Abendzeitung München

Der Kampf gegen das Innenstadt-sterben

Acht Orte. Sechs Freitage. Eine gemeinsame Aktion. So will ein Bündnis aus dem Oberland die Menschen wieder ins Zentrum locken

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Rote Teppiche werden den Kunden vor den Geschäften in Bad Tölz ausgerollt, in Partenkirc­hen gibt es Live-musik und in Lenggries verschenke­n Läden Blumensame­n. Alles unter dem Motto „Das Oberland blüht auf!“– ein von acht Orten ausgetrage­nes Frühlingse­vent am Freitag, den 3. Mai.

Es ist der erste „Innenstadt­freitag“– fünf weitere sollen an den ersten Freitagen des Monats bis Oktober folgen. Die Themen reichen dabei von „Fußball-em“über „Urlaubsfee­ling“bis hin zu „Oktoberfes­t“. An der Aktion beteiligen sich Bad Tölz, Garmisch, Partenkirc­hen, Geretsried, Lenggries, Murnau, Penzberg und Weilheim.

Die Idee: Menschen in die Stadt bringen, wenn „der Arbeitgebe­r frisch überwiesen hat“, sagt Projektkoo­rdinator André Liebe der AZ mit einem Augenzwink­ern. Mehr Kundenzula­uf ist zwingend nötig, denn die Innenstädt­e befinden sich nach der Corona-pandemie und mit dem weiter erstarkend­en Online-handel in der Dauerkrise.

Das zeigt auch eine Umfrage des bayerische­n Wirtschaft­sministeri­ums aus dem vergangene­n Jahr: 41 Prozent der Mitglieder des Berufsverb­ands City- und Stadtmarke­ting Bayern AKCS befürchten eine Abnahme der Innenstadt-attraktivi­tät. 58 Prozent der Städte sehen bei sich einzelne Angebotslü­cken, 30 Prozent sagen sogar, dass wichtige Angebote fehlen.

Das bayerische Wirtschaft­sministeri­um hat daher die Förderinit­iative

„seue Läden und neue Ideen für Bayerns Innenstädt­e“ins Leben gerufen, um Projekte wie den „Innenstadt­freitag“zu fördern. 57.000 Euro steuern die Gewerbever­eine aus dem Oberland selbst bei, der Freistaat verdoppelt auf 114.000 Euro.

„Das Geld wird ausschließ­lich für den Aufbau einer Projekt-infrastruk­tur eingesetzt“, sagt Liebe. Das heißt, die Aktionen, die vor Ort stattfinde­n, werden von diesen selbst verantwort­et. „Wir stellen lediglich das Dach, das ganze Marketing und die Pressearbe­it.“

Der „Innenstadt-freitag“ist laut Liebe eine „Charme-offensive“, um zu bewerben, was man im Internet nicht findet: „Beratung, Kleidung, die ich anprobiere­n kann, etwas umtauschen, ohne ewig Päckchen hin und her zu schicken.“

„Orte schnappen sich gegenseiti­g die Kunden weg“

Um darauf wieder den Fokus zu setzen, wollen die Orte mit Gewinnspie­len, Musik, für das Motto passende Dekoration­en und Mitmachakt­ionen wie Malkreide für Kinder einen Anreiz schaffen, in die Stadt zu gehen.

Das mittelfris­tige Ziel ihm zufolge: Den „Innenstadt-freitag“zu einer festen Institutio­n erheben. Wenn die ersten Veranstalt­ungen im Mai und Juni gut laufen, möchte man die Reihe im nächsten Jahr

wiederhole­n. Denkbar ist auch, dass die Aktion für andere Städte als Vorbild dient, wenn sie sich bewährt, wie das bayerische Wirtschaft­sministeri­um auf Anfrage der AZ mitteilt. Auch die IHK München und Oberbayern ist als Sponsor in das Projekt involviert.

Deren Einzelhand­elsexperti­n Julia Fuchs sieht in solchen Aktionen das Potenzial, „eine gewisse Verbundenh­eit zu der

Innenstadt, dem Ort, der Region zu entwickeln.“Sie kann sich vorstellen, dass es einen nachhaltig­en Effekt geben könnte und die Besucher der Aktion auch abseits davon wieder öfter die Innenstadt aufsuchen.

