Nachwuchssorgen bei den Nagelpflegern
Reiter sind auf Hufschmiede angewiesen. Doch viele verabschieden sich demnächst in den Ruhestand. Vielerorts werden Fachkräfte für die Fußpflege der Pferde gesucht.
- Menschen gehen zur Fußpflege, zu Pferden kommt der Hufschmied. Zu Jack, einem wuchtigen Wallach zum Beispiel. Seit Jahren kümmert sich Hans-Peter Schmid um die Hufe des Haflingers aus Baltmannsweiler im Kreis Esslingen. „Jack gehört zur Stammkundschaft“, sagt der 70-Jährige. Neue Aufträge nimmt er nach 46 Jahren als staatlich geprüfter Hufbeschlagschmied nicht mehr an. So wie viele anderer Kollegen auch.
Nach Schmids grober Schätzung gibt es bundesweit 3500 Hufschmiede. Viele gehen davon in Kürze in den Ruhestand. Schmid befürchtet, dass die jährlich 60 bis 80 Absolventen der Fachschulen nicht ausreichen, um die drohende Lücke zu schließen. Er ist im Vorstand des Ersten Deutschen Hufbeschlagschmiedeverbands (EDHV) für Berufsausbildung zuständig und konstatiert: „Wir haben Nachwuchsprobleme.“
Dagegen ist der Pferdebestand dem Verband zufolge kontinuierlich gewachsen, mit einem spürbaren Aufschwung während der Corona-Zeit. Die Schätzungen gehen demnach von derzeit ein bis zwei Millionen Pferden in Deutschland aus. Sie brauchen alle sechs bis acht Wochen eine Pediküre beim Fachmann. Der Verschleiß der Beschläge spielt eine untergeordnete Rolle, erklärt Schmids Vorstandskollege Jan Gerd Rhenius. Das nachwachsende Horn muss zurückgeschnitten werden, denn durch zu lange Hufe werden Sehnen und Bänder belastet.
Der Hufschmiedeverband führt keine Statistik. Doch die vielen Anfragen und Berichte bei ihm zeigten, dass Nachfrage und Angebot immer weiter auseinanderklaffen, sagt Rhenius. Er sieht auch ein Ost-West-Gefälle: „Wir merken, dass in vielen ostdeutschen Regionen ein erheblicher Mangel an Kollegen herrscht.“
Die Deutsche Reiterliche Vereinigung bedauert den Engpass naturgemäß. Schließlich heiße es nicht zu Unrecht: „Ohne Huf kein Pferd.“Eine Kurzumfrage bei den Landespferdesportverbänden habe ein weitgehend ähnliches Bild ergeben: Viele Hufschmiede konzentrierten sich wie Schmid auf Bestandskunden. Wer einen neuen Hufschmied suche, tue sich schwer. „Die Rede war von 6 bis 17 Telefonaten für den Versuch, akut einen neuen Schmied zu finden“, so eine Verbandssprecherin.
Die rein handwerklichen Tätigkeiten der Hufbearbeitung und des Aufnagelns eines Beschlages haben sich über die Jahrhunderte kaum verändert. Allerdings erwartet der Hufschmied seine Kunden heutzutage nicht mehr in der Werkstatt. Er kommt mit einer rollenden Schmiede auf den Hof gefahren. Das Fahrzeug ist voller Technik, darunter sind auch ein Amboss und ein Gasschmiedeofen.
Auf über 1000 Grad erhitzt Schmid ein auf Größe und Gewicht Jacks angepasstes Eisen und hämmert es auf dem Amboss in die endgültige Form. Die Eisen befestigt Schmid mit antibakteriellen Nägeln. „Das sieht schmerzhaft aus, ist es aber nicht“, versichert der kräftige blonde Mann in seiner gepolsterten Hufbeschlagsschürze. Mit Blick auf die Nägel in Rosa erläutert er: „Auch bei uns hat die Mode Einzug gehalten.“Schließlich seien 98 Prozent seiner Kunden weiblich. Deshalb verpasst er Jack für den Winter am Huf auch einen speziellen Rutsch-Schutz in Lila.
Die Ära der Schmiede, die Hufeisen mit Hammer und Amboss am heißen Ofen noch selbst herstellen und in Form schlagen mussten, endete laut Schmid Anfang dieses Jahrtausends. Heute haben Hersteller über 2000 Hufeisen in verschiedenen Größen und Gewichten im Angebot. Schmid hat immer 16 gängige Modelle dabei. Jahrhunderte experimentierten Menschen mit Leder und Stoffstreifen, um die durch den Einsatz als Reit- und Lastentier weichen Sohlen zu schützen. Vorreiter waren die Römer mit Hipposandalen – Metallplatten die am Pferdehuf festgeschnürt wurden. Die Verbindung von Hufeisen und Glück rührt daher, dass das Material der 400 Gramm schweren Beschläge einst relativ wertvoll war und als Zeichen von Reichtum galt.
