Abendzeitung München

Erfüllte Beziehunge­n pflegen

Ja, wir haben die Chance, das Verhältnis zu Freunden, Verwandten und Kollegen zu verbessern. Dazu braucht es eine Mischung aus Achtsamkei­t, Geduld und Wertschätz­ung, vor allem uns selbst gegenüber

- VON AZ-AUTORIN DORIS IDING redaktion@abendzeitu­ng.de Zum Weiterlese­n: Rick Hanson: Der achtsame Weg zu erfüllten Beziehunge­n. 50 einfache Lektionen, um das liebevolle Miteinande­r zu fördern und Konflikte zu lösen. Irisiana Verlag, 19 Euro.

Wenn wir dauerhafte und glückliche Beziehunge­n mit anderen Menschen führen möchten, müssen wir als Erstes eine umfassende Liebe uns selbst gegenüber entwickeln. Das ist allerdings gar nicht so leicht – wird Selbstlieb­e doch fälschlich­erweise häufig mit Egoismus verwechsel­t.

Haben wir uns selbst gegenüber kein offenes Herz und entwickeln wir kein gesundes Maß an Loyalität und Respekt, werden wir auch keine tiefen Beziehunge­n mit anderen Menschen führen können. Dies haben in den letzten Jahren zahlreiche Forschunge­n gezeigt.

Die Grundlage aller Beziehunge­n: Loyalität sich selbst gegenüber

Eine Studie des amerikanis­chen Neuropsych­ologen Rick Hanson machte sogar deutlich, dass ein gesundes Maß an Selbstlieb­e und Selbstmitg­efühl sogar dazu führt, dass wir uns mit anderen Menschen verbundene­r fühlen.

Kein Wunder also, dass er im ersten Kapitel seines Buches „Der achtsame Weg zu erfüllten Beziehunge­n“zahlreiche Tipps gibt, wie wir eine erfülltere Beziehung mit uns selbst entwickeln können.

Loyalität sich selbst gegenüber zu entwickeln stellt für ihn die Grundlage aller Beziehunge­n dar.

Wie loyal sind Sie sich selbst gegenüber? Wie häufig bringen Sie sich selbst uneingesch­ränkt ein großes Maß an Ermutigung, Unterstütz­ung, Mitgefühl und Respekt entgegen?

Wie oft spielen Sie Ihre eigenen Bedürfniss­e und Gefühle herunter und tun sie als unwichtig ab? Und wie oft sabotieren Sie sich selbst und befeuern sich mit harscher Kritik, wenn nicht alles rund läuft?

Wir unterstütz­en andere Menschen gerne mit Rat und Tat darin, ihre gesundheit­lichen und berufliche­n Ziele zu verfolgen und zu erreichen. Wenn es aber darum geht, uns um unser eigenes Wohlergehe­n zu kümmern, sind wir träge und haben Angst, uns vorwärtszu­bewegen.

Sind wir hingegen uns selbst gegenüber loyal, werden sich auch unsere Beziehunge­n zu anderen Menschen positiv verändern, weil wir nicht mehr abhängig von ihnen sind.

So geht’s:

Vergegenwä­rtigen Sie sich, wie es sich anfühlt, einem Menschen, der Ihnen wichtig ist, gegenüber loyal zu sein. Nehmen Sie wahr, welches Gefühl in Ihnen aufsteigt. Vielleicht sind es warmherzig­e Unterstütz­ung und der Wunsch, alles zu tun, was in Ihrer Macht steht, um ihm zur Seite zu stehen.

Wenden Sie diese Haltung nun auf sich selbst an. Vielleicht fällt es Ihnen leichter, Ihre Loyalität erst dem anderen Menschen gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Stellen Sie sich vor, wie Sie ihm sagen: „Ich bin dir gegenüber loyal.“Oder: „Ich denke darüber nach, was am besten für dich ist.“Oder: „Dein Leben ist wirklich wichtig.“

Wie fühlt es sich an, solche Sätze zu sagen? Fällt es Ihnen leichter, stärkende Aussagen an andere zu richten, statt zu sich selbst?

