SOS: Fachwarte retten Streuobstwiesen
Neues Projekt zum Erhalt des Lebensraums – Auftakt bei Stefan Schmid in Lautern
- Schön ist es auf dem Stückle von Stefan Schmid. An diesem kalten Februarmorgen steht der neue Pächter oben auf seiner Streuobstwiese bei Lautern und schaut den sanften Hang hinunter. „Mit dem Schneiden hatte ich bisher nichts am Hut“, sagt er und lässt den Blick über 130 Obstbäume schweifen, für die er die Verantwortung übernommen hat. Um den alten Bestand zu erhalten, muss er ihn pf legen, aber wie? Wie gut, dass ihm das die Fachwarte Aalen zeigen können.
Stefan Schmid ist von Beruf Bauingenieur und in seiner Freizeit Imker. Eigentlich war er nur auf der Suche nach einem neuen Standort für seine Bienenstöcke. „Dann ist ein Sportvereinskollege verstorben, der diese Obstbäume hatte“, erzählt Schmid. „So kommt man zu einer Wiese.“Einfach schön sei’s hier, schwärmt er, aber es sei nicht nur das. Der Imker möchte dem Artensterben etwas entgegensetzen. Ihm ist bewusst, wie unverzichtbar Insekten für die Bestäubung sind, und er möchte nicht, dass hierzulande eines Tages die Blüten per Hand bestäubt werden müssen wie in China. „Ich will einen Beitrag zum Naturschutz leisten“, sagt er. Da ist er bei den Fachwarten Aalen genau richtig.
Zu zehnt sind sie an diesem Morgen angerückt, um Schmid mit Rat und Tat zu unterstützen. Neben ihrem Wissen haben sie beeindruckend lange Werkzeuge mitgebracht. „Schneidgiraffen und Teleskopsägen sind das“, sagt Carmen Maier vom Vorstandsteam, zu dem außerdem Maria Brenner und Daniel Büttner gehören, „sie machen Leitern unnötig.“Einer ihrer Kollegen lacht: „Aber wir brauchen Muckis.“
Die Fachwarte Aalen wurden 2003 von Anton Vaas gegründet, seit 2016 sind sie ein Verein. „Früher waren wir die Baumwarte“, ruft Carmen Maier in Erinnerung. Die inzwischen mehr als 200 Mitglieder aus dem gesamten Altkreis Aalen haben nach einer Fachwarteausbildung alle ein vertieftes Wissen im Obst- und Gartenbau. Sie unterstützen vornehmlich die Obst- und Gartenbauvereine des Kreisverbands Aalen mit Schnittkursen, Vorträgen und praktischer Anleitung vor Ort. „Man muss einen Baum lesen können“, erklärt Daniel Büttner. „Er sagt einem dann schon, was er hat.“
Ein besonderes Anliegen ist den Experten der Erhalt der Streuobstwiesen. „Sie zählen mit ihren mehr als 5000 Tier- und Pflanzenarten zu den artenreichsten Lebensräumen unserer Heimat“, betont Carmen Maier. Doch werde das Wissen um deren Pf lege heute
nicht mehr vom Opa auf den Enkel vererbt, erzählt sie. „Es geht verloren.“Die Folge: „Neue Besitzer sind erst voller Begeisterung dabei.“Aber wenn dann die Ernte zu mager sei oder der Apfel voller Würmchen, geben sie auf.
Dem wollen die Fachwarte entgegenwirken. Deshalb starten sie ein neues Projekt. „Jedes Jahr wollen wir mindestens einem neuen Streuobstwiesenbesitzer mit unserem Wissen unter die Arme greifen“, erklärt Maria Brenner. Stefan Schmid mit seinen 3500 Quadratmetern am Bürglesbühl ist der Erste. Und schon schwärmen die Fachwarte zwischen seinen Obstbäumen aus, um eine Bestandsaufnahme zu machen. Ein Traum: Es gibt hier alte Sorten wie James Grieve, Gloster und Oberdiecks Renette. Dann packen die Experten kräftig an: Sie schneiden an diesem Morgen zusammen alle 130 Bäume.
