Ein Streifzug durch
Viertelliebe-führungen sind bei Touristen und Münchnern begehrt. Neu auf der Agenda: eine persönliche Entdeckungsreise durch Gärtnerplatz- und Glockenbachviertel
Einstein ging im Glockenbachviertel ins Gymnasium. Und wo das Gärtnerplatzrondell steht, war bis Ende des 18. Jahrhunderts ein eher feuchtes Gelände. Das sind Infos, die Interessierte bei der neuen Viertelliebe-tour durchs Glockenbachviertel erhalten – und nicht mehr vergessen.
Nicht-münchnern ist das Glockenbachviertel vor allem fürs Nachtleben bekannt – und die queere Community, deren Wurzeln auf die ersten Kneipen der Schwulenszene zurückreichen. Tagsüber gibt es versteckte Hinterhöfe, inhabergeführte Cafés und kultige Läden zu entdecken.
Geschichten drumherum und die Historie erzählt eine Liebhaberin des In-viertels: bei einer persönlichen Tour. Für Touristen praktisch, eigentlich nur einen Sprung von Marienplatz und Glockenspiel entfernt. Die Abendzeitung spazierte bei der ersten Viertelliebe-tour mit.
Am Gärtnerplatzrondell treffen sich acht Entdecker. Mit dabei: ein Ehepaar aus Thüringen, das bereits zwei Nachtspaziergänge und eine Dritte-reich-führung erlebt hat. Eine Medizinerin aus Dresden hat neben ihrem Kongress
‚‚ Zeit für den Spaziergang. „Total gespannt“ist eine Münchnerin, die seit 30 Jahren in San Diego lebt.
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Das Rondell, gerade ein Meer aus weißen und gelben Tulpen, war der erste Schmuckplatz in München. Zum Schutz der Blumen war er zu Anfang mit einem sehr hohen Gitter eingezäunt. Stadtführerin Astrid Neubert, die im Gärtnerplatzviertel lebt, zeigt ein historisches Foto. „Wie kurios. Heute ist der Platz ja hübscher“, wird kommentiert.
Astrid Neubert lebt seit 25 Jahren um die Ecke. Als Gästeführerin ist sie ein Profi: „Stellen Sie sich vor, vor langer Zeit war hier ein eher feuchtes Gelände mit Kasernen der Armee und vielen Pulvermühlen“, erklärt sie uns.
In der Reichenbachstraße zeigt sie, in welchem Hinterhof bis 2007 die Münchner Hauptsynagoge stand. Denn der Stadtteil mit seinen soliden, und nicht allzu verzierten Bürgerhäusern, war lange
das jüdische Viertel mit vielen koscheren Geschäften.
Auf der Reichenbachbrücke hoch über der Isar stoppen wir am charmanten Tag- und Nacht-kiosk, den es seit 1904 gibt. Er hat 300 Biersorten, auch glutenfreies Bier. Darüber schmunzeln die München-gäste. „Der Späti-verkäufer darf die Flasche Bier seinem Kunden herausreichen, nicht aber öffnen. Denn der Kiosk ist ein Verkaufsstand. Öffnet der Verkäufer die Flasche, gilt der Ort als Schänke“, erfahren wir. Selbst mir als Münchnerin ist diese Info ganz neu.
Zu Fuß geht es weiter zur Kirche St. Maximilian. Dessen katholischer Pfarrer Rainer Maria Schießler für seine unkonventionelle Art bekannt ist. Er fährt in schwarzen Lederklamotten auf dem Motorrad durch die Straßen, segnet einmal im Jahr die Hunde und Katzen, Schildkröten und Meerschweinchen im Vierte. Er arbeitet am Oktoberfest und spendet das Geld. „Schießler ist auffällig. Er sagt, was er denkt, nicht zu jedermanns Gefallen. Er ist sehr beliebt, propagiert die Kirche der offenen Türen und nimmt das Wort Seelsorge sehr ernst“, Astrid Neubert mag ihn sehr.
In der Ickstattstraße gibt es das gehobene Gasthaus „Waltz“, gegenüber von einem Schrauben- und Werkzeug-geschäft und der Wasch- und Bügelstube. Durch die Fenster der Klenzeschule ist zu sehen, wie Kinder in der Turnhalle Judo trainieren. Hier verbrachte Karl
Valentin seine Grundschulzeit. Von dem berüchtigten und riesigen Varieté-palast „Colosseum“, im Zweiten Weltkrieg zerstört, ist nur noch ein alter Kastanienbaum übrig. Er steht im Biergarten vom Sax. „Was für Berlin das Berghain ist, war das Colosseum damals für München, ein europaweit bekannter Vergnügungsspot“, weiß sie zur Historie.
