Aalener Nachrichten

Pünktlich wie ein Schweizer Uhrwerk

Was die Bundesbahn­en beim Nachbarn besser machen – Das hat aber seinen Preis

- Von Jan Dirk Herbermann ●

- Regelmäßig­e Investitio­nen und ein Taktfahrpl­an garantiere­n den nahezu reibungslo­sen Verkehr bei den Schweizeri­schen Bundesbahn­en (SBB). Doch häufen die SBB Milliarden-Schulden an und fahren Verluste ein. Taugen die Eidgenosse­n anderen Europäern als Vorbild?

Wer mit einem ICE der Deutschen Bahn in die Schweiz reist, dem droht doppeltes Ungemach. So muss ein Passagier mit der fast obligaten Verspätung innerhalb des deutschen Streckenne­tzes rechnen. Sobald diese Verzögerun­g eine bestimmte Länge überschrei­tet, verweigern die Schweizer dem deutschen ICE die Einfahrt nach Basel SBB. Für den ICE ist dann Endstation in Basel Badischer Bahnhof, den die Deutsche Bahn betreibt.

Die Fahrgäste müssen dann den Nahverkehr bemühen, um nach Basel SBB zu kommen. Umgekehrt kommt es so gut wie nie vor, dass die Deutschen einem aus der Schweiz kommenden Zug die Einfahrt nicht gestatten. Der Grund: Die beeindruck­ende Pünktlichk­eit der Schweizeri­schen Bundesbahn­en (SBB), deren Anfänge vor mehr als 175 Jahren liegen. Das Einhalten der Fahrpläne gehört zum Selbstvers­tändnis der SBB und prägt auch das Image der ganzen Schweiz mit.

Die Zuverlässi­gkeit der SBB hat jedoch ihren Preis – das staatliche Unternehme­n steckt tief in den roten Zahlen und fährt Verluste im dreistelli­gen Millionenb­ereich ein. „Die finanziell­e Situation bleibt angespannt“, mussten die SBB nun wieder bei der Bilanzvors­tellung für 2022 einräumen.

Die Nettoversc­huldung der SBB stieg voriges Jahr auf 11,38 Milliarden Schweizer Franken an (11,65 Milliarden Euro). Das Jahreserge­bnis blieb 2022 mit minus 245 Millionen Franken erneut negativ: In den beiden Jahren zuvor beliefen sich die Verluste auf 325 Millionen Franken und 617 Millionen Franken. Privatfirm­en kämen bei diesen Zahlen in Absturznäh­e. Um wieder in die Spur zu kommen, wollen die SBB bis 2030 rund sechs Milliarden Franken einsparen, etwa durch mehr Digitalisi­erung.

Während die Bilanz bei den SBB-Chefs Sorgen auslöst, können sie sich mit anderen Zahlen schmücken: „Die Personenzü­ge der SBB verkehrten 2022 insgesamt sehr pünktlich: 92,5 Prozent kamen pünktlich an“, heißt es aus der Zentrale in Bern. Die SBB betrachten einen Zug dann als pünktlich, „wenn er mit weniger als drei Minuten Verspätung am Zielbahnho­f eintrifft“.

Mit ihren Pünktlichk­eitswerten belegen die Schweizer im europäisch­en Vergleich regelmäßig einen Spitzenpla­tz – weit vor der Deutschen Bahn. Doch warum hängen die SBB die anderen Eisenbahng­esellschaf­ten so deutlich ab? Eine Kombinatio­n aus guter Organisati­on und regelmäßig­en Investitio­nen garantiere­n hauptsächl­ich den nahezu reibungslo­sen SBB-Verkehr.

Strukturie­rt wir der gesamte Betrieb der SBB seit 1982 durch den Taktfahrpl­an. Der SBB-Ingenieur und Tüftler Samuel Stähli hatte die Grundzüge für den Taktfahrpl­an entworfen und damit die Schweizer Wesensart, pünktlich zu erscheinen, in ein bis heute gültiges Mobilitäts­konzept überführt. Der Taktfahrpl­an soll laut SBB gewährleis­ten, dass Passagiere die Anschlüsse auf der Hin- und der Rückfahrt erreichen. Die Züge kreuzen oder begegnen sich immer am gleichen Ort und zur gleichen Minute. „In den Knotenbahn­höfen kommen die Züge vor der Knotenzeit an und fahren nach der Knotenzeit ab“, heißt es. Am Bahnhof der Bundesstad­t Bern etwa konzentrie­ren sich die Fernzüge um die volle und halbe Stunde, Regionalzü­ge hingegen um die Minuten 15 und 45. „Die Schweiz ist für einen Integralen Taktfahrpl­an gut geeignet, da das Hauptsiedl­ungsgebiet eher langgestre­ckt und wenig gebirgig ist“, schreiben Verkehrsex­perten auf dem Portal www.Forschungs­informatio­nssystem.de. „Die wichtigste­n Knoten sind in etwa gleich weit voneinande­r entfernt, mit einer Fahrzeit zwischen benachbart­en Städten von etwa einer halben Stunde.“

Zudem spielen Emotionen und das Geld bei den südlichen Nachbarn eine gewichtige Rolle: Die Schweizer lieben ihre pünktliche Bahn. Entspreche­nd großzügig handelt die Regierung, der Bundesrat: „Die Politik hat ihr Herz für die Bahn schon oft unter Beweis gestellt“, analysiert die liberale „Neue Zürcher Zeitung“, die das Finanzgeba­ren der SBB kritisch begleitet. „Es gehört zur Tradition helvetisch­er Verkehrspo­litik, dass der Bundesrat große Pakete für den Bahnausbau präsentier­t, die daraufhin vom Parlament weiter vergrößert werden“, heißt es.

Kein Wunder, dass die Schweiz bei den staatliche­n Investitio­nen in das Schienenne­tz europaweit regelmäßig vorne liegt: Im Jahr 2021 gaben die Eidgenosse­n laut einer Aufstellun­g der „Allianz pro Schiene“pro Einwohner 413 Euro aus und erklommen den zweiten Platz. Einen ersten Platz sicherten sich die Schweizer mit dem 2016 eröffneten GotthardBa­sistunnel, der die Reisezeit von Nord- nach Südeuropa verkürzt. Mit 57 Kilometern bohrten die Schweizer den längsten Eisenbahnt­unnel der Welt.

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FOTO: IMAGO Zuverlässi­g und fast immer minutengen­au pünktlich: Ein SBB-Zug am Bahnhof Interlaken West in der Schweiz.

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