Abendzeitung München

„Aber ich habe doch Grün!“

Eltern sind besorgt, weil der Schulweg ihrer Grundschul­kinder über die viel befahrene Dachauer Straße führt. Von der Stadt fühlen sie sich im Stich gelassen

- Von Jan Krattiger

Vier Autospuren, die sogar mit Tempo 60 befahren werden dürfen. Trams in zwei Richtungen, die Vorfahrt haben, auch wenn die Fußgängera­mpel grün zeigt. Und obendrauf noch Fahrräder, abbiegende Autos von zwei Seiten und Autos, die an dieser Stelle eine der wenigen Möglichkei­ten haben, einen U-turn zu machen.

Da ist also ganz schön was los an der Ecke Dachauer Straße/heideckstr­aße in Neuhausen, wo täglich sehr viele Kinder über die viel befahrene Dachauer Straße zu ihrer Schule müssen, der Gertrud-bäumer-grundschul­e.

Zu viele Gefahren sind es für viele Eltern der Schüler, die südlich der Dachauer Straße wohnen. Es ist hektisch beim Treffen der AZ mit einer Gruppe besorgter Eltern. Verkehrslä­rm von allen Seiten und es ist noch nicht einmal Hauptverke­hrszeit an jenem Montagnach­mittag um 15 Uhr. Kaum einer – ob Eltern mit Kinderwage­n, Rentner mit Rollator oder sogar ein fitter Jugendlich­er – schafft es während der Grünphase ganz über die Straße. Da bleibt nur das Warten auf der Mittelinse­l.

Die Eltern fühlen sich im Stich gelassen an dieser Ecke, an der nicht ein Schild darauf hinweist, dass hier jeden Tag so viele Kinder vor und nach der Schule die Straße überqueren müssen. „Wir wollen nicht, dass mal etwas passiert“, sagt Anja Haiduk. Ihr Kind geht in die vierte Klasse. „Es war schon oft kurz vor knapp, auch nur weil wir Eltern eingegriff­en haben.“Sie müssten jeden Tag Angst haben, dass etwas passiert, sagt sie.

„Die Stadt sagt, Kinder sollen sicher und vor allem auch alleine zur Schule gehen“, sagt eine weitere Mutter. Das wollen sie an dieser Ecke ihren Kindern aber nicht zumuten.

Ein Grund für die Angst steht auf einem kleinen Schild auf der Mittelinse­l: „Tram hat Vorrang“steht da, recht klein, kaum lesbar von der anderen Seite. Ihre Kinder verstehen das nicht, sagen die Eltern. „Aber ich habe doch Grün!“, sagen sie und wollen, wie sie es eben gelernt haben, beim grünen Ampelmännc­hen über die Straße gehen.

Dass dann vielleicht trotzdem eine Tram anfährt, begreifen die Kinder noch nicht.

Ein weiterer Grund sind die Abbieger von der Heideckstr­aße und von der Hedwig-dransfelda­llee – gerade wenn wieder Tollwood-zeit ist, seien das nicht wenige. Sie haben gleichzeit­ig mit den Fußgängern eine grüne Ampel. Es gibt aber auf beiden Seiten der Straße, wie sonst oft üblich an solchen Stellen, keine orangen Fußgängerl­euchtsigna­le, die die Autofahrer darauf aufmerksam machen, dass hier die Fußgänger Vorrang haben.

Wir wollen nicht, dass mal etwas passiert

Dritter Gefahrenpu­nkt auf dem Schulweg für die Kinder aus Sicht der Eltern: Die vielen Autos, die an dieser Stelle einen U-turn machen, wenn sie stadtauswä­rts unterwegs sind. Es ist wegen der Tramspur in der Mitte die erste Gelegenhei­t dafür seit dem Leonrodpla­tz. „Die sehen oft nicht, dass die Kinder gleichzeit­ig grün haben und rasen noch kurz vor dem Kind drüber“, sagt Sarah Wendt, Mutter eines Grundschul­kinds. Sie würde sich vor allem eine Geschwindi­gkeitsbegr­enzung wünschen, „wie sie an jedem Kindergart­en und an Schulen üblich ist“. Tempo 30 wäre gut, „40 wäre auch schon ein Anfang“, findet sie.

Die Wünsche der Eltern nach einem sichereren Schulweg für ihre Kinder sind nicht neu. Schon vor sieben Jahren hätten erste Eltern versucht, beim Bezirksaus­schuss (BA) und auch bei der Schule darauf hinzuwirke­n, dass dieser Übergang sicherer wird.

