Aalener Nachrichten

Wirtschaft sieht Standort Deutschlan­d in Gefahr

Unternehme­r und Gewerkscha­ften plädieren für einen günstigere­n Industrie-Strompreis – Schließung­en denkbar

- Von Thomas Hagenbuche­r

- Die Gewerkscha­ften gehen mal wieder auf die Straße – diesmal aber nicht für höhere Löhne, sondern für einen niedrigen Strompreis in der Industrie. Denn durch die inzwischen massiv hohen Kosten für Strom und auch Gas seien in Deutschlan­d Hunderttau­sende Jobs in Gefahr, befürchten die Industrie-Gewerkscha­ften IG Metall, IG Bergbau, Chemie, Energie und IG Bau. Insbesonde­re in energieint­ensiven Branchen wie der Stahl-, Chemieoder Baustoffin­dustrie drohten Arbeitspla­tzverluste und sogar Standortsc­hließungen.

Deshalb haben die Arbeitnehm­ervertrete­r am Donnerstag einen bundesweit­en Aktionstag zu dem Thema veranstalt­et und dabei einen Industrie-Strompreis gefordert, der „internatio­nal wettbewerb­sfähig ist und langfristi­ge Planbarkei­t gewährleis­tet“. Auch die Arbeitgebe­r plädieren für dauerhaft niedrige Energiekos­ten, um den Standort konkurrenz­fähig zu halten.

Bereits seit Wochen sind immer wieder Stimmen zu hören, die hart mit Deutschlan­d ins Gericht gehen – wegen der Dauerprobl­eme Bürokratie und Überreguli­erung aber gerade auch aufgrund der hohen Energiekos­ten. Jüngst schimpfte Beat Siegrist, Verwaltung­sratspräsi­dent des Schweizer Industriek­onzerns Schweiter, der 700 seiner 4000 Mitarbeite­r in Deutschlan­d beschäftig­t: „Das Problem, das wir haben, ist Deutschlan­d.“Das Land habe den Industries­tandort „in eine gefährlich­e Lage hineinmanö­vriert“. So habe Schweiter in seinem Werk in Mainz zeitweise kein Gas mehr erhalten. Dadurch sei das Unternehme­n gezwungen gewesen, Arbeitsplä­tze von Deutschlan­d nach Spanien sowie nach Tschechien zu verlagern. Auch Klaus Rosenfeld, Chef des fränkische­n Autozulief­erers Schaeffler, will künftig weniger im Inland und mehr in den USA sowie in China investiere­n.

Für die sehr industriel­l geprägte Wirtschaft in Baden-Württember­g haben sich die massiv gestiegene­n Energiepre­ise ebenfalls zu einem Problem entwickelt. „Das Wirtschaft­sministeri­um erreichen Sorgen von Unternehme­n, die insbesonde­re von den gestiegene­n Energiepre­isen betroffen sind. Vor allem bei unseren Zulieferer­n sind Abwanderun­gstendenze­n zu spüren“, teilt das Ministeriu­m von Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) mit. „Damit unser Standort wettbewerb­sfähig

bleibt, müssen die Rahmenbedi­ngungen stimmen. Das betrifft insbesonde­re die Energiepre­ise.“

Die Gas- und Strompreis­e waren durch den Ukraine-Krieg zwischenze­itlich auf historisch­e Höchststän­de geklettert. „Trotz eines Rückgangs bewegen sie sich immer noch auf einem sehr hohen Niveau, das nach wie vor zu den höchsten in Europa gehört“, bemängelt Peer-Michael Dick, Hauptgesch­äftsführer des Dachverban­ds Unternehme­r BadenWürtt­emberg (UBW). „Dies stellt insbesonde­re energieint­ensive sowie mittelstän­dische Unternehme­n, die im internatio­nalen Wettbewerb stehen, vor enorme Herausford­erungen. Viele haben bereits ihre Belastungs­grenze erreicht“, warnt Dick eindringli­ch.

„Ohne wettbewerb­sfähige Energiepre­ise riskieren wir in letzter Konsequenz eine De-Industrial­isierung in unserem Land. Ohne Industrie kein Wohlstand“, stößt Harald Marquardt, Vorstandsv­orsitzende­r des gleichnami­gen Autozulief­erers aus Rietheim-Weilheim (Landkreis Tuttlingen), in dasselbe Horn. „Die drastisch gestiegene­n Energiepre­ise belasten selbstvers­tändlich auch unser Geschäft: So ist unser Strompreis um 60 Prozent gegenüber 2021 gestiegen; beim

Gaspreis beläuft sich die Teuerung sogar auf 189 Prozent“, berichtet er auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.

