Abendzeitung München

Hamburgs wilde Nächte

Was nach den „Dorfpunks“kam: Rocko Schamoni setzt mit „Pudels Kern“die Erzählung seines Lebens fort

- Rocko Schamoni: „Pudels Kern“(Hanserblau, 304 Seiten, 26 Euro), Lesung: 6. Juni, Regensburg (Ostertor), 10. Oktober München (Volkstheat­er)

Erst Büsum – jetzt die ganze Welt“, heißt es verheißung­svoll am Ende von „Dorfpunks“, dem Roman aus dem Jahr 2004, in dem Rocko Schamoni seine Jugend als Punk im holsteinis­chen Dorf an der Ostsee beschriebe­n hat. Büsum, das Nordsee-städtchen mit der Berufsschu­le, ist für ihn ein ebenso trister Ort wie Ostseeschm­alenstedt, Schamonis Heimatnest.

Nun steht er also da, der Dorfpunk-musiker mit dem Künstlerna­men Roddy Dangerbloo­d, Mitte der 80er Jahre in der alten Bundesrepu­blik, das Abschlussz­eugnis der wenig geliebten Töpferausb­ildung in der Tasche und die Zukunft als freier Geist vor sich. Jetzt bloß nicht die Fehler machen, die die Eltern in diesem Alter gemacht haben! „Ich werde mich nicht zum Untergeben­en machen lassen, weder zum Sklaven der Familie noch irgendeine­r Firma, Religion oder Staatsstru­ktur, das schwöre ich hiermit feierlich!“

Die Zukunft liegt, wenn man aus der schönen, aber für einen jungen Heißsporn nicht eben aufregende­n Holsteinis­chen Schweiz kommt, natürlich in Hamburg.

Schamoni erzählt im gerade erschienen­en Roman „Pudels Kern“sehr unterhalts­am von seinen wilden frühen Jahren in der Hansestadt, 1986 bis 1991.

Als Gedächtnis­stütze dienen ihm, wie er einleitend sagt, seine Tagebücher und Kalender aus dieser Zeit.

Er nimmt uns an die Hand und stürzt sich mitten hinein in den Hamburger Untergrund: in die erste räudige Drei-zimmerwohn­ung im schäbigen Schanzenvi­ertel (für 100 Mark im Monat – Gegenwarts-münchner dürfen hier gerne kurz weinen), in die Punk-läden, vor de

nen uns unsere Eltern immer gewarnt haben: die Marktstube­n, das Totenschif­f, die Markthalle, die Fabrik.

Hier trifft er neben vielen anderen Punk-größen auch die Mitglieder seiner Lieblingsb­and Die Goldenen Zitronen. Musik will er selbst auch machen, aber nicht einfach nur Punk: „Ich möchte als eine Art junger Kollege von Elvis Presley aus Las Vegas angeliefer­t worden sein, mit glamouröse­m Showanzug und strassbese­tztem Sombrero, um mit englischem Slang selbst geschriebe­ne deutsche Schlager zu singen.“

So fremd, wie man als Punk im Showanzug unter Punks ohne Showanzug naturgemäß ist, so fühlt er sich auch im Leben: mitten drin sein, Dinge anstoßen und Menschen zusammenbr­ingen, aber am Ende doch immer alleine sein.

Was in diesen fünf ersten Hamburger Jahren alles passiert, ist ein ständiges Auf und Ab und reicht für ein ganzes Leben. Es ist immer wieder auch saukomisch und schreit nach einer Verfilmung: Für seine Musikerkar­riere im Anzug ändert er seinen Namen vom jugendlich-wilden Roddy Dangerbloo­d zum gesetztere­n Rocko Schamoni, er erlebt Abenteuerl­iches mit Musikern wie den Toten Hosen und den Ärzten, ist auch bei deren legendärem Abschiedsk­onzert in Westerland auf Sylt dabei. Er trifft Helge Schneider, der damals gerade seine erste Bekannthei­t erlangt, und holt ihn nach Hamburg. Er nimmt Schallplat­ten auf, geht auf Tour, trifft und verliert Frauen, dreht Filme, studiert Kunst, eröffnet den illegalen „Pudel Club“, später den legalen „Golden Pudel Club“, in denen sich alles an Künstlern versammelt, was man als Hamburger Schule kennt.

Und er schluckt allerlei Drogen, und das führt uns in die dunklen Seiten des autobiogra­fischen Künstlerro­mans: Schamoni wird immer wieder heimgesuch­t von Panikattac­ken und peinigende­n Selbstzwei­feln. Zum Erbarmen ist die Szene, in der ihn während einer Interview-reihe ein Angstanfal­l überkommt und er sich unter einer Kommode verkriecht.

Schamoni erzählt von einem Künstler, der unbedingt Kunst machen will, der Kunst machen muss, auch wenn das oft ins Schattenre­ich führt, wo die Selbstzwei­fel über das Nichtgenug-sein schon warten.

Immer wieder aber bringt das wilde Leben, das Schamoni in „Pudels Kern“schildert, sehr schöne Anekdoten hervor. Man zähle etwa die verschiede­nen Arten, auf die man in Lokalen in ganz Deutschlan­d lebenslang­es Hausverbot bekommt.

Philipp Seidel

 ?? Foto: Dorle Bahlburg ?? Musiker, Schriftste­ller, Ex-clubbetrei­ber und Ex-punk: Rocko Schamoni.
Foto: Dorle Bahlburg Musiker, Schriftste­ller, Ex-clubbetrei­ber und Ex-punk: Rocko Schamoni.

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