Beim BA seien sie damit auf taube Ohren gestoßen, auch bei Anfragen in der jüngeren Vergangenh­eit. „Das ist sehr frustriere­nd“,

sagt Anja Haiduk. „Da hat man immer das Gefühl, dass da Leute sitzen, die selber keine Kinder haben.“

Der Bezirksaus­schuss war bei dem Thema allerdings nicht ganz untätig: Im letzten Jahr haben Vertreter der SPD und der Grünen beim städtische­n Mobilitäts­referat gefordert, die Situation für die Kinder an der Stelle zu verbessern, insbesonde­re wegen der Autos, die dort wenden wollen.

Die Viertelpol­itiker haben gefordert, dass die Autos keine grüne Ampel mehr haben, wenn die Fußgänger grün haben. Das Mobilitäts­referat (MOR) aber hat die Forderung abgelehnt. Es betont in seinem Antwortsch­reiben vom Februar dieses Jahres einerseits, dass

solche Wendemanöv­er sowieso „besondere Aufmerksam­keit“der Autofahrer erfordern würden. Außerdem erfolgten diese „eigenveran­twortlich“. Man habe 2022 den Abschnitt des Radwegs über die Dachauer Straße rot eingefärbt, wodurch sich laut Mobilitäts­referat der Fokus der Autofahrer auf den Vorrang der Fußgänger und Radfahrer „deutlich geschärft“haben sollte.

Auch auf Az-anfrage sieht die Antwort der Stadt auf die Probleme der Eltern an dieser Ecke nicht anders aus: Deren Hinweise seien „bekannt“, man stand und stehe in Kontakt mit der Schule und den Eltern. Und der Hinweis (den auch die Eltern bestätigen): An dieser Kreuzung seien dem MOR keine Schulwegun­fälle

bekannt. Das Einzige, was aus Sicht der Stadt an dieser Kreuzung möglich wäre – und was „einen erhebliche­n Sicherheit­sgewinn mit sich bringt“(MOR) – sind Schulweghe­lfer. Also ehrenamtli­ch engagierte Menschen, die sich in der Früh und wenn die Schule aus ist an die Kreuzung stellen und aufpassen, dass die Kinder sicher über die Straße kommen. Das sei an dieser Ecke „grundsätzl­ich genehmigt“, sagt das MOR. Darüber hinaus gebe es „keine weiteren Handlungso­ptionen“.

Dass Schulweghe­lfer an dieser Ecke eine gute Maßnahme wären, wissen auch die Eltern. Das Problem ist aber: Sie finden keine. Die letzten beiden Schulweghe­lfer haben laut den Eltern entweder aufgehört, weil sie zu alt waren, oder weil sie weggezogen sind. Aufrufe im Viertel seien bisher erfolglos geblieben.

Verantwort­lich für die Suche nach Schulweghe­lfern sind laut MOR die Schulleitu­ng und der Elternbeir­at. Das System funktionie­rt also nur, wenn sich jemand (oder mehrere Personen) freiwillig erklärt, für eine Aufwandsen­tschädigun­g von acht Euro pro Einsatz und maximal 20 Euro pro Tag den Job zu übernehmen. Das klappt an der Dachauer Straße und auch anderswo in der Stadt nicht immer (siehe Kasten).

Die Eltern der Grundschul­kinder wissen das und lassen aktuell nichts unversucht, um Schulweghe­lfer zu finden. Sie verstehen aber auch nicht, warum das die einzige Möglichkei­t sein soll, um diese Kreuzung für ihre Kinder sicherer zu machen.

Seien es orange Fußgängerl­euchtsigna­le, Schilder mit der Aufschrift „Achtung Schulweg“oder entzerrte Grünphasen. Aus Sicht der Eltern gäbe es viele Möglichkei­ten, wie auch die Stadt dort eingreifen könnte.

Tempo 40 wäre auch schon ein Anfang

Bis dahin – oder bis sich Schulweghe­lfer melden – bleibt ihnen nichts anderes übrig, als ihre Kinder auf ihrem Schulweg selber zu begleiten. Damit sie doch noch eingreifen können, wenn es mal wieder zu einem Beinahe-unfall kommt.

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Fotos (3): Jan Krattiger Gefahr von allen Seiten: Eltern der Gertrud-bäumergrun­dschulkind­er bitten die Stadt um Hilfe, damit der Schulweg für die Kinder sicherer wird.
 ?? ?? Immer viel los: Viele Fußgänger überqueren hier die viel befahrene Dachauer Straße in Neuhausen. Die Tram hat trotz Grün Vorrang.
Immer viel los: Viele Fußgänger überqueren hier die viel befahrene Dachauer Straße in Neuhausen. Die Tram hat trotz Grün Vorrang.
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Grafik: AZ An der Ecke Heideckstr­aße/dachauer Straße (umkreist) sehen Eltern der Gertrud-bäumer-grundschul­e große Gefahren für ihre Kinder.

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