Einfach ist das nicht. „Meinem Baum fehlt die Mitte“, stellt Manfred Schmid, ein alter Hase unter den Fachwarten, fest. Er steht vor einem niedrigen Apfelbaum und sieht sich mit prüfendem Blick dessen Wuchs an. „Da kann man nur noch das Beste draus machen“, urteilt er: „Licht und Luft reinlassen.“Maria Brenner nickt. „Auf dieser Wiese können wir die Bäume nicht mehr nach Lehrbuch schneiden, sie sind geköpft und fasch geschnitten worden.“
Und dann erklären die Fachwarte dem Laien, wie das ist. Früher richteten sich die Obstbauern nach dem „Alt-Württemberger Schnitt“, für den galt: „Je flacher die Äste, desto besser für die Ernte.“Alle senkrechten Triebe, die
sogenannten „Wasserschosser“, schnitten sie ab. Der Nachteil: zu viel Schatten innen, zu viel Feuchtigkeit nach Regen und ein idealer Nährboden für Bakterien wie den Apfelschorf. Heute habe sich für Streuobstwiesen der „Oeschbergschnitt“durchgesetzt, benannt nach der Schweizerischen Zentrale für Obstbau in Oeschberg.
„Dabei dürfen die Äste steiler wachsen“, erklärt Büttner und deutet mit seiner Schere auf einen hochstämmigen Apfelbaum. „Man will einen Umriss wie bei einem umgedrehten Regenschirm.“Schmid nickt und folgt mit den Augen Büttners Handbewegungen. Die Schere zeichnet eine senkrechte Linie vom Boden nach oben. Jeder Baum brauche eine schlanke Mitte, sagt der Fachwart, von der aus drei bis vier große Leitäste schräg nach oben abgehen. Weiter oben und außen sollten kräftige, f lach stehende Fruchtäste wachsen. „Das Grundgerüst des Baums braucht klare hierarchische Strukturen“, betont Büttner. Am besten gelinge das mit der richtigen Baumerziehung von Anfang an. „Bäume sind ein bisschen wie Kinder. Was ich in in den ersten zwei bis drei Jahren richtig mache, hilft später sehr“, ergänzt Carmen Maier.
Danach brauche es nur noch eine Rotation des Fruchtholzes, fährt Büttner fort. Neue Triebe, die zunächst steil nach oben wachsen, neigten sich mit jeder Ernte mehr. Wenn sie nach drei bis vier Jahren nach unten zeigten, schneide man sie ab, während neue, steile Triebe bereits nachgewachsen seien. Das heiße auch: „Wasserschosser sind nicht
alle schlecht“, betont Büttner. Selbst ein uralter Baum könne dank seiner immer neuen jungen Triebe immer wieder gute Früchte geben. „Das gilt nicht nur für Äpfel, sondern auch für Birnen, Johannisbeeren und viele andere“, ergänzt der Fachwart.
Während er noch erklärt, ist am Baum nebenan Maria Brenner zusammen mit einer jungen Fachwartin am Werk. „Man muss den Bäumen sagen, wie sie wachsen sollen“, lehrt sie die 31-jährige Anja Salenbauch. Sie zu köpfen, wie früher üblich, sei out. „Man kann einen großen Baum nicht klein machen. Das ist gegen die Natur.“
Stefan Schmid hört den Fachwarten gut zu. „Ich hoffe, dass ich noch ganz viel lerne,“, sagt er. Schließlich wolle er das Schneiden künftig selbst übernehmen. Damit die Kinder der örtlichen Grundschule seine Äpfel auch nächstes Jahr wieder zu reichlich Saft pressen und ihn für den guten Zweck verkaufen können. Bei den ehrenamtlichen Fachwarten bedankt er sich mit einer Spende, die entweder an ein Urwaldprojekt oder den Imkerverein gehen soll. „Ich finde es super, dass ihr euer Wissen weitergebt“, lobt Schmid. Er freut sich auf Frühling und Sommer, wenn die Bienen summen und es auf seiner Obstwiese grünt und blüht. „Das ist einfach schön.“