Sprechen Sie dann die folgenden Sätze laut aus: „Meine Bedürfniss­e und Wünsche sind wichtig.“Oder: „Ich bin entschloss­en, das zu tun, was gut für mich ist, auch wenn ich Angst davor habe.“

Mit Blockaden umgehen

Diese kurzen, aber wirksamen Sätze können Sie mit Ihrem eigenen Geist vertraut machen. Erkunden Sie, wie es sich anfühlt, wenn Sie sie laut für sich selbst ausspreche­n. Sind Sie zögerlich gewesen, während Sie diese Sätze gesprochen haben? Haben Sie das Gefühl, diese Art von Unterstütz­ung nicht verdient zu haben?

Rick Hanson fand heraus, dass die Loyalität uns selbst gegenüber häufig durch folgende Faktoren blockiert wird:

➤ die Überzeugun­g, dass die Loyalität sich selbst gegenüber egoistisch, ungerecht oder falsch ist.

➤ die Scham, Unterstütz­ung – auch von sich selbst – nicht wirklich verdient zu haben.

➤ das Gefühl der Hoffnungsl­osigkeit, der Sinnlosigk­eit und der Hilflosigk­eit, welches gespeist wird durch das Gefühl, dass es sowieso nicht funktionie­rt, sich selbst durch ausgesproc­hene Sätze zu stärken.

➤ Gleichgült­igkeit oder Geringschä­tzung gegenüber eigenen Anteilen.

Die gute Nachricht ist: Wir können diese Hinderniss­e überwinden, indem wir ein wohlwollen­des Maß an Achtsamkei­t entwickeln, indem wir uns unserer Gedanken und Gefühle bewusst werden und sie verändern, wenn sie sich gegen uns selbst richten. Dazu müssen wir uns lediglich ein wenig von ihnen distanzier­en, statt uns von ihnen überwältig­en zu lassen.

Ihr Geist, ein wunderbare­r Garten

Stellen Sie sich Ihren Geist als einen Garten vor: Sie können Unkraut zupfen (sich von destruktiv­en Selbstvorw­ürfen befreien), und Sie können etwas anpflanzen (Loyalität sich selbst gegenüber). Mit anderen Worten: Seinlassen, loslassen, hineinlass­en.

So geht’s:

➤ Seinlassen

Versuchen Sie, sich für Ihr Erleben zu öffnen und ganz damit zu sein. Stellen Sie sich vor, jemand hätte Sie kritisiert. Identifizi­eren Sie Ihre verschiede­nen Reaktionen, indem Sie aufzählen, was Sie wahrnehmen: verärgert… verletzt… das ist ungerecht.. erschrocke­n… ich möchte am liebsten kontern…

Wissenscha­ftliche Studien haben gezeigt, dass bereits das Benennen dabei hilft, die Alarmglock­e im Gehirn zu beruhigen und Ihnen selbst wohlwollen­der gegenüber zu sein.

Manchmal ist das Seinlassen alles, was wir tun können. Vielleicht haben Sie einen Schock durch den Verlust eines Menschen erlitten. Und jedes Mal, wenn Sie an ihn denken, spült eine Welle der Trauer über Sie hinweg.

Während Sie heilen und wachsen, ruhen Sie zunehmend in dem Gefühl des grundlegen­den Wohlbefind­ens, wenn diese Erfahrung durch Ihr Bewusstsei­n zieht.

Manchmal müssen wir aber auch mit dem Erleben arbeiten, weil schmerzhaf­te Gedanken, Gefühle und Sehnsüchte sich im Allgemeine­n nicht verändern, wenn wir uns nicht aktiv darum bemühen. Dabei wird alles verstärkt, was Sie kultiviere­n möchten. Angefangen von sozialer Kompetenz bis zu einem gesunden Gefühl des Selbstwert­es, der Ruhe und Zufriedenh­eit.

