CO2-neutral ist nicht genug
Technologieschmiede Obrist sieht sich kurz vor dem internationalen Durchbruch – Die Mission: Nichts weniger als die Welt retten
- Man stelle sich eine Welt vor, in der jeder gefahrene Autokilometer dazu beiträgt, CO2 aus der Atmosphäre zu holen und nicht wie heute hineinzublasen. Und jetzt eine Welt, in der vorhandene Infrastrukturen wie Tankstellen genutzt werden können, um diese CO2-negative Utopie schnell Wirklichkeit werden zu lassen. Und nun stelle man sich vor, dass die Technologie, um all das innerhalb kurzer Zeit in die Realität zu überführen, bereits vorhanden ist und es jetzt eigentlich nur noch darum geht, dass jemand mit diesem Knowhow die entsprechenden Fahrzeuge baut. Und die Anlagen, um die CO2-negative Wunderflüssigkeit „aFuel“herzustellen.
Nicht von dieser Welt? Doch, jedenfalls in Lindau am Bodensee, wenn man Thorsten Rixmann glauben darf. Er hat als ebenso mitteilsamer wie unterhaltsamer Marketingchef der Obrist Group offenbar genau den richtigen Job. Und genügend Energie, um damit die halbe Welt mit der Idee einer negativen CO2-Technik anzustecken. „Ich darf Ihnen zwar noch keinen konkreten Namen nennen – aber wir stehen kurz davor, dass ein Automobilhersteller mit unserem Konzept in die Serienproduktion einsteigt.“Wie der heißt? Noch streng geheim. Wann es losgeht? Wird noch nicht verraten. Das gilt auch für die Antwort auf die Frage, wann und wo denn nun die erste Anlage zur Gewinnung des CO2-negativen Kraftstoffs entstehen wird. Rixmann verrät nach kurzem Winden, dass es sich um Nordafrika handeln könnte.
Was wie die märchenhafte Verheißung der Lösungen all unserer Energie- und Mobilitätsprobleme klingt, ist am Ende schlicht Physik und Chemie, wenn auch besonders ausgefuchste. Dafür steht Firmengründer Frank Obrist, der als junger Mann noch unter dem Motorenerfinder Felix Wankel in Lindau gearbeitet hat. Und zwar exakt in jenem markanten Gebäude am Bodenseeufer, das Obrist inzwischen übernommen hat und das früher als Wankel-Institut bekannt war und bei Nennung regelmäßig Ehrfurcht
unter Ingenieuren auslöste. Die Mission von Frank Obrist verdichtet sich am griffigsten in folgendem Satz, den er auf Anfrage schriftlich schickt, da er beim Besuch der „Schwäbischen Zeitung“nicht zugegen sein kann: „Wir müssen den Mist, den wir hundert Jahre lang in die Atmosphäre gepumpt haben, wieder aus der Luft holen.“
Grundsätzlich beruht Obrists Vision auf der Gewinnung von synthetischem Methanol durch einen technischen Transformationsprozess, der zunächst Wasser und Kohlendioxid aus der Luft holt und wie folgt abläuft: Die Umgebungsluft wird angesaugt. In einem Reaktor mit Natronlauge wird ihr Wasser und CO2 entzogen. Es entsteht Natriumkarbonat, das dann wiederum einem Elektrolyseprozess zugeführt wird, der aus Wasserstoff und CO2 bei Temperaturen von knapp unter 300 Grad flüssiges Methanol und reinen Kohlenstoff synthetisiert. Im Kohlenstoff ist CO2 aus der Luft gebunden und kann also nicht mehr klimaschädlich in der
Atmosphäre wirken. Das Verfahren braucht viel Energie, die in Solarkraftwerken in Wüstenregionen gewonnen wird. Unter solchen Bedingungen kostet die Stromproduktion laut Obrist weniger als einen Cent pro Kilowattstunde. Das gewonnene Methanol lässt sich dann mit Tankschiffen
oder Pipelines global befördern und als universeller Treibstoff statt fossiler Energieträger wie Öl oder Gas einsetzen. Dass die Innovation und ihr weltweites Zusammenwirken nicht irgendwo zentralistisch gedacht und geplant wird, entspricht ganz Frank Obrists Herangehensweise, denn: „Bei mir gibt es nur die globale Denkweise!“
