Diskussionsfeinde
Die Stadt setzt die Aufführung von „Sehnsucht nach Unschuld“ab – einem Dokumentarfilm von und mit Leni Riefenstahl über die Nuba
Das Filmmuseum hat überraschend beschlossen, den Film „Sehnsucht nach Unschuld“nicht zu zeigen. Das Werk ist eine Montage aus Material von Leni Riefenstahl. Die Regisseurin – auch von Reichsparteitagsfilmen der NSDAP Mitte der 30er Jahre – war zwischen 1963 und 1976 mehrmals in den Sudan gefahren und hatte dort das Volk der Nuba porträtiert. Der geplante Nuba-film aber wurde von Riefenstahl nie herausgebracht – im Gegensatz zu ihren Nubafotos.
Auch der aktuelle Rechteinhaber und Tv-produzent Holger Roost hat mit „Sehnsucht nach Unschuld“nicht versucht, Riefenstahls Film fertigzustellen. Vielmehr hat Roost aus dem von ihm restaurierten und digitalisierten Material etwas Neues gemacht. Er verwendete viele Aufnahmen, die Riefenstahl nicht als Teil ihres Films wollte: Aufnahmen von ihr selbst beim Filmen in Afrika und als Gast der Nuba.
Das Filmmuseum München wollte „Sehnsucht nach Unschuld“heute zeigen. Diese Vorführung wurde nun auf Drängen des Migrationsrates und von Aktivisten abgesagt. Dabei wäre die Filmvorführung eingebettet in eine Diskussion gewesen: Nach der Vorführung wollten Roost, der Filmhistoriker
und Riefenstahlexperte Martin Loiperdinger und Filmmuseumsleiter Stefan Drößler über den Umgang mit dem Filmmaterial, über den kolonialen Blick auf fremde Kulturen und die Ästhetik von Leni Riefenstahls Inszenierungen sprechen. Diese kritische Diskussion über Riefenstahls Erbe ist nun nicht mehr möglich.
„Das Museum reagiert damit auf Proteste eines Zusammenschlusses des Netzwerks Rassismusund Diskriminierungsfreies Bayern, des Migrationsbeirats, des Netzwerks der Münchner Migrantenorganisationen Morgen e.v. sowie weiterer Vertreter*innen der Schwarzen Community“, schreibt das Filmmuseum in einer Stellungnahme. „Das Filmmuseum hat großes Interesse daran, ein Forum für die ganze Stadtgesellschaft zu sein und aktuellen gesellschaftlich relevanten Themen und Debatten Raum zu geben“, heißt es weiter: „Umso bedauerlicher ist, dass es dem Filmmuseum im Vorfeld nicht gelungen ist, Perspektiven der Black Community von Anfang an einzubeziehen.“
Für Holger Roost ist das absurd: „Man kann den Film gut oder schlecht finden. Aber ihn nicht zu zeigen, ist letztlich eine Art von Zensur. Der Film ist weder rassistisch, noch verherrlicht er in irgendeiner Form Frau Riefenstahl – im Gegenteil“, sagte er der AZ. Außerdem weist Roost darauf hin, dass er extra „Sehnsucht nach Unschuld“nicht in einem kommerziellen Kino zeigen wollte, sondern absichtlich in einem kritischen Rahmen im Filmmuseum – mit einer anschließenden Diskussion mit dem Publikum. „Das wäre doch genau die richtige Form für eine offene, demokratische Gesellschaft, um sich mit Riefenstahl, Kolonialismus und Rassismus auseinanderzusetzen. Aber dafür muss man den Film halt auch zeigen.“
Auch in der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) hatte sich Widerstand gegen die Vorführung im Filmmuseum geregt. Eine Gruppe von rund 20 Studierenden hatte bereits Karten für die Vorstellung reserviert. „Wir hätten den Film auch angeschaut. Er ist nunmal in der Welt und damit auch Gegenstand für Diskussionen“, sagt Hff-studentin Leila Keita: „Aber es gibt Aspekte, die meine Mitstudierenden und ich so problematisch finden: Das beginnt mit der merkwürdigen Kombination aus einem plötzlich auftauchenden Dokumentarfilm mit problematischem Material und dass der Mann, der den Film geschnitten hat und herausbringt, gleichzeitig mit den Nuba-fotografien, die er zur Zeit in München ausstellt, Geld macht.“Dann sei da noch die Frage, warum man an der Diskussion nicht noch Expertinnen oder Experten für Hierarchien, kolonialen Blick und Rassismus mit aufs Podium geholt hätte. „Wie diese Vorführung geplant war, ist es wahrscheinlich besser, dass sie abgesagt ist“, so Hff-studentin Keita. Sie kann sich aber vorstellen, dass der Film an der HFF in einem „pädagogisch-kritischen Rahmen“gezeigt wird, um sicherzustellen, dass die Fehler des Filmmuseums nicht wiederholt werden würden.
Holger Roost hat auf die Absage noch mit einem offiziellen Statement reagiert: „Mit Entsetzen muss ich eine erneute Verengung des zugelassenen Meinungskorridors in Bezug auf Kunstfreiheit zur Kenntnis nehmen. Im Namen von Toleranz und zur Vermeidung von Verletzungen im Hinblick auf Gefühle von Minderheiten und Andersdenkenden wird ein Film und eine Diskussion einfach verboten. Eine vorherige Betrachtung, weder durch die sich beschwerenden Black Community noch durch den Migrationsbeirat oder das Kulturreferat fand nicht statt.
Die Bilder sind ein unwiederbringliches, interessantes Zeitdokument und können in vielfältiger Weise eingeordnet und diskutiert werden. Die Doku ist weder rassistisch noch eine Rehabilitierung von Frau Riefenstahl. Sie ist vielmehr bestens dazu geeignet, den eigenen Zugang zum Zeitgeist von damals und heute zu schärfen.
Wer aber eine Auseinandersetzung darüber bereits im vorauseilenden Gehorsam abwürgt, handelt nicht im Interesse von Toleranz und Meinungsvielfalt und verhindert genau das, was die Stadtregierung in ihrem Selbstbild postuliert: demokratisch, offen und bereit zum Dialog.“Adrian Prechtel