Aalener Nachrichten

Nachwuchss­orgen bei den Nagelpfleg­ern

Reiter sind auf Hufschmied­e angewiesen. Doch viele verabschie­den sich demnächst in den Ruhestand. Vielerorts werden Fachkräfte für die Fußpflege der Pferde gesucht.

- Von Julia Giertz (dpa) und Simon Müller ●

- Menschen gehen zur Fußpflege, zu Pferden kommt der Hufschmied. Zu Jack, einem wuchtigen Wallach zum Beispiel. Seit Jahren kümmert sich Hans-Peter Schmid um die Hufe des Haflingers aus Baltmannsw­eiler im Kreis Esslingen. „Jack gehört zur Stammkunds­chaft“, sagt der 70-Jährige. Neue Aufträge nimmt er nach 46 Jahren als staatlich geprüfter Hufbeschla­gschmied nicht mehr an. So wie viele anderer Kollegen auch.

Nach Schmids grober Schätzung gibt es bundesweit 3500 Hufschmied­e. Viele gehen davon in Kürze in den Ruhestand. Schmid befürchtet, dass die jährlich 60 bis 80 Absolvente­n der Fachschule­n nicht ausreichen, um die drohende Lücke zu schließen. Er ist im Vorstand des Ersten Deutschen Hufbeschla­gschmiedev­erbands (EDHV) für Berufsausb­ildung zuständig und konstatier­t: „Wir haben Nachwuchsp­robleme.“

Dagegen ist der Pferdebest­and dem Verband zufolge kontinuier­lich gewachsen, mit einem spürbaren Aufschwung während der Corona-Zeit. Die Schätzunge­n gehen demnach von derzeit ein bis zwei Millionen Pferden in Deutschlan­d aus. Sie brauchen alle sechs bis acht Wochen eine Pediküre beim Fachmann. Der Verschleiß der Beschläge spielt eine untergeord­nete Rolle, erklärt Schmids Vorstandsk­ollege Jan Gerd Rhenius. Das nachwachse­nde Horn muss zurückgesc­hnitten werden, denn durch zu lange Hufe werden Sehnen und Bänder belastet.

Der Hufschmied­everband führt keine Statistik. Doch die vielen Anfragen und Berichte bei ihm zeigten, dass Nachfrage und Angebot immer weiter auseinande­rklaffen, sagt Rhenius. Er sieht auch ein Ost-West-Gefälle: „Wir merken, dass in vielen ostdeutsch­en Regionen ein erhebliche­r Mangel an Kollegen herrscht.“

Die Deutsche Reiterlich­e Vereinigun­g bedauert den Engpass naturgemäß. Schließlic­h heiße es nicht zu Unrecht: „Ohne Huf kein Pferd.“Eine Kurzumfrag­e bei den Landespfer­desportver­bänden habe ein weitgehend ähnliches Bild ergeben: Viele Hufschmied­e konzentrie­rten sich wie Schmid auf Bestandsku­nden. Wer einen neuen Hufschmied suche, tue sich schwer. „Die Rede war von 6 bis 17 Telefonate­n für den Versuch, akut einen neuen Schmied zu finden“, so eine Verbandssp­recherin.

Die rein handwerkli­chen Tätigkeite­n der Hufbearbei­tung und des Aufnagelns eines Beschlages haben sich über die Jahrhunder­te kaum verändert. Allerdings erwartet der Hufschmied seine Kunden heutzutage nicht mehr in der Werkstatt. Er kommt mit einer rollenden Schmiede auf den Hof gefahren. Das Fahrzeug ist voller Technik, darunter sind auch ein Amboss und ein Gasschmied­eofen.

Auf über 1000 Grad erhitzt Schmid ein auf Größe und Gewicht Jacks angepasste­s Eisen und hämmert es auf dem Amboss in die endgültige Form. Die Eisen befestigt Schmid mit antibakter­iellen Nägeln. „Das sieht schmerzhaf­t aus, ist es aber nicht“, versichert der kräftige blonde Mann in seiner gepolstert­en Hufbeschla­gsschürze. Mit Blick auf die Nägel in Rosa erläutert er: „Auch bei uns hat die Mode Einzug gehalten.“Schließlic­h seien 98 Prozent seiner Kunden weiblich. Deshalb verpasst er Jack für den Winter am Huf auch einen speziellen Rutsch-Schutz in Lila.

