„Die Neue Rechte will eine Kulturrevolution von rechts“
Die Wiener Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl über Rechtsextremismus in Deutschland, Martin Sellner und die AfD
- Veröffentlichungen über ein Treffen rechter Akteure in Potsdam Ende vergangenen Jahres lösten bundesweit Empörung aus. Während in vielen deutschen Städten Tausende Menschen gegen Rechts demonstrierten, diskutierten Experten, Politiker und Journalisten in den vergangenen Monaten viel über mutmaßliche Gesprächsinhalte des Treffens, die Teilnehmer und die AfD. Die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl (Foto: Imago) forscht seit Jahren zu Rechtsextremismus und zur sogenannten Neuen Rechten. Im Interview erklärt sie, wie sich die rechtsextreme Identitäre Bewegung die Gesellschaft vorstellt und warum sich Menschen in Krisenzeiten eher rechten Parteien zugewandt fühlen.
Frau Strobl, in den vergangenen Monaten wurde in Deutschland viel über das Treffen in Potsdam diskutiert. In diesem Zusammenhang fiel immer wieder der Name Martin Sellner, der Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich. Wie stufen Sie Herrn Sellner ein?
Martin Sellner ist ein Faschist. Aus meiner Sicht muss man das so klar sagen, weil er der führende Kopf der Identitären Bewegung ist, einer rechtsextremen Gruppierung. Er hat ein Talent zur Selbstvermarktung. Das hat dazu geführt, dass er sicherlich auch als Idol im modernen Rechtsextremismus wahrgenommen wird.
War es aus Ihrer Sicht dann überhaupt klug von der Stadt Potsdam, ihm ein Einreiseverbot nach Deutschland zu verhängen, das jetzt nach einem
Eilantrag von Sellner vorübergehend wieder ausgesetzt wurde? Hat man ihm damit nicht Aufmerksamkeit geschenkt?
Mit jeder Form von Aufmerksamkeit tut man ihm einen Gefallen. Allerdings hatte Sellner auch schon ein Einreiseverbot für Großbritannien. Dort hat es juristisch gehalten und sein Geschäftsmodell wirklich gestört. Aber wenn ein Einreiseverbot juristisch nicht hält und wieder aufgehoben wird, dann ist das eher ein Schuss in den Ofen. Die Stadt Potsdam hätte sich schon sicher sein müssen, dass so ein Verbot auch Bestand hat.
Die Identitäre Bewegung ist Teil der sogenannten Neuen Rechten, zu der Sie viel geforscht haben. Wie lässt sich diese Neue Rechte heutzutage für Sie definieren?
Die Neue Rechte möchte nicht mehr bei Wahlen antreten, sondern die Gesellschaft durchdringen. Die Neue Rechte will eine 68er-Revolution von rechts, also eine Kulturrevolution. Sie wollen mit ihrer Ideologie die Sprache und das Denken beeinflussen.
Aber was ist deren Ideologie?
Die Neue Rechte geht von Kulturen aus. Sie ersetzen den Rassenbegriff der Nationalsozialisten, meinen aber etwas durchaus Ähnliches. Diese Kulturen sollen rein gehalten werden. Die Idee ist, dass jede Kultur zur Stärke und zu einem neuen goldenen Zeitalter kommen kann, wenn es keine Einflüsse von außen gibt. Diese Einflüsse von außen sind Menschen aus anderen Kulturen. Und eine Kultur zerfällt und hat Konflikte, solange es diese Einflüsse von außen gibt. Der Reinheitsgedanke,
der dem Faschismus innewohnt, findet sich da wieder. Außerdem wollen die Neuen Rechten die Demokratie und den Parlamentarismus abschaffen und in einer hierarchischen Gesellschaft leben.
Viele Menschen werden heute oftmals als rechtsaußen bezeichnet, obwohl sie sich eher als konservativ einstufen würden. Steht man denn automatisch dort, wenn man beispielsweise die Zahl der Migranten reduzieren will? Wo ziehen Sie die Trennlinie zwischen rechtsextrem und konservativ?
Ich würde eine konservative Weltanschauung auch als eine rechte Ideologie sehen – aber eine demokratisch absolut legitime, die nichts mit Rechtsextremismus zu tun hat. Es ist generell schwierig, bei Wertvorstellungen eine klare Linie zu ziehen. Menschen haben nicht nur eine Ideologie, die sie ihr ganzes Leben lang komplett verfolgen, sondern ihre Weltbilder setzen sich aus verschiedenen Überzeugungen zusammen. Wichtig ist, ob jemand bereit ist, an den eigenen Aussagen zu zweifeln und sie gegebenenfalls zu revidieren, wenn Fakten präsentiert werden. Solange jemand bereit ist, sich auf eine demokratische Konsensfindung einzulassen, ist er aus meiner Sicht kein extremer Mensch.
Und trotzdem werden viele AfD-Wähler in Deutschland mit dem Vorwurf konfrontiert, rechtsextrem zu sein.
Es sind sicher nicht alle Wähler der AfD automatisch rechtsextrem. Viele wählen die Partei auch aus Protest, weil sie unzufrieden sind und die AfD vermeintlich einfache Antworten liefert. Nur als Partei ist die AfD aus meiner Sicht schon rechtsextrem. Denn sie ist der parlamentarische Arm der extremen Rechten. Das ist auch die Funktion dieser Partei.
Jetzt steht im Sommer die Europawahl an, dann folgen die Landtagswahlen im Osten. Allen Umfragen zufolge sieht es nach einem deutlichen Rechtsruck aus. Was sind aus Ihrer Sicht Ursachen, dass sich so viele Menschen gerade Parteien am rechten Rand zugewandt fühlen?
Der Rechtsextremismus profitiert immer von Krisenzeiten. Rechtsextreme leben davon, Menschen zu verunsichern. Viele zeichnen ein apokalyptisches Weltbild – und nur sie können die Gesellschaft vor dem Untergang retten. Die Lösungen dafür sind immer einfach und meistens werden andere Gruppen für eine Lösung geopfert. Rechtsextreme versuchen über emotionale Argumente an die Menschen zu gelangen, weil diese Positionen viel durchdringender sind als rationale. Und in Krisenzeiten werden
geschürte Ängste oftmals noch bestätigt, weil man sich beispielsweise auf einmal wirklich weniger von seinem Geld leisten kann.
Frau Strobl, Sie sind selbst regelmäßig Opfer von Hassmails und Drohungen, 2014 wurde sogar in ihr Küchenfenster eingeschossen. Schüchtert Sie die rechtsextreme Szene nicht ein bisschen ein?
Die Angst ist auf jeden Fall da, aber was mich antreibt ist der Trotz. Ich möchte die Rechtsextremen nicht gewinnen lassen. Mein Ziel war immer: Ich möchte die extremen Rechten besser kennen, als die sich selbst. Das ist mir sehr oft gelungen. Und ich will, dass das weiterhin so bleibt.
Natascha Strobl spricht am kommenden Donnerstag, 18. April, zum Thema „Demokratie stärken gegen Rechts“gemeinsam mit der Grünen-Bundestagsabgeordneten Agnieszka Brugger in Weingarten. Die Veranstaltung der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg und des Demokratiezentrums Oberschwaben findet um 19.30 Uhr im Kulturzentrum Linse statt. Der Eintritt ist frei, der Saal allerdings auf 135 Plätze begrenzt.