Schicksale der Geflüchteten im Kloster
Im Klosterhospiz Neresheim leben viele Menschen, die ihre Heimat verloren haben
- „Das ist hier eine ruhige Gemeinschaft mit viel Hilfsbereitschaft und einem guten Miteinander.“So beschreibt Renate Huober die ihr anvertrauten Menschen. Sie ist Leiterin der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge auf dem Ulrichsberg.
Dort haben Frauen, Kinder und Männer Zuflucht gefunden, die der Angriffskrieg in der Ukraine von einem Tag auf den anderen gezwungen hat, in ein fremdes Land zu f liehen.
Es sind nicht nur Menschen, die in der Ukraine zumindest vorübergehend ihre Heimat verloren haben, sondern auch solche, die aus anderen Ländern kamen und dort studiert oder gearbeitet haben.
Viele tragische Schicksale sind in den Räumen des Klosterhospizes versammelt bis hin zu Kleinkindern, die, gerade erst auf die Welt gekommen, von ihren Eltern bereits vor den Attacken einer fremden Macht in Sicherheit gebracht werden mussten.
„Mit unserer Entscheidung von vor einem Jahr, im bisherigen Tagungshaus und im MartinKnoller-Haus Flüchtlingen eine erste Beheimatung anzubieten, bin ich glücklich. Dieses mittelfristige Engagement passt wirklich gut zu uns als Christen und Benediktinermönchen“, sagt Pater Albert, als Konventualprior Leiter der Mönchsgemeinschaft des Neresheimer Klosters. Schutz geboten hat sie damit beispielsweise Natascha. Sie lebte mit ihrem Mann in der Nähe der ukrainischen Hauptstadt. In Kiew betrieben sie einen Vertrieb für Kaffee und Kaffeemaschinen. Ihre Kunden, Cafés in der Metropole, und damit ihr Geschäft haben sie wegen des Krieges verloren. Als die russische Armee kurz vor Silvester Kiew mit Drohnen angriff und immer wieder der Strom ausfiel, bat ihr Mann sie, das Land zu verlassen. Er selbst ging zur Armee. Telefonisch und über Messengerdienste hält sie Kontakt mit ihm. „Ich fühle mich schlecht“, sagt sie einerseits, andererseits gefällt es ihr auf dem Härtsfeld. Die Atmosphäre im Kloster sei besonders gut und eine so schöne Kirche wie das herrliche Gotteshaus von Balthasar Neumann in unmittelbarer Nähe zu haben, sei ein Privileg. Seit zwei Monaten ist sie hier, paukt f leißig Deutsch, ist aber auch viel draußen, am Härtsfeldsee etwa. Gespendete Fahrräder leisten hier gute Dienste.
Walerija ist mit ihrem fünf Jahre alten Buben in der Gemeinschaftsunterkunft, sie fühlen sich in Frieden und Sicherheit hier. Sie stammen aus der Gegend
von Dnipopetrowsk und wohnten sechs Kilometer vom Atomkraftwerk Saporischja entfernt. Walerija hat einen Sozialdienst von 33 Sozialarbeitern geleitet, der sich um ältere Menschen kümmert. Nach einem russischen Raketenangriff im August ist sie geflohen, ihr Bub hat wegen des ständigen Kriegslärms und der täglichen Beschüsse Todesängste ausgestanden. In Neresheim fühlt der Kleine sich wohl, hat hier auch Spielkameraden, vermisst aber seinen Papa, seine Oma und seine Freunde sehr.
Brice ist Kameruner und war einer der ersten Flüchtlinge in der Gemeinschaftsunterkunft. Er hat in der Ukraine Agrokultur studiert und in Kiew in einem Restaurant gejobbt. Hautnah hat er am 24. Februar vergangenen Jahres morgens um 5 Uhr die ersten russischen Angriffe auf die Hauptstadt mitbekommen, und seine Familie in der fernen Heimat mahnte ihn telefonisch dringend, sich in Sicherheit zu bringen. In der Großstadt Lwiw im Westen der Ukraine hoffte er, sicher zu sein, aber dies zerschlug sich bald. Ein Freund schickte ihm ein Bild vom dortigen Bahnhof, wo sich die Menschen nur so um die Züge drängten. Zwei Tage musste er warten, bis er einen besteigen konnte. Zum Bahnhof wollte er eine schwangere Nigerianerin mitnehmen. Zuerst brachte er deren achtjährige Tochter hin und dann kehrte er zurück, um auch die Mutter abzuholen.
Aber die war in dem Gedränge in der Zwischenzeit in der Menge zu Tode getrampelt worden, erzählt er.
So machte er sich mit dem Mädchen auf den Weg nach Warschau, brachte es aber unterwegs nicht übers Herz, der Kleinen, die immer wieder nach ihrer Mutter rief, zu erzählen, dass diese tot ist. An der Grenze nahmen die polnischen Behörden das Kind in ihre Obhut. Brice kam über Dortmund in die Landeserstaufnahmestelle (LEA) nach Ellwangen und von dort aus nach Neresheim. Inzwischen hat er in Deutschland Asyl beantragt, denn nach Kamerun kann er nicht zurück. Dort herrscht ebenfalls Krieg.
Auch Mr. Singh kann nicht in seine Heimat zurück. Er ist zwar Inder und nicht politisch verfolgt, aber in Indien würde er kein Visum für die Ukraine bekommen. In Poltawa in der Nähe der Großstadt Charkiw haben er und seine Frau Medizin studiert. Er ist Assistenzarzt und hat seine Ausbildung fast abgeschlossen. Als der Krieg im vergangenen Frühjahr begann, kehrte er nach Indien zurück, erhielt später aber einen Anruf, dass nun Prüfungen anstünden. Als er wieder in Poltawa war, kam es dort zu heftigen Drohnenangriffen der russischen Armee. Nach Indien f liehen konnte Singh nicht, denn dann hätte er sein Visum verloren und sein Studium nicht abschließen können. Und so suchten er und seine Frau Zuflucht in Deutschland,
wo sie aber als so genannte Drittstaatenangehörige einen ungeklärten rechtlichen Status haben. Er und seine Frau fühlen sich hier wohl, studieren online weiter und wollen ihre Ausbildung abschließen. Singh möchte auch in Deutschland gerne arbeiten und wartet darauf, dass er an einem Sprachkurs der VHS Ostalb teilnehmen kann.
Dies sind vier Schicksale von vielen. In der Gemeinschaftsunterkunft im Kloster Neresheim sind zurzeit 94 Menschen untergebracht, 68 Erwachsene und 26 Kinder. Von ihnen wiederum sind 13 zwischen einem und neun Jahre alt, acht sind zehn bis 14 und fünf 15 bis 18 Jahre alt. Auf dem Ulrichsberg läuft es gut, erzählt Carsten Hiller. Sein Geschäftsbereich Integration und Versorgung im Landratsamt ist für die Gemeinschaftsunterkünfte im Ostalbkreis verantwortlich.
Diesen Eindruck bestätigt Pater Albert: „Aus meiner Sicht und der meiner Mitbrüder läuft die Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in unserem Kloster gut. Soweit ich höre, fühlen sich die Flüchtlinge in unserer Klosteranlage wohl. Die Zusammenarbeit mit Herrn Landrat Dr. Bläse und seinem Team im Landratsamt kann ich nur als sehr erfreulich bezeichnen.“
Natascha hat zum Schluss des Gesprächs noch einen Wunsch für die Zeit nach dem Krieg: „Sie sind in der Ukraine dann herzlich willkommen!“