Im Konferenzraum projeziert Thorsten Rixmann jetzt eine Grafik auf einen Monitor, die zeigt, wie nach dem Wechsel auf den neuen Energieträger Methanol – von Obrist „aFluel“genannt – die weltweite CO2-Belastung praktisch einbricht und sich sozusagen in frische Luft auflöst. „Flüssiges Sonnenlicht, der Begriff gefällt mir am besten für das grüne Methanol“, sagt Rixmann und erklärt, wie das Methanol in unseren Breiten eine Mobilitätswende herbeiführen soll. Dafür hat Obrist ein serielles Antriebskonzept entwickelt, in dem ein Akku und ein Zwei-Zylinder-Motor, der Strom erzeugt und dem Speicher zuführt, zusammenwirken. In den Hallen am Bodensee stehen mehrere Prototypen. Obrist hat dafür Tesla-Elektroautos vom Typ Y umgebaut. Der methanolbetriebene Zwei-Zylinder-Motor in Verbindung mit dem kompakten Akku spart gegenüber dem Original Tesla rund 250 Kilo Gewicht, der Methanoltank fasst 40 Liter. Bei einem Verbrauch von etwa 3,3 Litern pro 100 Kilometer kommt der serielle Obrist-Hybrid auf mehr als 1000 Kilometer Reichweite. Eine Ladeinfrastruktur für Strom braucht es nicht.
„Aber natürlich kann es sinnvoll sein, den Akku zum Beispiel über eine eigene Solaranlage zu laden“, erklärt Rixmann. Und warum der Umweg über den Elektroantrieb? Weshalb nicht gleich einen normalen Verbrenner auf Methanolbetrieb umrüsten? „Dafür gibt es mehrere Gründe“, sagt Rixmann und nennt die Vermeidung von energieintensiven Kaltstarts, wie ein reiner Verbrenner sie verursacht. Darüber hinaus laufe der ZweiZylinder-Motor immer in einem auf Effizienz hin optimierten Bereich.
Anders als beim normalen Verbrenner muss er ja nur gleichmäßig Strom produzieren und nicht mit unterschiedlichen Drehzahlen auf die Anforderungen der Fahrumgebung reagieren. Folglich braucht es auch kein Getriebe. Und anders als beim konventionellen Verbrenner arbeitet das Obrist-Konzept mit Energierückgewinnung beim Fahren mit Gefälle und bei Bremsvorgängen. All diese Argumente sprechen für den Einsatz der seriellen Hybrid-Technik. Gewöhnliche Hybrid-Fahrzeuge wechseln zwischen Verbrennungsantrieb und Elektroantrieb hin und her. Der Obrist-Hybrid fährt rein elektrisch, während der Methanol-Verbrennungsmotor lediglich dazu da ist, die Batterie mit Energie zu versorgen.
Dies habe in jüngerer Zeit globale Kooperationspartner überzeugt. Rixmann spricht von einem „Meilenstein“im Zusammenhang mit einem Lizenzvertrag, den die Obrist Technologies GmbH mit der Ewu Tech Limited und der DSE Technology Holdings geschlossen hat. Diese Zusammenarbeit soll in Kürze zum Durchbruch führen und das milliardenschwere Investitionsvolumen für erste Anlagen zur Produktion des grünen Methanols sicherstellen. „Unsere Part-ner stehen im engen Kontakt zu Regierungen verschiedener Länder, die als Standorte infrage kommen“, sagt Rixmann.
Natürlich gibt es auch Vorbehalte gegen Obrists Konzept. Es gibt Wissenschaftler, die die Zahlen von Obrist was den positiven Effekt aufs Klima oder die Wirtschaftlichkeit des grünen Methanols im Vergleich zu herkömmlichen Benzin betrifft für zu optimistisch halten. Außerdem gebe es Organisationen, die grundsätzlich weniger Individualverkehr wollen und daher Obrists Fahrzeugantrieb ablehnen. Auf der anderen Seite gibt es wenig Zweifel daran, dass Menschen auch künftig im eigenen Auto unterwegs sein wollen.
Wenn die Rechnung des Unternehmens aufgeht und sich ihre Technologie in der Breite durchsetzt, ist das Bild von der geretteten Welt womöglich keine Übertreibung.