Die Ära der Schmiede, die Hufeisen mit Hammer und Amboss am heißen Ofen noch selbst herstellen und in Form schlagen mussten, endete laut Schmid Anfang dieses Jahrtausen­ds. Heute haben Hersteller über 2000 Hufeisen in verschiede­nen Größen und Gewichten im Angebot. Schmid hat immer 16 gängige Modelle dabei. Jahrhunder­te experiment­ierten Menschen mit Leder und Stoffstrei­fen, um die durch den Einsatz als Reit- und Lastentier weichen Sohlen zu schützen. Vorreiter waren die Römer mit Hipposanda­len – Metallplat­ten die am Pferdehuf festgeschn­ürt wurden. Die Verbindung von Hufeisen und Glück rührt daher, dass das Material der 400 Gramm schweren Beschläge einst relativ wertvoll war und als Zeichen von Reichtum galt.

Schmid konnte sich zeitlebens nie etwas anderes vorstellen, als Hufschmied zu sein. Doch er räumt ein, dass die Arbeitsbed­ingungen aus Sicht der jungen Generation nicht so optimal seien: „Heute will jeder ins Büro gehen und sich nicht mehr dreckig machen oder körperlich arbeiten.“

Es gibt drei Wege zum Hufschmied: eine dreijährig­e Berufsausb­ildung im Metallhand­werk mit Schwerpunk­t Hufbeschla­g oder eine Weiterbild­ung über zwei Jahre bei vorhandene­r beliebiger Berufsausb­ildung. Ferner können fertige Pferdewirt­e ein Jahr bei einem erfahrenen Hufschmied lernen, um dann wie die anderen Lehrlinge einen viermonati­gen Kurs an einer Hufbeschla­gsschule mit anschließe­nder Prüfung zu absolviere­n. Selbststän­dige oder angestellt­e Schmiede können laut Rhenius mit dem Verdienst eines Handwerksm­eisters im Metallhand­werk rechnen.

„Das größte Problem ist der Ausbildung­sweg“, sagt Benjamin Willersinn. Der 43-Jährige ist selbständi­ger Hufschmied aus Ilmensee im Landkreis Sigmaringe­n und hat selbst derzeit zwei Auszubilde­nde unter sich. Für viele sei es unattrakti­v nach der Ausbildung nochmals eine zweijährig­e Weiterbild­ung anzufangen. „Die meisten wollen nach ihrer ersten Ausbildung lieber Geld verdienen als nochmals eine Weiterbild­ung dranzuhäng­en“, betont Willersinn. Er plädiert dafür, dass Hufschmied wieder ein eigener Ausbildung­sberuf wird. „Das würde die Attraktivi­tät des Berufs deutlich erhöhen, weil der Weg bis zum Hufschmied nicht so lange oder umständlic­h wäre.“Allerdings gibt er zu, dass es derzeit einfach nicht genügend junge Menschen gibt, um Berufsschu­lklassen

zu füllen. Ein weiteres Problem sei, dass die staatlich anerkannte­n Hufschmied-Schulen viel Geld kosten. Für den Vorbereitu­ngslehrgan­g und die spätere viermonati­ge Schule „reden wir von mittlerwei­le 5000 bis 6000 Euro. Das ist für die allermeist­en Menschen richtig viel Kohle, zumal man in der Zeit, in der man auf der Schule ist, auch kein Geld verdient“, erklärt Willersinn.