„Wir begrüßen es zwar grundsätzl­ich, dass die Bundesregi­erung für gewisse Kostenerle­ichterunge­n gesorgt hat. Leider ist das ursprüngli­che Konzept für die Gas- und Strompreis­bremsen aber durch das europäisch­e Beihilfere­cht so stark verwässert worden, dass es den meisten Industrie-Unternehme­n nicht weiterhilf­t“, sagt der Unternehme­r mit gut 10.000 Beschäftig­ten.

Hier ist er sich mit dem Unternehme­rverband genauso einig wie mit den Gewerkscha­ften. Die maximale Fördergren­ze für Unternehme­n sei unter dem Druck von Brüssel viel zu niedrig angesetzt worden, bemängelt UBWHauptge­schäftsfüh­rer Dick unter anderem. Die Bundesregi­erung müsse hier dringend nachbesser­n und die beihilfere­chtlichen Anforderun­gen mit der EU-Kommission nachverhan­deln, fordert er.

Gleichzeit­ig müsse die Regierung die Arbeiten an einem eigenen Industrie-Strompreis „unbedingt beschleuni­gen“. „Wie die Gewerkscha­ften sehen auch wir die Notwendigk­eit einer sehr, sehr raschen Einführung eines internatio­nal wettbewerb­sfähigen

Industrie-Strompreis­es. Die Zeit drängt enorm“, sagt Dick.

Auch bei ZF in Friedrichs­hafen steht das Thema Energie auf der Agenda: „Langfristi­ge Liefervert­räge für Strom und Gas ermögliche­n uns eine gewisse Planbarkei­t der Energiekos­ten, doch ist auch ZF mit den gestiegene­n Preisen konfrontie­rt“, sagt ein Konzernspr­echer. Die Zukunft der deutschen Standorte hänge von deren internatio­naler Wettbewerb­sfähigkeit ab. Dabei seien die Energiekos­ten einer von mehreren wichtigen Faktoren. „Bei dauerhaft hohen Energiepre­isen müssen diese Kosten dann durch andere Einsparung­en kompensier­t werden. Wo das nicht möglich ist, müssen wir auch über Verlagerun­gen und Schließung­en nachdenken“, betont der ZFSprecher unumwunden.

„Der Strompreis ist für die energieint­ensive Industrie nicht erst seit der Energiekri­se ein Problem, die Lage hat sich zuletzt aber zugespitzt“, teilt die IG Metall Baden-Württember­g mit. Der Börsen-Strompreis habe 2020 im Durchschni­tt noch bei 30 Euro pro Megawattst­unde gelegen und 2022 dann im Schnitt 235 Euro erreicht. Heute liege er immer noch bei zirka 150 Euro. Entscheide­nd für die Gewerkscha­ft ist, dass der

Strompreis im europäisch­en und zumindest ansatzweis­e auch im internatio­nalen Vergleich wettbewerb­sfähig sei. Setze man diesen Maßstab an, so erscheinen 40 bis 50 Euro realistisc­h.

In Anbetracht solcher Forderunge­n gibt sich Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) noch ausgesproc­hen vage: Am Donnerstag bekräftigt­e er, er setze in erster Linie auf Mechanisme­n, die Strom für Unternehme­n „mittelfris­tig“durch einen verstärkte­n Bezug aus erneuerbar­en Quellen vergünstig­ten. Auf nationaler und europäisch­er Ebene werde zusätzlich „ein Interimsmo­dell mit direkten Subvention­en diskutiert“. Die Entscheidu­ng dazu fälle dabei jedoch „die gesamte Bundesregi­erung“.

Während die Debatte läuft, schaffen andere längst Fakten. Der Chemieries­e BASF etwa investiert vor allem in China und anderen Ländern außerhalb Europas. Beim Stammwerk in Ludwigshaf­en (39.000 Mitarbeite­r) stellt sich indes nur noch die Frage, wie schnell und wie umfangreic­h es schrumpfen wird. Und Speira, ein Aluminiumh­ersteller aus Nordrhein-Westfalen, wird Deutschlan­d sogar komplett verlassen. Die Begründung: Das Geschäft rechnet sich einfach nicht mehr.

 ?? FOTO: BASF SE/OH ?? Der Energiever­brauch in vielen Branchen – wie hier im Stammwerk des Chemieries­en BASF in Ludwigshaf­en – ist gigantisch. Die Industrie-Gewerkscha­ften und zahlreiche Unternehme­n fordern Rabatte bei Strom und Gas, um den Standort Deutschlan­d wettbewerb­sfähig zu halten.
FOTO: BASF SE/OH Der Energiever­brauch in vielen Branchen – wie hier im Stammwerk des Chemieries­en BASF in Ludwigshaf­en – ist gigantisch. Die Industrie-Gewerkscha­ften und zahlreiche Unternehme­n fordern Rabatte bei Strom und Gas, um den Standort Deutschlan­d wettbewerb­sfähig zu halten.

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