Aalener Nachrichten

Schicksale der Geflüchtet­en im Kloster

Im Klosterhos­piz Neresheim leben viele Menschen, die ihre Heimat verloren haben

- Von Viktor Turad

- „Das ist hier eine ruhige Gemeinscha­ft mit viel Hilfsberei­tschaft und einem guten Miteinande­r.“So beschreibt Renate Huober die ihr anvertraut­en Menschen. Sie ist Leiterin der Gemeinscha­ftsunterku­nft für Flüchtling­e auf dem Ulrichsber­g.

Dort haben Frauen, Kinder und Männer Zuflucht gefunden, die der Angriffskr­ieg in der Ukraine von einem Tag auf den anderen gezwungen hat, in ein fremdes Land zu f liehen.

Es sind nicht nur Menschen, die in der Ukraine zumindest vorübergeh­end ihre Heimat verloren haben, sondern auch solche, die aus anderen Ländern kamen und dort studiert oder gearbeitet haben.

Viele tragische Schicksale sind in den Räumen des Klosterhos­pizes versammelt bis hin zu Kleinkinde­rn, die, gerade erst auf die Welt gekommen, von ihren Eltern bereits vor den Attacken einer fremden Macht in Sicherheit gebracht werden mussten.

„Mit unserer Entscheidu­ng von vor einem Jahr, im bisherigen Tagungshau­s und im MartinKnol­ler-Haus Flüchtling­en eine erste Beheimatun­g anzubieten, bin ich glücklich. Dieses mittelfris­tige Engagement passt wirklich gut zu uns als Christen und Benediktin­ermönchen“, sagt Pater Albert, als Konventual­prior Leiter der Mönchsgeme­inschaft des Neresheime­r Klosters. Schutz geboten hat sie damit beispielsw­eise Natascha. Sie lebte mit ihrem Mann in der Nähe der ukrainisch­en Hauptstadt. In Kiew betrieben sie einen Vertrieb für Kaffee und Kaffeemasc­hinen. Ihre Kunden, Cafés in der Metropole, und damit ihr Geschäft haben sie wegen des Krieges verloren. Als die russische Armee kurz vor Silvester Kiew mit Drohnen angriff und immer wieder der Strom ausfiel, bat ihr Mann sie, das Land zu verlassen. Er selbst ging zur Armee. Telefonisc­h und über Messengerd­ienste hält sie Kontakt mit ihm. „Ich fühle mich schlecht“, sagt sie einerseits, anderersei­ts gefällt es ihr auf dem Härtsfeld. Die Atmosphäre im Kloster sei besonders gut und eine so schöne Kirche wie das herrliche Gotteshaus von Balthasar Neumann in unmittelba­rer Nähe zu haben, sei ein Privileg. Seit zwei Monaten ist sie hier, paukt f leißig Deutsch, ist aber auch viel draußen, am Härtsfelds­ee etwa. Gespendete Fahrräder leisten hier gute Dienste.

Walerija ist mit ihrem fünf Jahre alten Buben in der Gemeinscha­ftsunterku­nft, sie fühlen sich in Frieden und Sicherheit hier. Sie stammen aus der Gegend

von Dnipopetro­wsk und wohnten sechs Kilometer vom Atomkraftw­erk Saporischj­a entfernt. Walerija hat einen Sozialdien­st von 33 Sozialarbe­itern geleitet, der sich um ältere Menschen kümmert. Nach einem russischen Raketenang­riff im August ist sie geflohen, ihr Bub hat wegen des ständigen Kriegslärm­s und der täglichen Beschüsse Todesängst­e ausgestand­en. In Neresheim fühlt der Kleine sich wohl, hat hier auch Spielkamer­aden, vermisst aber seinen Papa, seine Oma und seine Freunde sehr.

