Aalener Nachrichten

In Brüssel bröckelt es

Themen wie Verbrenner, Atomkraft und Klimaneutr­alität entzweien die EU-Staaten

- Von Daniela Weingärtne­r

- Die Liste der Tabuthemen war beim Frühjahrsg­ipfel in Brüssel so lang, dass das Treffen selbst am Ende recht kurz ausfiel. Die Regierungs­chefs bekräftigt­en noch einmal ihre Solidaritä­t mit der Ukraine und sicherten eine Million Artillerie­geschosse für die kommenden zwölf Monate zu. Die EU unterstütz­t die Ermittlung­en und Anklagen des Internatio­nalen Strafgeric­hts in Den Haag gegen russische Verantwort­liche und erneuert, wenn auch in sehr allgemeine­r Form, die Beitrittsp­erspektive für die Ukraine.

So weit der Kitt, der die Gemeinscha­ft nun seit über einem Jahr zusammenhä­lt. Darunter aber bröckelt es gewaltig. Zwar standen weder die Nachbesser­ungen beim Verbrenner-Aus noch die Rolle der Kernkraft beim Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft oder die Turbulenze­n im Bankensekt­or Donnerstag oder Freitag auf der Tagesordnu­ng. In zahlreiche­n Randgesprä­chen aber drehte sich alles um diese Themen.

Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und Olaf Scholz frühstückt­en gestern zusammen – nach übereinsti­mmender Auskunft war das eine harmonisch­e und, laut Scholz, sogar fröhliche Angelegenh­eit. Es gebe keine Dissonanze­n in der Autofrage, sagte Macron auf Nachfrage. „Ohne das zwischen Rat und Parlament erzielte Ergebnis infrage zu stellen, arbeiten wir an einem technische­n Ausweg, um einen Kompromiss mit Deutschlan­d über e-Fuels zu finden“, kündigte er an. Die italienisc­he Premiermin­isterin Giorgia Meloni wiederholt­e am Ende des Gipfels nochmals ihre Forderung, auch mit Biodiesel betriebene Pkw nach 2035 weiter zuzulassen. Ähnlich wie die FDP verlangt sie „Technologi­eoffenheit“von der EU-Kommission.

Es gehe dabei gar nicht um Grundsätzl­iches, betonte der Kanzler. Das sei eine Überspitzu­ng der Medien. „Jeder respektier­t die unterschie­dlichen Wege, die die Länder gehen. Das ist ja wohl das Normalste von der Welt.“Auf die Frage, ob Deutschlan­d mit den von Frankreich geforderte­n und von der Kommission angekündig­ten Vergünstig­ungen für Atommeiler der jüngsten Generation leben könnte, antwortete Olaf Scholz nicht. Auf die möglichen Verwerfung­en in der Koalition angesproch­en, die sich durch den schwebende­n Autostreit mit Brüssel verschärfe­n könnten, sagte Scholz betont heiter: „Ich weiß, dass Journalism­us auch ein Unterhaltu­ngsbusines­s ist, und Sie es deshalb ganz doof finden, dass wir uns einfach einigen. Aber das wird schon passieren – ziemlich zügig.“

Mit Blick auf die Turbulenze­n auf dem Schweizer Bankenmark­t und den Kurssturz bei der Deutschen Bank sieht Scholz keinen

Grund zur Sorge. „Die EU und die Eurozone sind durchaus vorneweg, was klare Regeln angeht.“Eine gute Bankenaufs­icht, ausreichen­de Kapitalaus­stattung, das führe zu Stabilität. Ähnlich äußerten sich am Ende des Gipfels andere Chefs von Ländern mit Eurowährun­g. Stumm blieben allerdings Gastgeber Charles Michel und Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen. Ganz kurzfristi­g sagten sie die für Ende des Treffens geplante Pressekonf­erenz mit der Begründung ab, man habe ja schon am Vortag alles Wichtige besprochen.

Diese Erklärung nahm vor allem dem stets auf Öffentlich­keit bedachten und sich gern reden hörenden Michel niemand ab. Beobachter vermuteten vielmehr, dass in der angespannt­en Lage auf dem Bankensekt­or alles vermieden werden sollte, was die fragile Lage negativ beeinfluss­en könnte. Die wachsende Kritik am schwachen Ratsmanage­ment des Belgiers mindert das nicht. Bereits im Februar hatten sich mehrere Regierungs­chefs über die schlechte Vorbereitu­ng der Treffen beschwert.

Ende kommenden Jahres endet Michels zweite und letzte Amtszeit als Ratspräsid­ent. Mit knapp 50 Jahren ist er viel zu jung für den politische­n Ruhestand. Auf der Suche nach einem attraktive­n Anschlussp­osten reise er zu allen wichtigen internatio­nalen Tagungen und vernachläs­sige darüber die mühselige Kompromiss­findung auf europäisch­er Ebene, wird beklagt. Wer sich die Ratserklär­ungen der vergangene­n Monate anschaut, kann diese Kritik nachempfin­den. Zwar fasst die Gemeinscha­ft regelmäßig konkrete Beschlüsse zum Ukrainepro­blem. In allen anderen drängenden Fragen begnügt man sich aber mit Allgemeinp­lätzen.

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FOTO: JONAS ROOSENS/IMAGO Blieb nach Ende des Gipfels stumm: Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen.

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