Am Patienten gespart?
Zahnärzte kritisieren Budget-Obergrenze – Parodontitis-Behandlung besonders betroffen
- Für Hausärzte hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gerade die strengen Budgetregeln gekippt. Neben anderen Fachärzten gilt aber auch für Zahnärzte: Sie können nur so viele Behandlungen abrechnen, wie ihnen ein vorab oder sogar erst nachträglich festgelegtes Budget zugesteht. Was das bedeutet, welche Konsequenzen das für Patienten hat und wie viel Geld den Zahnärzten tatsächlich fehlt.
Was genau meint eine BudgetObergrenze für Zahnarzthonorare?
Zahnärzten in Deutschland steht in jedem Jahr eine gewisse Höchstsumme zur Verfügung, die sie mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen dürfen. Sprich: Wenn aus Sicht des Arztes mehr Patienten eine bestimmte Behandlung bräuchten, als im Budget vorgesehen, bekommt er die Behandlung nicht von der Kasse vergütet. Für das Jahr 2020 lag das Budget etwa bei 11,6 Milliarden Euro. Die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZVen) der Länder verhandeln dabei das Budget eines Jahres mit den gesetzlichen Krankenkassen. Grundlage ist stets das Budget des Vorjahres. Die Budget-Obergrenze ist also nicht neu.
Warum regt sich unter Zahnärzten Widerstand?
Im Zuge der Corona-Pandemie wurde in den Jahren 2021 und 2022 die bis dahin übliche Budgetierung ausgesetzt. Für die derzeitigen Verhandlungen zu den Budgets 2023 und 2024 fehlt daher ein exakter Referenzwert. Über diesen streiten die Krankenkassen derzeit mit den KZVen der Länder. Grundsätzlich rechnen Zahnärzte monatsweise ihre Leistungen mit den Krankenkassen ab. Weil das Budget für das vergangene Jahr noch nicht feststeht, wissen die Zahnärzte nicht wie viel, von dem, was sie bereits abgerechnet haben, ihnen tatsächlich bleibt. Viele fürchten hohe Rückzahlungen.
Was bedeuten die Einsparungen für Patienten?
Weil sie ihr Budget für das kommende Jahr nicht kennen, sind Zahnärzte insbesondere mit Blick auf Neubehandlungen zurückhaltend. Das betrifft vor allem Parodontitispatienten. Erst 2021 war eine neue Richtlinie in Kraft getreten, die unter anderem eine bis zu dreijährige Behandlung für chronische Zahnfleischerkrankung vorsieht. Durch die fehlenden Millionen könnten diese zum Teil nicht wie geplant zu Ende geführt und nötige Neubehandlungen nicht begonnen werden, warnt die KZV Baden-Württemberg.
Was genau ist Parodontitis?
Parodontitis ist eine Zahnfleischentzündung mit anschließendem Zahnfleischschwund, ausgelöst durch Bakterien. Ursache sind vielfach Essensreste und allgemein eine schlechte Mundhygiene. Laut der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) sind parodontale Erkrankungen die häufigste Ursache für Zahnverluste. Rund 35 Millionen Menschen in Deutschland sind betroffen. Der Bundesverband spricht von einer Volkskrankheit, die sich auch negativ auf allgemeine Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, Rheuma oder Diabetes mellitus auswirkt. Eine regelmäßige Zahnsteinentfernung, sowie das Abtragen entzündeter Zahnfleischtaschen sind unter anderem Teil der Behandlung.
Warum sind gerade Parodontitispatienten betroffen?
Anders als akuter Zahnschmerz ist Parodontitis eine schleichende Erkrankung, die unbehandelt nicht sofort zu Problemen führt. Eine Parodontitis kann also vom Patienten zunächst unbemerkt bleiben. Dass Zahnärzte bereits am Patienten sparen, belegen die bundesweiten Zahlen: Lagen die monatlichen Neubehandlungen von 2021 an dauerhaft zwischen 100.000 und 170.000, sanken sie im ersten Halbjahr 2023 bis auf 92.000 und damit auf das Niveau vor Einführung der neuen Behandlungsrichtlinie. Allein 2022 verursachten Parodontitisbehandlungen Kosten von rund ei
ner Milliarde Euro. Weil sie zunächst unbemerkt bleibt, liefert die Parodontitis für Zahnärzte somit ein großes Sparpotential.
Kann ein Zahnarzt eine Behandlung ablehnen, weil sein Budget aufgebraucht ist?
Nein. Zahnärzte sind gesetzlich verpflichtet alle notwendigen Behandlungen vorzunehmen. Mit Blick auf die zu erwartenden Budgetkürzungen werden Zahnärzte die Notwendigkeit einer Behandlung jedoch kritisch prüfen und gegebenenfalls von einer Behandlung absehen. Die AOK BadenWürttemberg rät Patienten deshalb „sich rechtzeitig um Vorsorgetermine zu kümmern und für etwaige Behandlungen mehr Vorlauf einzuplanen.“Patienten, die vermuten, dass ihnen eine Behandlung zu unrecht verwehrt wurde, können bei ihrer jeweiligen Krankenkasse Beschwerde einlegen. Eine sogenannte Fehlverhaltensstelle prüft dann die Vorwürfe.
Warum sollen die Zahnärzte überhaupt sparen?
Die Vorgabe, Kosten zu sparen, ist Folge eines im Herbst 2022 beschlossenen Gesetzes der AmpelKoalition. Infolge der Pandemiejahre fehlt den gesetzlichen Krankenkassen Geld. Allein im vergangenen Jahr überstiegen die Kosten die Einnahmen um 17 Milliarden Euro. Die Budgetkürzung bei den Zahnärzten soll dabei helfen, Kosten zu sparen, um „Leistungskürzungen und eine übermäßige
Anhebung der Krankenkassenbeiträge zu verhindern“, wie es beim Bundesgesundheitsministerium heißt. Neben den Zahnärzten sollen vor allem Finanzreserven der gesetzlichen Krankenkassen, sowie Steuergeld dazu beitragen, das Defizit auszugleichen. Auch Ärzte anderer Fachbereiche sollen einen Beitrag leisten.
Wie viel Geld soll die Zahnärzteschaft einsparen?
Bereits beschlossen ist, dass der Lohnanstieg bei den Zahnärzten 2023 und 2024 die 2,7 Prozentmarke nicht übersteigen darf. Bei einer allgemein prognostizierten Lohnentwicklung von 3,45 Prozent für 2023 und 4,22 Prozent für 2024, entspräche das 120 Millionen beziehungsweise 340 Millionen Euro, die die Zahnärzte einsparen müssen. Zum Vergleich: 2022 zahlten die gesetzlichen Krankenkassen rund 12,8 Milliarden Euro an die Zahnärzte in Deutschland.
So viel Geld steht Zahnärzten in Baden-Württemberg zur Verfügung: Für die KZV Baden-Württemberg lag das Budget 2022 bei 2,1 Milliarden Euro. Hiervon wurden insgesamt 6,6 Millionen Patienten behandelt. Pro Patient gaben die gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr also rund 318 Euro aus. Bei 8100 Vertragszahnärzten im Land behandelte jeder davon im Schnitt etwa 800 Kassenpatienten pro Jahr.