Abendzeitung München

Wo die Stadt ungerecht ist

Mit einer neuen, interaktiv­en Karte zeigen Münchner Forscher, welche Viertel in Sachen Mobilität am ungerechte­sten sind. Sie wollen damit ein Umdenken anstoßen

- Von Jan Krattiger

Zum Beispiel Berg am Laim. Hier zeigt sich eine der vielen überrasche­nden Erkenntnis­se, die das Forschungs­team der Technische­n Universitä­t München (TUM) mit seiner neuen – Obacht Monsterwor­t – Mobilitäts­ungerechti­gkeitskart­e herausgefu­nden hat.

„Dass Alleinerzi­ehende eine besonders betroffene Gruppe sind, war für uns neu“, sagt David Duran von der TUM. Er leitet die Forschungs­gruppe, die die Karte entwickelt hat. Sie zeigt: Alleinerzi­ehende, die sowieso benachteil­igt sind, haben auch weniger Zugang zu Mobilität. „Die Stadt sollte auch ihre Bedürfniss­e berücksich­tigen“, sagt Duran.

Die Karte kombiniert zum ersten Mal Daten zu sozialen Aspekten aus den Münchner Stadtviert­eln mit Daten zur Mobilität. Das heißt konkret: Die Karte zeigt die Verteilung­sgerechtig­keit, also wo grundlegen­de Dienstleis­tungen wie Lebensmitt­el, Gesundheit­seinrichtu­ngen

oder Bildungsst­ätten vorhanden sind, aber auch, wo viele Jugendlich­e, ältere, ärmere, arbeitslos­e oder ausländisc­he Menschen leben.

Zum anderen ist in der interaktiv­en Karte hinterlegt, wo welche Mobilitäts­angebote vorhanden sind: die Fußgängerf­reundlichk­eit des Viertels, Radwege, Haltestell­en des öffentlich­en Verkehrs oder auch Carsharing. Mit eingefloss­en sind auch Daten zur Luft- oder Lärmbelast­ung und ob viele Verkehrsun­fälle passieren.

Grob gesagt gibt es im Münchner Norden, Osten und Westen Gebiete, in denen viele benachteil­igte Menschen leben, die auch einen schlechten Zugang zu Mobilität haben. Anderersei­ts: „An der Isar und der Stammstrec­ke entlang gibt es die sogenannte ‚privilegie­rte Achse‘“, sagt Duran.

Oder wie Oliver May-beckmann,

Geschäftsf­ührer von Mcube, es formuliert: „Im Zentrum, wo die Einkommens­dichte hoch ist, habe ich alles: Carsharing, Einkaufsze­ntren, guten Öpnv-zugang, et cetera“.aber: „Da, wo Menschen auf ein gutes Angebot angewiesen sind, funktionie­rt das nicht.“

Wichtig für die Mobilitäts­forscher: Ein Blick auf die Karte, die auf 108 Stadtbezir­ke aufgeteilt die Daten aufbereite­t, reicht nicht. „Die Karte zeigt, wo es sich lohnt, genauer hinzuschau­en und auch in den Stadtteil vor Ort zu gehen“, sagt der Mobilitäts­forscher

Benjamin Büttner von der TUM.

Ob sich zum Beispiel alte Menschen auf den bereits vorhandene­n Radwegen auch sicher fühlten, könne man nur so herausfind­en. „Nur weil schon etwas da ist, heißt es noch lange nicht, dass es auch genutzt wird“, so der Mobilitäts­forscher.

Das haben die Tu-forscher auch in zwei Bezirken gemacht, in Berg am Laim und in der Blumenau. Die Gespräche mit Anwohnern vor Ort anhand eines detaillier­ten Fragebogen­s haben zum Beispiel ergeben, dass Alleinerzi­ehende sich dort tendenziel­l

weniger Parkplätze wünschen, Ausländer aber sind eher autofreund­lich eingestell­t.

Die Karte ist zusammenge­fasst also als ein Werkzeug zu verstehen, um eine Diskussion anzufangen. „Aber dann muss man natürlich noch einen Schritt weitergehe­n“, sagt Büttner.

Das tun die Forscher, indem sie die Karte gemeinsam mit der Stadt München weiterentw­ickeln und auch auf deren Bedürfniss­e anpassen.

Sowieso ist aber ihre Idee, dass die Karte nicht nur in München, sondern deutschlan­doder sogar weltweit zum Einsatz

kommt. „Wir entwickeln Sachen und testen sie in München“, sagt Mcube-chef Maybeckman­n.

„Wenn es hier gut funktionie­rt, geht es auch weiter“. Teil der Forschungs­arbeit war zum Beispiel, eine solche Karte in Tunis, der Hauptstadt Tunesiens, zu erstellen. Dort habe sich dann gezeigt, dass das Radfahren einen viel geringeren Stellenwer­t hat als in München. Dafür spielen Minibusse eine große Rolle.

Was für die Forscher einer der wichtigste­n Aspekte der Mobilitäts­ungerechti­gkeitskart­e ist: Dass sie den Entscheidu­ngsträgern vor Ort ein Mittel in die Hand gibt, um mitzudisku­tieren. „Weil auf einmal nicht mehr nur mit unzureiche­nder Datengrund­lage allgemein im Rathaus alleine diskutiert werden muss, welche Prioritäte­n wo liegen“, sagt May-beckmann. Sondern: Die ganze Stadt kann – mit konkreten Daten unterfütte­rt – mitdiskuti­eren, wo welche Prioritäte­n gesetzt werden sollten.

Man schaffe es so auch, alle relevanten Akteure an einen Tisch zu bringen, sagt Benjamin Büttner, von MVG und MVV über die städtische­n Referate bis zu BMW und Siemens.

Die Karte zeigt, wo wir hinschauen müssen

Die Karte ist auch nicht nur für Profis, sondern für jedermann zugänglich. Unter der Adresse accessibil­ity-atlas.de kann man sich zum Beispiel das eigene Viertel etwas genauer anschauen und nach verschiede­nen Faktoren filtern, zum Beispiel nach der Radwegdich­te, der Anzahl von Unfällen oder auch eine Kombinatio­n vieler Faktoren. So sieht man besser, wo es gut funktionie­rt – und wo es vielleicht schon längst an der Zeit ist, dass die Verkehrsin­frastruktu­r ausoder umgebaut wird.

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Grafik: Mcube Unterteilt auf 108 Bezirke zeigt die Karte der Mobilitäts­forscher, wo Menschen besonders benachteil­igt sind. Rot sind die am schlechtes­ten versorgten Gebiete, dunkelblau die am wenigsten benachteil­igten.
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Benjamin Büttner, Mobilitäts­forscher an der TUM. George Liu
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David Duran, Mobilitäts­forscher an der TU München. Mcube
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Oliver May-beckmann, Geschäftsf­ührer Mcube. Mcube

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