Schmid konnte sich zeitlebens nie etwas anderes vorstellen, als Hufschmied zu sein. Doch er räumt ein, dass die Arbeitsbedingungen aus Sicht der jungen Generation nicht so optimal seien: „Heute will jeder ins Büro gehen und sich nicht mehr dreckig machen oder körperlich arbeiten.“
Es gibt drei Wege zum Hufschmied: eine dreijährige Berufsausbildung im Metallhandwerk mit Schwerpunkt Hufbeschlag oder eine Weiterbildung über zwei Jahre bei vorhandener beliebiger Berufsausbildung. Ferner können fertige Pferdewirte ein Jahr bei einem erfahrenen Hufschmied lernen, um dann wie die anderen Lehrlinge einen viermonatigen Kurs an einer Hufbeschlagsschule mit anschließender Prüfung zu absolvieren. Selbstständige oder angestellte Schmiede können laut Rhenius mit dem Verdienst eines Handwerksmeisters im Metallhandwerk rechnen.
„Das größte Problem ist der Ausbildungsweg“, sagt Benjamin Willersinn. Der 43-Jährige ist selbständiger Hufschmied aus Ilmensee im Landkreis Sigmaringen und hat selbst derzeit zwei Auszubildende unter sich. Für viele sei es unattraktiv nach der Ausbildung nochmals eine zweijährige Weiterbildung anzufangen. „Die meisten wollen nach ihrer ersten Ausbildung lieber Geld verdienen als nochmals eine Weiterbildung dranzuhängen“, betont Willersinn. Er plädiert dafür, dass Hufschmied wieder ein eigener Ausbildungsberuf wird. „Das würde die Attraktivität des Berufs deutlich erhöhen, weil der Weg bis zum Hufschmied nicht so lange oder umständlich wäre.“Allerdings gibt er zu, dass es derzeit einfach nicht genügend junge Menschen gibt, um Berufsschulklassen
zu füllen. Ein weiteres Problem sei, dass die staatlich anerkannten Hufschmied-Schulen viel Geld kosten. Für den Vorbereitungslehrgang und die spätere viermonatige Schule „reden wir von mittlerweile 5000 bis 6000 Euro. Das ist für die allermeisten Menschen richtig viel Kohle, zumal man in der Zeit, in der man auf der Schule ist, auch kein Geld verdient“, erklärt Willersinn.
Zudem sei es auch schwierig, Hufschmiede zu finden, die gerne ausbilden. „Bei der zweijährigen Weiterbildung muss der Hufschmied seinen Auszubildenden den Mindestlohn zahlen, weil sie sozusagen als Praktikanten gelten. Aber gerade im ersten Jahr können sie den Hufschmied noch
kaum unterstützten – da geht es vielmehr ums Lernen und um erste Erfahrungen“, erklärt der Hufschmied aus Ilmensee. Man sei in dieser Zeit nicht schneller und kann auch nicht mehr Pferde am Tag beschlagen, „aber die Auszubildenden kosten den Hufschmied deutlich mehr“.
Trotzdem hat sich Willersinn dazu entschieden, selbst auszubilden. „Der eigennützigste Grund war, um meinen Körper zu schonen.“Schließlich sei die Arbeit als Hufschmied körperlich anstrengend, da könne er die Unterstützung der Auszubildenden gut gebrauchen. „Auf der anderen Seite ist es mir aber schon wichtig, dass wir weiter gute Hufschmiede in Deutschland haben. Es gibt viele, die in den kommenden Jahren aufhören werden.“Deswegen sei es wichtig, dass mehr junge Menschen das Handwerk des Hufschmieds solide lernen. „Das ist das Beste für das Wohlergehen der Tiere als auch für den Pferdesport“, sagt Willersinn.
Zwar ist die Nachwuchssituation schwierig, das sei aber in fast allen Handwerksbetrieben so, betont der Hufschmied. „Aber immerhin ist die Auftragslage und die Nachfrage sehr gut. Also Arbeit ist mehr als vorhanden“, so Willersinn, der seit mittlerweile zehn Jahren als Hufschmied im Einsatz ist. Für ihn ist es der schönste Job der Welt, „weil meine Leidenschaft die Pferde sind. Als Hufschmied habe ich jeden Tag mit verschiedenen Menschen und Tieren zu tun – das ist vielfältig und macht mir jeden Tag aufs Neue Spaß.“
Auch Hufschmied Schmid liebt seinen Beruf, genauso wie sein jüngerer Kollege. Beim tiefenentspannten Wallach Jack kratzt er die Hufe aus, beschneidet das Horn und trimmt mit lauter Hobelmaschine glatt darüber – das 25-jährige Pferd mit blonder Mähne und hellem Schweif hat dabei die Ruhe weg. Aber nicht alle Pferde sind so brav. Das bekam Schmid im vergangenen Jahr am eigenen Leib zu spüren. Ein unruhiges Pferd hatte ein Beruhigungsmittel verpasst bekommen. Unerwartet brach das Tier zusammen und begrub Schmid unter sich. Folge für Schmid: ein gebrochenes Kniegelenk.
„Das sind Lebewesen mit 500 bis 600 Kilogramm, die auch mal schlagartig explodieren können, wenn ein Hund bellt oder eine Plane flattert. Dann kennen sie weder Freund noch Feind.“Schmid ist überzeugt, dass den Job nur Pferdefreunde machen können; so wie er selbst, der mit acht Jahren auf Islandponys reiten lernte, mit 18 eine eigene Deckstation für Norweger betrieb und später Reitsportartikel verkaufte. Wenn er an den nahenden Ruhestand denkt, wird er melancholisch: „Manche Pferde habe ich von der Geburt bis zum Tod begleitet.“