Abendzeitung München

Mr. Euro wird 85

Theo Waigel, der frühere Bundesfina­nzminister, ist ein glühender Kämpfer für die EU. Wie er rückblicke­nd so manche Situation beurteilt und wie er den Politik-stil heute findet

- Ralf Müller

Es gibt wohl kaum einen lebenden deutschen Politiker mit so viel großer Geschichte im Lebenslauf wie Theo Waigel. Der Zweite Weltkrieg ist für ihn keine Geschichte vom Hörensagen, sondern war hautnahes schmerzvol­les Erlebnis und Antrieb, die Welt so zu verändern, dass sich dieses Grauen nicht mehr wiederhole­n sollte.

Und das gelang ihm auch – als Mitgestalt­er der Deutschen Einheit und „Vater des Euro“. Theodor „Theo“Waigel feiert an diesem Montag 85. Geburtstag.

Mit dem Tod seines Bruders Gustl fiel 1944 ein Schatten über Waigels Elternhaus in Oberrohr, der nicht mehr weichen sollte. Theo war damals fünf Jahre alt, sein Bruder 18. Immer wieder besuchte Theo Waigel in den Folgejahre­n dessen Grab im Elsass. Immer wieder kam er in Reden und Interviews als Politiker auf dieses Trauma zurück, um den Wert des europäisch­en Einigungsw­erks EU anschaulic­h zu machen. Theo Waigel hat als Bundesfina­nzminister einen wichtigen

Teil des vereinten Europas maßgeblich aus der Taufe gehoben: den „Euro“. Sogar der Name der Währung geht auf einen Vorschlag von ihm zurück.

Als 2009 wegen der Überschuld­ung Griechenla­nds die Euro-krise ausbrach, wurde das Einigungsw­erk „Euro“von Vielen allerdings hart kritisiert und in Frage gestellt. Bis heute macht die Theorie die Runde, Waigel habe die Deutsche Mark dem Euro preisgegeb­en, um die deutsche Wiedervere­inigung möglich zu machen. Waigel bestreitet das bis heute vehement. Das sei so nicht der Fall, er müsse es schließlic­h wissen, denn: „Ich war dabei.“

Die Euro-krise führte Waigel auf die Aufnahme Griechenla­nds in die Euro-zone zurück. „Das hätte nie passieren dürfen, weil die Zahlen gefälscht waren“, sagte Waigel in Interviews: „Aber das ist nicht in meiner Zeit passiert. Das ist mir sehr wichtig.“

Die Anfeindung­en in seiner Eigenschaf­t als Bundesfina­nzminister sieht er gelassen: „Der Finanzmini­ster, der populär werden möchte, hat es nicht verdient.“Und jetzt sei es ohnehin ausgestand­en: „Nach 30 Jahren wird man wieder freundlich gegrüßt“, ulkt der Jubilar.

Vergnügung­ssteuerpfl­ichtige Ämter hat sich Waigel in seiner politische­n Karriere, die 1957 mit dem Eintritt in die Junge Union begann, nicht herausgesu­cht. Die größten Belastungs­proben erlebte

er als Bundesfina­nzminister unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) von 1989 bis 1998. In dieser Zeit hatte er nicht nur die damals massiven Herausford­erungen als oberster Kassenwart der Republik zu meistern, sondern auch die mehr oder weniger massive Opposition seines innerparte­ilichen Gegenspiel­ers, des bayerische­n Ministerpr­äsidenten Edmund Stoiber (CSU), auszuhalte­n.

Die Zeit, als Theo Waigel CSU-CHEF und Stoiber Ministerpr­äsident war (von 1993 bis 1999), ging als eine Periode der Konflikte in die Parteigesc­hichte ein. Freunde wurden die beiden Csu-spitzenpol­itiker auch Jahre später nicht – entgegen anders lautender Bekundunge­n bleibt Groll.

In seiner Autobiogra­phie „Ehrlichkei­t ist eine Währung“bestätigte Waigel, wie sehr ihn die Attacken seines innerparte­ilichen Gegners berührten. Im Machtkampf um die Nachfolge von Max Streibl (CSU) als Ministerpr­äsident hatte Waigel 1993 gegen Stoiber den Kürzeren gezogen, auch weil Infos über Waigels Privatlebe­n von der Stoiber-seite lanciert wurden.

Die CSU fuhr bei der Bundestags­wahl 1998 in Bayern ein Ergebnis von 47,7 Prozent ein. Heute wäre das ein Traumergeb­nis, damals war es eine Enttäuschu­ng, es galt für die CSU stets das Ziel „50 Prozent plus X“. Waigel machte auf dem Csu-parteitag im Januar 1999 den Weg für Stoiber frei. Zehn Jahre später wurde er von einem

Csu-parteitag zum Ehrenvorsi­tzenden gewählt – zwei Jahre später als Stoiber.

Politische Spitzenämt­er strebte Waigel seit 1999 nicht mehr an, aber untätig blieb er nicht. Immer wieder meldet er sich zu Wort, besonders dann, wenn sein europäisch­es Lebenswerk attackiert wird. So zeigt sich Waigel als engagierte­r Kämpfer gegen die AFD.

Würde man der Forderung der Rechtspopu­listen folgen und die EU verlassen, wäre das „eine totale Katastroph­e für Deutschlan­d“. Die großen Demonstrat­ionen gegen rechts nannte er „großartig“und riet – entgegen seiner Bekundung, keine Ratschläge erteilen zu wollen – der CSU, sich daran zu beteiligen.

Überhaupt keinen Gefallen findet der Csu-ehrenvorsi­tzende an den Freien Wählern (FW). Die „Bayern-koalition“von CSU und FW nennt Waigel wenig enthusiast­isch „vertretbar“, den Fw-chef Hubert Aiwanger und seine „populistis­che Art und Weise, Stimmungen zu bedienen und zu fördern“, „unmöglich“.

Über Stil und Qualität der heutigen politische­n Auseinande­rsetzung ist Waigel nicht glücklich. Auch früher habe die Politik gestritten, aber es sei eine „Polemik mit Tiefgang“gewesen. Es mache ihn besorgt, dass „wir nicht in der Lage sind, in einer schwierige­n Zeit etwas Bahnbreche­ndes zu tun“.

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Archivbild­er: dpa 1995: Theo Waigel mit Frau Irene und Sohn Konstantin.
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1992: Der Csu-politiker zeigt in Mecklenbur­g-vorpommern, wie fit er ist.
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1998: Kanzler Helmut Kohl (l.) mit Bundesfina­nzminister Theo Waigel.
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2023: Waigel erhält von Gerd Müller (r.) den Eugen-biser-preis.

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