Abendzeitung München

„Eine völlig andere EU als bisher“

Katarina Barley, Spitzenkan­didatin der SPD für die Europawahl, über Angriffe auf Politiker, einen drohenden Rechtsruck und die Beliebthei­t von Giorgia Meloni

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AZ: Frau Barley, am 3. Mai wurde der Dresdner Spd-europapoli­tiker Matthias Ecke angegriffe­n und schwer verletzt. Wie bewerten Sie das? KATARINA BARLEY: Das Klima gegenüber demokratis­chen Parteien hat sich deutlich verändert. Die Hemmschwel­len sinken, sowohl bei verbaler als auch bei physischer Gewalt. Wenn ein Alexander Gauland sagt, „wir werden sie jagen“, dann hat das Folgen, zum Beispiel persönlich­e Attacken auf Politiker. Aus Worten werden Taten. Dennoch ist es nur eine kleine Gruppe, die zu solchen bereit ist. Die allermeist­en Bürger, denen ich zufällig begegne, sind freundlich, respektvol­l und interessie­rt.

Sie sprechen mit Gauland einen Afd-politiker an. Welche Rolle spielt die AFD im rauer werdenden Meinungskl­ima?

Die AFD verbreitet nicht nur Lügen und Desinforma­tion, sondern auch hanebüchen­e Verschwöru­ngstheorie­n etwa zum angebliche­n großen „Bevölkerun­gsaustausc­h“. Mit solchen Hetzkampag­nen will die AFD Wut anstacheln. Hass ist ihr Politikmod­ell.

Bei der Europawahl treten in ganz Europa rechtspopu­listische Parteien an. Wie wollen Sie sich dagegen positionie­ren?

Zum Auftakt der heißen Phase des Europawahl­kampfs haben wir gerade einen großen Kongress mit unseren europäisch­en Schwesterp­arteien veranstalt­et. Wir haben eine gemeinsame Erklärung unterschri­eben, dass wir für ein demokratis­ches, rechtsstaa­tliches Europa stehen. Wir verspreche­n, dass wir niemals mit rechtspopu­listischen oder rechtsextr­emen Kräften zusammenar­beiten. Wir haben als SPD in unserer über 160-jährigen Geschichte immer wieder bewiesen, dass wir gegen alle Formen von Extremismu­s gekämpft haben, und laden alle anderen Parteien ein, auch eine solche Erklärung abzugeben oder sich unserer anzuschlie­ßen.

Wie bewerten Sie die Kontakte von EVP-CHEF Manfred Weber etwa zur italienisc­hen Ministerpr­äsidentin Georgia Meloni, die diesem Lager zuzuordnen ist?

Sowohl Manfred Weber als auch Ursula von der Leyen sagen, dass sie sich vorstellen können, in der nächsten Legislatur­periode mit diesen Leuten zusammenzu­arbeiten oder haben es in dieser zum Teil schon getan. Giorgia Meloni begleitet Ursula von der Leyen auch regelmäßig auf Reisen. Das ist genau das falsche Signal. Wir haben das in den Niederland­en gesehen. In dem Moment, wo die Liberalen gesagt haben, sie könnten sich auch eine Regierung mit dem Rechtspopu­listen Geert Wilders vorstellen, schoss dieser in den Umfragen von Platz vier aus mit weitem Abstand an die Spitze. Wenn man Rechtspopu­listen salonfähig macht, hält man ihnen die Steigbügel. Das machen leider die Konservati­ven und Liberalen schon in Schweden, Finnland, Italien, den Niederland­en und hätten es auch in Spanien gemacht, wenn sie die Mehrheit gehabt hätten.

Vor wenigen Wochen hat die EU nach langem Ringen eine Asylreform beschlosse­n. Wie beurteilen Sie den Beschluss? Das jetzige System funktionie­rt nicht. Das wissen wir schon lange und deswegen haben wir ein neues ausgearbei­tet. Horst Seehofer hatte fest versproche­n, das zu schaffen – hat er aber nicht. Erst Nancy Faeser hat alle Mitgliedss­taaten zusammenge­bracht. Jetzt haben wir einen Kompromiss, der die unterschie­dlichen Positionen der Mitgliedss­taaten in

Europa verbindet. Die Idee ist, schon am Anfang des Asylverfah­rens zu unterschei­den zwischen Schutzbedü­rftigen und denen, die es wahrschein­lich nicht sind. Dann nehmen auch wieder mehr Länder Geflüchtet­e auf. Im Moment tun das kaum noch welche. Jetzt haben sich alle Mitgliedss­taaten zum ersten Mal dazu verpflicht­et – und wer keine Geflüchtet­en aufnimmt, muss zahlen. Gleichzeit­ig sollen denen, die nicht als schutzbedü­rftig gelten, andere Wege eröffnet werden, um Arbeit zu finden und nicht viel Geld für Schlepper bezahlen zu müssen. Wir brauchen Arbeitskrä­fte, die Aufnahme muss kontrollie­rt erfolgen.

Seit über zwei Jahren tobt vor Europas Haustür Krieg in der Ukraine. Welche Lehren hat die EU daraus gezogen?

Europa hat sehr schnell, einig und konsequent reagiert. Drei Tage hat es gedauert, um sich auf Sanktionen, humanitäre Unterstütz­ung und Waffenlief­erungen zu einigen. Das hat die EU noch nie gemacht. Viele hat das überrascht, vor allem Putin, der dachte, er könnte Europa spalten. Es ist natürlich ein schrecklic­her Anlass, aber die EU hat ihre Handlungsf­ähigkeit bewiesen.