Brice ist Kameruner und war einer der ersten Flüchtling­e in der Gemeinscha­ftsunterku­nft. Er hat in der Ukraine Agrokultur studiert und in Kiew in einem Restaurant gejobbt. Hautnah hat er am 24. Februar vergangene­n Jahres morgens um 5 Uhr die ersten russischen Angriffe auf die Hauptstadt mitbekomme­n, und seine Familie in der fernen Heimat mahnte ihn telefonisc­h dringend, sich in Sicherheit zu bringen. In der Großstadt Lwiw im Westen der Ukraine hoffte er, sicher zu sein, aber dies zerschlug sich bald. Ein Freund schickte ihm ein Bild vom dortigen Bahnhof, wo sich die Menschen nur so um die Züge drängten. Zwei Tage musste er warten, bis er einen besteigen konnte. Zum Bahnhof wollte er eine schwangere Nigerianer­in mitnehmen. Zuerst brachte er deren achtjährig­e Tochter hin und dann kehrte er zurück, um auch die Mutter abzuholen.

Aber die war in dem Gedränge in der Zwischenze­it in der Menge zu Tode getrampelt worden, erzählt er.

So machte er sich mit dem Mädchen auf den Weg nach Warschau, brachte es aber unterwegs nicht übers Herz, der Kleinen, die immer wieder nach ihrer Mutter rief, zu erzählen, dass diese tot ist. An der Grenze nahmen die polnischen Behörden das Kind in ihre Obhut. Brice kam über Dortmund in die Landeserst­aufnahmest­elle (LEA) nach Ellwangen und von dort aus nach Neresheim. Inzwischen hat er in Deutschlan­d Asyl beantragt, denn nach Kamerun kann er nicht zurück. Dort herrscht ebenfalls Krieg.

Auch Mr. Singh kann nicht in seine Heimat zurück. Er ist zwar Inder und nicht politisch verfolgt, aber in Indien würde er kein Visum für die Ukraine bekommen. In Poltawa in der Nähe der Großstadt Charkiw haben er und seine Frau Medizin studiert. Er ist Assistenza­rzt und hat seine Ausbildung fast abgeschlos­sen. Als der Krieg im vergangene­n Frühjahr begann, kehrte er nach Indien zurück, erhielt später aber einen Anruf, dass nun Prüfungen anstünden. Als er wieder in Poltawa war, kam es dort zu heftigen Drohnenang­riffen der russischen Armee. Nach Indien f liehen konnte Singh nicht, denn dann hätte er sein Visum verloren und sein Studium nicht abschließe­n können. Und so suchten er und seine Frau Zuflucht in Deutschlan­d,

wo sie aber als so genannte Drittstaat­enangehöri­ge einen ungeklärte­n rechtliche­n Status haben. Er und seine Frau fühlen sich hier wohl, studieren online weiter und wollen ihre Ausbildung abschließe­n. Singh möchte auch in Deutschlan­d gerne arbeiten und wartet darauf, dass er an einem Sprachkurs der VHS Ostalb teilnehmen kann.

Dies sind vier Schicksale von vielen. In der Gemeinscha­ftsunterku­nft im Kloster Neresheim sind zurzeit 94 Menschen untergebra­cht, 68 Erwachsene und 26 Kinder. Von ihnen wiederum sind 13 zwischen einem und neun Jahre alt, acht sind zehn bis 14 und fünf 15 bis 18 Jahre alt. Auf dem Ulrichsber­g läuft es gut, erzählt Carsten Hiller. Sein Geschäftsb­ereich Integratio­n und Versorgung im Landratsam­t ist für die Gemeinscha­ftsunterkü­nfte im Ostalbkrei­s verantwort­lich.

Diesen Eindruck bestätigt Pater Albert: „Aus meiner Sicht und der meiner Mitbrüder läuft die Gemeinscha­ftsunterku­nft für Flüchtling­e in unserem Kloster gut. Soweit ich höre, fühlen sich die Flüchtling­e in unserer Klosteranl­age wohl. Die Zusammenar­beit mit Herrn Landrat Dr. Bläse und seinem Team im Landratsam­t kann ich nur als sehr erfreulich bezeichnen.“

Natascha hat zum Schluss des Gesprächs noch einen Wunsch für die Zeit nach dem Krieg: „Sie sind in der Ukraine dann herzlich willkommen!“

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FOTO: VIKTOR TURAD Die in der Gemeinscha­ftsunterku­nft des Kreises im Kloster Neresheim untergebra­chten Flüchtling­e lernen täglich deutsch.

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