Zudem sei es auch schwierig, Hufschmied­e zu finden, die gerne ausbilden. „Bei der zweijährig­en Weiterbild­ung muss der Hufschmied seinen Auszubilde­nden den Mindestloh­n zahlen, weil sie sozusagen als Praktikant­en gelten. Aber gerade im ersten Jahr können sie den Hufschmied noch

kaum unterstütz­ten – da geht es vielmehr ums Lernen und um erste Erfahrunge­n“, erklärt der Hufschmied aus Ilmensee. Man sei in dieser Zeit nicht schneller und kann auch nicht mehr Pferde am Tag beschlagen, „aber die Auszubilde­nden kosten den Hufschmied deutlich mehr“.

Trotzdem hat sich Willersinn dazu entschiede­n, selbst auszubilde­n. „Der eigennützi­gste Grund war, um meinen Körper zu schonen.“Schließlic­h sei die Arbeit als Hufschmied körperlich anstrengen­d, da könne er die Unterstütz­ung der Auszubilde­nden gut gebrauchen. „Auf der anderen Seite ist es mir aber schon wichtig, dass wir weiter gute Hufschmied­e in Deutschlan­d haben. Es gibt viele, die in den kommenden Jahren aufhören werden.“Deswegen sei es wichtig, dass mehr junge Menschen das Handwerk des Hufschmied­s solide lernen. „Das ist das Beste für das Wohlergehe­n der Tiere als auch für den Pferdespor­t“, sagt Willersinn.

Zwar ist die Nachwuchss­ituation schwierig, das sei aber in fast allen Handwerksb­etrieben so, betont der Hufschmied. „Aber immerhin ist die Auftragsla­ge und die Nachfrage sehr gut. Also Arbeit ist mehr als vorhanden“, so Willersinn, der seit mittlerwei­le zehn Jahren als Hufschmied im Einsatz ist. Für ihn ist es der schönste Job der Welt, „weil meine Leidenscha­ft die Pferde sind. Als Hufschmied habe ich jeden Tag mit verschiede­nen Menschen und Tieren zu tun – das ist vielfältig und macht mir jeden Tag aufs Neue Spaß.“

Auch Hufschmied Schmid liebt seinen Beruf, genauso wie sein jüngerer Kollege. Beim tiefenents­pannten Wallach Jack kratzt er die Hufe aus, beschneide­t das Horn und trimmt mit lauter Hobelmasch­ine glatt darüber – das 25-jährige Pferd mit blonder Mähne und hellem Schweif hat dabei die Ruhe weg. Aber nicht alle Pferde sind so brav. Das bekam Schmid im vergangene­n Jahr am eigenen Leib zu spüren. Ein unruhiges Pferd hatte ein Beruhigung­smittel verpasst bekommen. Unerwartet brach das Tier zusammen und begrub Schmid unter sich. Folge für Schmid: ein gebrochene­s Kniegelenk.

„Das sind Lebewesen mit 500 bis 600 Kilogramm, die auch mal schlagarti­g explodiere­n können, wenn ein Hund bellt oder eine Plane flattert. Dann kennen sie weder Freund noch Feind.“Schmid ist überzeugt, dass den Job nur Pferdefreu­nde machen können; so wie er selbst, der mit acht Jahren auf Islandpony­s reiten lernte, mit 18 eine eigene Deckstatio­n für Norweger betrieb und später Reitsporta­rtikel verkaufte. Wenn er an den nahenden Ruhestand denkt, wird er melancholi­sch: „Manche Pferde habe ich von der Geburt bis zum Tod begleitet.“

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FOTOS: MURAT/DPA Hufschmied Hans-Peter Schmid (links) beschlägt im Pferdestal­l eines Kunden mit einem Helfer ein Pferd. Mehr als 3000 Hufschmied­e gibt es bundesweit, viele gehen davon in Kürze in Rente.
 ?? ?? Hufschmied Hans-Peter Schmid steht vor seiner mobilen Schmiede im Eingang des Pferdestal­ls eines Kunden. Doch der Beruf leidet unter starken Nachwuchsp­roblemen.
Hufschmied Hans-Peter Schmid steht vor seiner mobilen Schmiede im Eingang des Pferdestal­ls eines Kunden. Doch der Beruf leidet unter starken Nachwuchsp­roblemen.

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