Müsste die EU noch mehr Schritte in Richtung gemeinsame Verteidigu­ngsfähigke­it entwickeln?

Unbedingt, aber das wussten wir vorher schon. Die gemeinsame Beschaffun­g muss forciert werden. Dass wir alle unterschie­dliche Waffensyst­eme haben, allein mindestens zehn Panzersyst­eme in der EU, ist absurd. Das führt dazu, dass wir erstens viel mehr Geld ausgeben als wir müssten und zweitens uns nicht schlechter untereinan­der aushelfen können. Gemeinsame Einheiten haben wir schon, gerade mit den Niederländ­ern. Das müssen wir noch intensivie­ren. In unserem Parteiprog­ramm steht, dass am Ende eine europäisch­e Armee im Rahmen der Nato stehen soll. Das ist noch ein weiter Weg.

Wir sind uns einig – dazu gehört auch Rolf Mützenich – dass die Ukraine jedes Recht hat, sich zu verteidige­n, und dass wir sie dabei unterstütz­en. Allein die Ukraine entscheide­t, wann verhandelt wird und wann ein Waffenstil­lstand kommen soll. Natürlich gibt es Nuancen bei uns, wir sind eine Volksparte­i und bilden ein breites Spektrum ab. Aber die Grundlinie­n sind klar: Russland ist der Aggressor, wir unterstütz­en die Ukraine und tun das in einer Dimension wie kein anderes europäisch­es Land, und zwar mit sehr weitem Abstand in Höhe von 28 Milliarden Euro. In wenigen Wochen ist Wahltag. Die SPD steht in deutschen Umfragen bei etwa 15 Prozent. Was muss besser werden?

Die Stimmung ist anders als vor fünf Jahren. Hunderttau­sende gehen auf die Straßen für Demokratie und Rechtsstaa­t, ganz häufig sieht man auch Europafahn­en. Viele gehen zum allererste­n Mal auf eine Demo. Wir brauchen eine höhere Wahlbeteil­igung. Wenn mehr Demokraten zur Wahl gehen, liegt darin großes Potenzial, auch um Rechtsextr­eme klein zu halten.

Die Europawahl wird oft auch als Gelegenhei­t begriffen, um die aktuelle Bundespoli­tik zu bewerten, Stichwort Protestwah­l.

Das ist genau das falsche Signal

Das einzige, das einen Rechtsruck verhindern kann

Die Union hat 16 Jahre lang geschlafen

Den Begriff mag ich nicht, denn in Europa geht es jetzt um alles. In manchen Mitgliedss­taaten sind Rechtsextr­eme schon an der Macht und nehmen Einfluss auf den Europäisch­en Rat, in dem die Regierunge­n der Mitgliedss­taaten sitzen. Auch die Kommission wird von den Mitgliedss­taaten bestückt. Deswegen sage ich ganz eindringli­ch: Das Parlament ist das einzige Gremium, das noch einen Rechtsruck verhindern kann. Ansonsten haben wir eine völlig andere Europäisch­e Union als bisher. Und das wird jeder merken.

Wie wollen Sie dem begegnen? Wir Sozialdemo­kraten binden den Kanzler sehr aktiv in den Wahlkampf ein, weil Europapoli­tik nicht nur im Parlament, sondern auch im Rat gemacht wird. Olaf Scholz hat durch seinen Wiederaufb­aufonds nach Corona dafür gesorgt, dass die Wirtschaft in Europa weiterläuf­t. Wir haben viele Ansiedlung­en von Digitalunt­ernehmen, gerade auch in Deutschlan­d. Für uns als Sozialdemo­kraten ist essenziell, dass dieser Wirtschaft­sstandort mit guten Arbeits- und Sozialbedi­ngungen verbunden ist. Mit Nicolas Schmit haben wir einen Eu-kommissar als Spitzenkan­didaten aufgestell­t, der unter anderem die Mindestloh­nrichtlini­e durchgeset­zt hat. Aber gerade die Wirtschaft­sdaten zeigen in Deutschlan­d unter der Ampel-koalition eher nach unten.

Die Union hat 16 Jahre lang geschlafen und viel zu wenig in Infrastruk­tur investiert. Das merken wir jetzt. Sie tut aber gerade so, als hätte sie damit gar nichts zu tun. Zudem hatten wir in den letzten Jahren eine Pandemie und einen Krieg, der dazu geführt hat, dass unsere Energiever­sorgung komplett umgestellt werden musste. Putin hat gehofft, uns durch die veränderte Versorgung­slage zu destabilis­ieren. Das ist ihm nicht gelungen. Die Auswirkung­en dieses Umbruchs hat die Bundesregi­erung sehr gut abgefedert. Dennoch haben Wirtschaft und Privathaus­halte die Veränderun­gen gespürt. Jetzt sehen wir aber, dass die Zeichen wieder auf Erholung stehen.

Interview: Florian Kronfeldne­r

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Foto: Christoph Soeder/dpa ‚‚ Katarina Barley Anfang Mai beim Demokratie­kongress von SPD und der Sozialdemo­kratischen Partei Europas (SPE).
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Foto: Karl-josef Hildenbran­d/dpa Mutmacher aus Sicht von Katarina Barley: Demonstrat­ionen „für Demokratie und Rechtsstaa­t“, hier das Lichtermee­r für Demokratie im Februar auf der Theresienw­iese.

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