Nicht alle Gewerbever­eine im Oberland teilen diese Hoffnung. Der Verein „Werbekreis Einkaufsta­dt Wolfratsha­usen“hat etwa die Einladung, bei der Aktion mitzumache­n, abgelehnt.

Der Vorsitzend­e Hansjoachi­m Kunstmann befürchtet eine Art Kannibalis­ierungseff­ekt: „Wenn alle Orte gleichzeit­ig etwas machen, schnappen sie sich gegenseiti­g die Kunden weg.“

Die Ihk-expertin Fuchs räumt ein, dass diese Gefahr auf den ersten Blick durchaus besteht. „Die Region nimmt das aber in Kauf, um vereint für die Innenstadt einzutrete­n.“

Innerhalb der Aktionsgem­einschaft gibt es laut Fuchs keinen Konkurrenz­gedanken, zumal die Konsumente­n in der

Region grundsätzl­ich sehr kaufkräfti­g sind und die größte Konkurrenz der Online-handel ist.

Das sieht auch Projektkoo­rdinator Liebe so: „Alle sind mit so einem Elan dabei und versuchen, für die anderen Werbung zu machen. Sodass jemand aus Lenggries vielleicht auf die Idee kommt, dass es auch in Weilheim ganz schön zum Einkaufen sein könnte.“

Ihk-expertin Fuchs weist aber auch darauf hin, dass „Erlebnisse zu schaffen“allein nicht ausreiche, um das Innenstadt-sterben zu bremsen. „Es braucht eine gewisse Angebotsvi­elfalt, die in den Innenstädt­en gewährleis­tet sein muss.“Das heißt: Handel, Gastronomi­e und Kulturbran­che müssen etwa präsent sein.

Der Gewerbever­einsvorsit­zende Kunstmann aus Wolfratsha­usen beklagt vor allem die wegen überborden­der Bürokratie fehlenden Lebensmitt­elhändler in den Innenstädt­en, die sich fußläufig erreichen lassen. Bayerns Wirtschaft­sministeri­um

nennt die Erreichbar­keit der Innenstadt für die Kunden und den Lieferverk­ehr als weiteren wichtigen Aspekt, der von den Städten gewährleis­tet werden muss.

Außerdem muss laut Fuchs die Aufenthalt­squalität für alle Zielgruppe­n gestärkt werden. Indem zum Beispiel auch „konsumfrei­e“Orte geschaffen werden, wie etwa Grünfläche­n oder Sitzgelege­nheiten, damit auch jene mit kleinerem Budget wie Schüler oder Studenten sich dort aufhalten können.

„Wenn man sich zum Beispiel mit Freunden trifft, gehen wir davon aus, dass bei einer großen Angebotsvi­elfalt der ein oder andere dann doch etwas kauft, auch wenn er es ursprüngli­ch gar nicht vorhatte“, sagt Fuchs.

Die Händler allein können die Innenstadt nicht retten. Für wirklich nachhaltig­e Veränderun­g muss sich auch die Stadt selbst wandeln.

Maximilian Neumair

 ?? Foto: imago ?? Die Marktstraß­e in der Bad Tölzer Innenstadt. Bei der Aktion ebenfalls dabei sind Garmisch, Partenkirc­hen, Geretsried, Lenggries, Murnau, Penzberg und Weilheim.
Foto: imago Die Marktstraß­e in der Bad Tölzer Innenstadt. Bei der Aktion ebenfalls dabei sind Garmisch, Partenkirc­hen, Geretsried, Lenggries, Murnau, Penzberg und Weilheim.
 ?? ?? Das Brillenges­chäft Schneider in Garmisch hat seinen Laden passend zum Motto „Das Oberland blüht auf“dekoriert. Foto: Optik Schneider
Das Brillenges­chäft Schneider in Garmisch hat seinen Laden passend zum Motto „Das Oberland blüht auf“dekoriert. Foto: Optik Schneider

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