Das gelbe Haus vom „Faun“war bis in die späten 80er Jahre ein Club für Männer, das „Together“. Freddie Mercury ging hier mit weißem Feinrippunterhemd und Schnauzer vorbei. Astrid Neubert ist Freddie-mercury-fan. „Es hieß damals, München ist der Äquator, weil es so heiß ist, im Viertel gab es viel zu erleben, wenn man am gleichen Geschlecht interessiert war“, sagt sie. Die Schwulenszene der Stadt sei direkt nach New York, San Francisco und Amsterdam gekommen.
Freddie Mercury war begeistert, dass ihn die Münchner in Ruhe ließen. Insgesamt hat er acht Jahre in der Stadt gelebt. Am Holzplatz ist der Queensänger verewigt, auf einem historischen Pavillon. Das ehemalige Pissoir aus dem 19. Jahrhundert stand früher am Stachus. 1900 hat die Stadt es ins Glockenbachviertel verlegt.
Heute ist das denkmalgeschützte Pissoir geschlossen. Auf Platten haben Street-art-künstler auch das Porträt des jungen Albert Einstein gesprayt. Er war im Viertel aufs Gymnasium gegangen.
Auf dem Garagentor gegenüber leuchtet Schauspielerin Barbara Valentin, Mercurys beste Freundin. „Sie ist nicht wegzudenken aus dem Viertel“, meint Astrid Neubert.
‚‚ Inspirierende Kontraste gibt es in der Holzstraße, „Sei Pippi nicht Annika“steht in Anspielung an Astrid Lindgren. Unter
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der Hausnummer 9 ist der Saal einer Kirche der Baptisten-gemeinde. Genau gegenüber hat die Friseur-innung München ihren Sitz und ein Elektromeister im Viertel seine Werkstatt.
Die angesagte Paradiso Tanzbar in der Rumfordstraße sucht Mitarbeiter für Tür, Bar und Garderobe. Als legendäres Travestielokal „Old Mrs. Henderson“flog Mick Jagger zum Drag Ball ein, als Freddie Mercury in dem Etablissement seinen Geburtstag feierte, wo auch das Video „Living on my own“spielt. Das plüschige Ambiente, die Kronleuchter – alles ist original. „Es kommt junges Publikum. Am Wochenende ist das
aber auch eine Tanzbar für alle, die die 30 überschritten haben“, sagt unsere Stadtführerin.
Wir bleiben stehen vor dem Luxus-wohnturm „The Seven“, dem Schwulen Kommunikationszentrum Sub, dem Vorzeige-flüchtlingsprojekt „Bellevue di Monaco“. Zu Ende ist der Spaziergang in der Deutschen Eiche, dem Szene-treff des Wirte-ehepaars Dietmar Holzapfel und Josef Sattler: „Bekannt für sensationelle Schnitzel und eine gute Atmosphäre. Promis, Künstler und Gäste aus dem Gärtnerplatztheater kommen nach der Vorstellung gerne“, sagt Guide Astrid Neubert.
Ihr Geheimtipp: „Die unprätentiöse Dachterrasse im 6. Stock.“In dem Boutique-hotel mit Männer-sauna im Keller, verliebte sich Regisseur Rainer Werner Fassbinder in einen Kellner. Fassbinder, der in München 1982 im Alter von nur 37
Jahren starb, war hier oft. Sein Porträt mit „du fehlst“ist genau gegenüber der Deutsche-eiche an einen Stromverteiler-kasten gesprüht. Es gibt die Idee, dass der Reichenbachplatz, neben der Deutschen Eiche, zum Rainer-werner-fassbinder Platz wird. Denn der heutige Platz nahe Donnersbergerbrücke hat nichts mit Fassbinder zu tun.
Es gab hier Kasernen der Armee
Gästeführerin Astrid Neubert verabschiedet sich nett von ihrer Gruppe – und erlaubt sich eine persönliche Bemerkung: „Ich finde es wirklich schade, dass in seinem Viertel nichts an Fassbinder erinnert: Hier hat er doch seine Filme gedreht!“
Hier hat er doch seine Filme gedreht
Viertelliebe-führung 18 Euro, Nächste Glockenbach-tour: Samstag, 11. Mai, 15 Uhr. Buchung unter: einfach-muenchen.de/fuehrung-viertel. Das Referat für Arbeit und Wirtschaft bietet neun Viertelliebe-touren.