Abendzeitung München

Sokrates will doch nur grillen

Die Comic-zeichnerin Catherine Meurisse entdeckt hinter den Erkenntnis­sen der großen Philosophe­n „Allzumensc­hliches“– und trifft ins Schwarze

-

Natürlich kreisen auch die Großen vor allem um sich selbst und ihre Bedürfniss­e. In der Karaoke-bar schmettert der sonst völlig auf sein Werk fixierte Immanuel Kant am liebsten „Kan’t get no satisfacti­on“, und Sokrates will einfach bloß grillen: riesige Rinderkote­lettes. Was der Übervater des abendländi­schen Denkens von sich gegeben hat, weiß man sowieso nur über seine Schüler. Da könnten sich auch Verständig­ungsfehler eingeschli­chen haben.

Für Catherine Meurisse ist das ein gefundenes Fressen. Die Zeichnerin geht den Dingen gerne auf den Grund, um sie lustvoll auf ihrem Rost aus Scherz, Spott und Tiefendeut­ung zu drehen und zu wenden. Trainiert hat die Französin das beim Satiremaga­zin „Charlie Hebdo“. Bis zum islamistis­ch motivierte­n Terroransc­hlag 2015 war sie dort zehn Jahre lang Redaktions­mitglied.

Die spitze Feder ist geblieben und doch feiner, raffiniert­er geworden. Besonders, wenn sich Meurisse die Heroinen der Kulturgesc­hichte vornimmt. Édouard Manets Olympia zum Beispiel will sich unter gar keinen Umständen hochschlaf­en. Das ist bei einer der prominente­sten Kurtisanen der Malerei eine herrliche Haltung. Sie bekommt aber ihre Chance, weil das vom Salonmaler Bouguereau bevorzugte Starmodell unter Heuschnupf­en leidet und bei der bald angesagten Plein-air-malerei aufgeben muss.

„Olympia in Love“zählt neben „Die Leichtigke­it“mit der Verarbeitu­ng des Charlie-hebdo-attentats zum Besten aus Meurisses Bild-text-werkstatt.

Jetzt sind es die großen Denker, die ihr Fett abbekommen. Einmal im Monat durfte sich die 44-Jährige im französisc­hen Philosophi­e-magazin austoben. „Allzumensc­hliches“, frei nach Friedrich Nietzsche, reiht nun 46 dieser vielsagend­en kurzen Episoden aneinander, fiktive freilich, bei denen die Meurisse meistens mit von der Partie ist.

Gleich am Anfang liegt sie nach einer selbstiron­isch fiesen Waxing-prozedur neben René Descartes im Bett und tauscht sich mit ihm über das viel zitierte Stück Wachs aus, mit dem der die „Einsicht des Geistes“erklärt. Søren Kierkegaar­d, der wie Caspar David Friedrichs „Wanderer“über einem vernebelte­n Abgrund taumelt und passend dazu die Angst mit dem Schwindel vergleicht, wird von Meurisse vor dem Absturz bewahrt. Sie löchert Martin Heidegger vor seinem Rückzugshä­usle mitten im Schwarzwal­d zur Theorie des „Daseins“und kapitulier­t schnell vor der Partizipie­nreiterei um das Seiende – noch ohne Gendern.

Das ist köstlich, zwischendu­rch kalauernd, bringt einen aber dazu, mit ihr zu grübeln. Manches gerät etwas verquast, gerade in der Kürze. Wenn Meurisse den feministis­chen Spieß umdreht, entwickelt sich allerdings großes Philo-theater. Dann bekennt Jean-paul Sartre – toll getroffen mit Colabodenb­rillengläs­ern – frei nach Simone de Beauvoir: „Man wird nicht als Mann geboren, man wird es.“Und Odysseus wartet 20 Jahre lang stricknade­lklappernd auf Penelope, während die sich unterwegs mit diversen Nymphen vergnügt. Der Held hält durch, denn am Ende weiß er die „offizielle Mythologie“auf seiner Seite.

Bei Sokrates sind es Platon und Konsorten, die nicht müde wurden, von dessen hartnäckig­en Frage-attacken zu berichten. Den Athenern ging das auf die Nerven und mehr noch die „Gottesläst­erei“und „Verführung der Jugend“. Also wurde der Wahrheitss­uchenden zum Tode verurteilt. Vielleicht hätten ihn seine Landsleute besser zum Grillabend eingeladen. Mit sehr viel Wein. Christa Sigg

Nach dem Waxing geht es ins Bett mit Descartes

Catherine Meurisse: „Allzumensc­hliches“(Carlsen Verlag, 96 Seiten, 25 Euro)

 ?? Abbildung: DARGAUD 2022, by Meurisse ?? Catherine Meurisse beamt sich durch die Philosophi­egeschicht­e und trifft bedeutende Vertreter wie Sokrates. Von dem gibt es keine Aufzeichnu­ngen, was man weiß, ist von seinen Schülern überliefer­t. Und jetzt stellt Meurisse endlich alles klar. Beim Zeus!
Abbildung: DARGAUD 2022, by Meurisse Catherine Meurisse beamt sich durch die Philosophi­egeschicht­e und trifft bedeutende Vertreter wie Sokrates. Von dem gibt es keine Aufzeichnu­ngen, was man weiß, ist von seinen Schülern überliefer­t. Und jetzt stellt Meurisse endlich alles klar. Beim Zeus!

Newspapers in German

Newspapers from Germany