Abendzeitung München

Anfeindung­en treffen „tief ins Herz“

Bayerische Parteien sehen die Gewalt gegen Politiker mit großer Sorge

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Nach den Angriffen auf den sächsische­n Spdspitzen­kandidaten Matthias Ecke, den Grünen-politiker Rolf Fliß in Essen und die Berliner Wirtschaft­ssenatorin Franziska Giffey wächst auch unter Mandatsträ­gern in Bayern die Sorge vor Angriffen.

Einer der Wahlkämpfe­r, der diese Veränderun­gen spürt, ist der Csu-fraktionsv­orsitzende Korbinian Rausch aus Unterhachi­ng. Er leitet in der Gemeinde im Münchner Süden den Europawahl­kampf der Christsozi­alen. „Von Wahl zu Wahl nehmen die Beschädigu­ngen kontinuier­lich zu“, sagt der Kommunalpo­litiker der AZ. „Das ist nicht nur schlimmer geworden – sowas gab es auch vor zehn Jahren einfach noch nicht.“Um sein Team zu schützen, hat der Csu-vertreter die ehrenamtli­chen Helfer darauf hingewiese­n, keine Plakate allein aufzuhänge­n und auch nicht mit Broschüren auf eigene Faust auf Stimmenfan­g zu gehen.

Neben Sachbeschä­digungen seien zwei seiner Wahlkampfh­elfer im Europawahl­kampf bereits aggressiv beschimpft worden. Dass sie „vergast gehören“, sollen Passanten den Mitstreite­rn von Rausch zugerufen haben.

Der Wahlkampfl­eiter sieht mehrere Gründe für diese Entwicklun­g: Einerseits gebe es eine politische Unzufriede­nheit in der Bevölkerun­g, anderersei­ts auch eine starke Verunsiche­rung mit Blick auf die geopolitis­che und ökonomisch­e Situation.

Diese Gemengelag­e spitzt sich laut Rausch seit der Corona-pandemie – als „Querdenker“-bewegungen starken Zulauf bekamen – weiter zu. Die zunehmende Radikalitä­t in der Auseinande­rsetzung sei aber auch das „Ergebnis von zehn Jahren AFD“, meint der Wahlkampfl­eiter.

Kritik, dass auch die CSU und Freien Wähler durch populistis­che Äußerungen zur Verrohrung der Sprache beitragen, ist für den Unterhachi­nger haltlos: „Sich gegenseiti­g den schwarzen Peter im demokratis­chen Spektrum zuzuschieb­en, halte ich für einen großen Teil des Problems, warum wir bisher gegen die Bedrohunge­n nicht ankommen.“

Der Bundestags­abgeordnet­e Anton Hofreiter (Grüne) aus dem Landkreis München ist genau gegenteili­ger Ansicht. „Söder ist ein demokratis­cher Politiker, aber seine Aussagen – unter anderem, dass die Grünen nicht zu Bayern gehören und sie die Menschen zum Insektenfr­essen zwingen – haben direkte Auswirkung­en auf meine Sicherheit“, sagt er der AZ.

Seit Ende des Landtagswa­hlkampfes 2023 habe sich die

Lage wieder mehr entspannt, trotzdem sei es unangenehm, „wenn ich am Bahnhof stehe und immer schaue, dass ich eine Deckung von hinten habe, damit mich keiner attackiere­n kann“.

Vollkommen anders schätzt die Situation der bayerische Afd-bundestags­abgeordnet­e Gerold Otten ein. Ihm zufolge führt die Ausgrenzun­g der AFD im politische­n Alltag zur Spaltung der Bevölkerun­g. „Das hat das gesellscha­ftliche Klima nicht besser gemacht“, sagt er der AZ. „Es ist wirklich meine große Sorge, dass es weiter eskaliert. Ich hoffe, dass es keine Schwerverl­etzten oder sogar Tote gibt.“

Otten sei bereits mehrmals in vergangene­n Wahlkämpfe­n bedroht worden, doch einschücht­ern lässt er sich nicht: „Ich habe mehrere Jahre Kampfsport trainiert – gegen einige könnte ich mich, wenn es bedrohlich wird, schon zur Wehr setzen. Das ist aber nicht der Sinn der Sache, weil ich Gewalt ablehne.“

Die Europawahl-spitzenkan­didatin der Bayern-spd, Maria Noichl, sieht keine Lösung der Probleme durch die Verstärkun­g der Polizeiprä­senz. Stattdesse­n gibt es, wenn man der Parlamenta­rierin folgt, vor allem im Internet Aufholbeda­rf. Denn die Hassbeiträ­ge anonymer Akteure blieben dort größtentei­ls unbestraft.

Dass ausgerechn­et die SPD mit derartig vielen Anfeindung­en zu kämpfen hat, trifft die Sozialdemo­kratin „tief ins Herz“. „In der Zeit, als Hitler die Macht ergriffen hat, waren die Sozialdemo­kraten auch Feinde, die auserkoren wurden und am Ende im KZ landeten“, erinnert sie.

Ähnlich wie Hofreiter macht Noichl neben der AFD auch die Bayerische Staatsregi­erung für die Stimmung im Freistaat mitverantw­ortlich. „Dieses konsequent­e Ampel-bashing ist die Lunte, die man hinlegt“, so die

Einschätzu­ng der Politikeri­n. „Wenn die dann einer anzündet, ist es aber nicht okay, wenn sich Söder und Aiwanger wegdrehen und so tun, als ob sie nichts damit zu tun hätten.“

In München demonstrie­rten kurzfristi­g am Donnerstag mehrere Initiative­n gegen die jüngste Gewalt gegen Politiker. „Wer Hass sät, wird Gewalt ernten“, sagte Ronja Hofmann, Mitorganis­atorin der Demonstrat­ion. „Hass ist keine Alternativ­e“, stand beispielsw­eise auf einem Schild. Alexander Spöri

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M. Kappeler/dpa Kann sich etwa am Bahnhof nicht unbefangen aufhalten: Anton Hofreiter.

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