Abendzeitung München

Die Revue eines Lebenswerk­s

Drei endlose Stunden, zerbröseln­de Handlung: Ralph Siegels Musical „Ein bisschen Frieden“im Deutschen Theater

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Bang blickt Schlagerde­utschland am heutigen Samstag nach Malmö. Dort entscheide­t sich der diesjährig­e Eurovision Song Contest. Oft landeten die Beiträge aus deutschen Landen nur im Mittelfeld und in den vergangene­n Jahren hat man sich sogar an eine Platzierun­g ganz am Ende der Esc-charts fast schon gewöhnt. Das Deutsche Theater erinnert jetzt an einen einst überrasche­nden Triumph aus einer deutschen Schlagerkü­che: „Ein bisschen Frieden“, der Gewinnerso­ng des Jahres 1982 in Harrogate.

Ralph Siegel, der schon zu den alten und renommiert­eren Haudegen des Sängerwett­streits gehörte, als dieser noch Grand Prix Eurovision de la

Chanson hieß, schrieb den Titel und produziert­e ihn in seinem Sollner Studio mit Nicole. Die junge Sängerin war die erste deutsche Interpreti­n, die den Großen Preis gewann und ist bislang auch die Vorletzte, die oben auf dem Siegertrep­pchen stehen durfte. Nur Lena Meyerlandr­ut aus Hannover kam 2010 mit dem englischsp­rachigen Titel „Satellite“auch auf den ersten Platz.

Das Schicksal einer 17-Jährigen aus dem Saarland, die unter den Fittichen eines väterliche­n

Musikprodu­zenten aus München in die große Welt der internatio­nalen Unterhaltu­ngsbranche gespült wird, schien Siegel und seinem Texter Ronald Kruschak, der auch Handlung und Libretto schrieb, nicht interessan­t genug zu sein. Mit dem Musical „Ein bisschen Frieden“reißen sie ein ganz großes Panorama auf.

Sie erzählen nicht nur von der Sehnsucht nach einer besseren Welt für noch bessere Menschen, sondern auch von gesamtdeut­scher Historie. Die Vorgeschic­hte: Der Ost-rocker Ricky Steiner (Tim Wilhelm, Leadsänger der Band Münchner Freiheit) und das West-hippiemädc­hen Elisabeth (Madeleine Haipt) haben sich 1967, dem

„Summer of love“, am Rostocker Strand ineinander verliebt. Aber der Stasi-mann Walter Krause (Benjamin Heil) hat den westlich versifften Musikanten im Blick, denn das Liedgut seiner Combo passt nicht zur politische­n Linie des Arbeiterun­d Bauernstaa­ts.

Ricky flieht mit einem Schlauchbo­ot über die Ostsee und wird Straßenmus­iker im südenglisc­hen Badeort Brighton. 40 Jahre später reisen die inzwischen verwitwete Elisabeth (Sonja Farke) und ihre Enkelin Nina, die von Ruhm im Pop-business träumt, nach Brighton, um Omas große Jugendlieb­e wiederzufi­nden. Verfolgt werden sie einerseits von Elisabeths Tochter und Ninas

Mutter Jutta (Simone Ballack, Ex-gattin des gleichnami­gen Fußballers). Anderersei­ts sucht der ehemalige Staatssich­erheits-scherge Bauer (Alexander Kerbst, der für den schwer erkrankten Heinz Hoenig übernimmt) nach dem Sänger, der sich jetzt Rick Stone (Dan Lucas) nennt. Noch immer dem untergegan­genen System treu will er die Veröffentl­ichung von Rickys Memoiren verhindern.

Der 78-jährige Ralph Siegel nutzt diese sich über viele bewegte Jahrzehnte erstrecken­de Geschichte für eine Lebenswerk-revue mit Material, das er aus seinen mehr als 2000 Titel umfassende­n Oeuvre schöpfen konnte. Ganz große Hits wie „Dschingis Khan“, mit dem er 1979 beim Grand Prix einen respektabl­en vierten Platz erreichte, kommen nicht vor. Nur der Titelsong wird immer wieder, auch mal in Moll, angespielt, um zum Finale in voller Pracht präsentier­t zu werden.

Jennifer Siemann als Nina, die stimmlich bis dahin nur in den hübschen Duetten überzeugen kann, fügt dem eher schlichten Lied und seiner naiven Botschaft interessan­te Farben hinzu. Doch in den drei endlosen Stunden, die bis dahin vergehen, zerbröselt die Story von unendliche­r Liebe umstellt von einer endlichen Diktatur.

Regisseur Benjamin Sahler ließ sein Ensemble vor allem in den unsägliche­n Dialogen im Stich. Ebenso zeigt der ambitionie­rte Plot handwerkli­che Schwächen. Das Happy End, zum Beispiel, ist fürchterli­ch: Holterdipo­lter findet sich die Lösung aller mühselig konstruier­ten Konflikte in einer schwachen Minute.

Sechs Personen begegnen sich wie zufällig unter großem, hölzern gespieltem Hallo („Du hier?“, „Ja, was macht denn ihr hier?“, und so weiter), um als drei glückliche Paare irgendwie ganz viel Frieden zu finden. Um den eigentlich starken Stoff ist es ein bisschen schade.

Mathias Hejny

Deutsches Theater, bis 19. Mai, dienstags bis samstags 19.30 Uhr, sonntags 14.30 Uhr, Karten online und unter ☎ 5234444

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Foto: Wolfgang Klauke Tim Wilhelm und Madeleine Haipt als gesamtdeut­sches Liebespaar in „Ein bisschen Frieden“.

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