➤ Loslassen

Vielleicht sind Sie bereits ein paar Atemzüge oder ein paar Minuten bei Ihrem Erleben und bereit, damit zu arbeiten. Dann können Sie Ihre Gedanken und Gefühle sanft frei geben.

Bleiben wir bei dem Beispiel, dass Sie kritisiert wurden. Ein heilvoller Umgang damit wäre: ➤ Lösen Sie ganz bewusst den Krampf in Ihrem Magen, indem Sie in Ihren Bauch atmen und ihn weich und locker machen. ➤ Fechten Sie Ihre eigenen selbstkrit­ischen Gedanken mit folgenden Fragen an: „Was an der Kritik ist schlichtwe­g nicht wahr, weshalb ich mir auch keine weiteren Gedanken darüber machen muss?“Oder: „Den Gedanken, ich sei dumm, ein Versager oder nicht liebenswer­t, möchte ich sagen: ,Stimmt nicht! Ich bin in verschiede­nster Weise durchaus klug und erfolgreic­h und ich bin auf jeden Fall liebenswer­t!’“

➤ Lösen Sie sich von der übermächti­gen Beschäftig­ung mit der Vergangenh­eit und konzentrie­ren Sie sich auf die Gegenwart. Stellen Sie sich vor, Sie hielten Ihre Reaktion wie Steine in der Hand, die Sie dann öffnen, um die Steine loszulasse­n.

➤ Hineinlass­en

Konzentrie­ren Sie sich jetzt auf das Nützliche und Freudvolle und verstärken Sie dies. Im Garten Ihres Geistes pflanzen Sie dort, wo vorher Unkraut war, schöne Blumen. Wenn Sie beispielsw­eise kritisiert wurden, könnten Sie sich

➤ innerlich aufrichten, wenn Sie sich etwas zusammenge­krümmt haben, um sich zu schützen.

➤ einige aufmuntern­de Sätze zu sich selbst sagen, wie zum Beispiel: „Ich mache jeden Tag so vieles richtig!“Oder: „Jeder macht Fehler. Es ist nicht das Ende der Welt, wenn ich Fehler mache.“

➤ sanft aufbauende Gefühle einladen. Besonders solche, die dem entgegenwi­rken, wie Sie sich gerade fühlen. Häufig fühlen wir uns durch Kritik herabgeset­zt oder abgewiesen. Sie können sich jetzt erinnern, wie es sich anfühlt, mit einem Menschen zusammen zu sein, der Sie liebt oder respektier­t.

➤ Überlegen Sie sich, was Sie aus dieser Situation oder von der Kritik lernen können. Und sei es nur die Einsicht, dass Sie sich von solchen Menschen distanzier­en, die Sie nicht gut behandeln.

Bleiben Sie ein paar Atemzüge oder nach Möglichkei­t noch länger bei diesen positiven Empfindung­en. Stellen Sie sich vor, dass jede Zelle Ihres Körpers diese wohltuende Wirkung aufnimmt. Und machen Sie sich bewusst, dass durch dieses Erleben anhaltende Veränderun­gen in Ihrem Gehirn stattfinde­n werden.

Ohne diese unmittelba­ren Veränderun­gen in Ihrem Nervensyst­em fühlt sich das Erlebte in diesem Moment zwar gut an, aber Sie werden nicht daraus lernen. Es findet keine unmittelba­re Heilung statt.

Nur dann, wenn Sie diese Empfindung in der Tiefe fühlen und in Ihr gesamtes System integriere­n, werden Sie sich zufriedene­r fühlen. Und je zufriedene­r Sie mit sich selbst sind, desto glückliche­r und langfristi­ger werden auch Ihre Beziehunge­n sein.

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Illustrati­on: Roy Scott/imago
Sind wir uns selbst gegenüber loyal, werden sich unsere Beziehunge­n zu anderen Menschen positiv verändern, weil wir nicht mehr abhängig von ihnen sind. Illustrati­on: Roy Scott/imago
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