisiertes Interview voller Vereinskritik berappen musste. Mit Lahm arrangierte man sich bei Bayern. Der Kritiker wurde sogar Kapitän, beendete seine Karriere im Mai 2017 ohne gegenseitigen Groll.
Anders gestaltet sich der Fall Neuer. Eine vorzeitige Trennung in diesem Sommer würde ihn „nicht wundern“, schrieb Ex-Bayern-Kapitän Stefan Effenberg in seiner Kolumne bei „t-online“. Neuer müsse „darüber nachdenken“, ob ein Verbleib überhaupt noch sinnvoll sei. Der mehrmalige Welttorhüter selbst glaubt an seine Rückkehr, bei Bayern und in der Nationalelf, mit der er die Heim-EM 2024 bestreiten möchte. Reines Wunschdenken?