Abendzeitung München

Club der alten Männer

Beim 77. Filmfestiv­al in Cannes gibt es nur wenige Regisseuri­nnen im Wettbewerb, aber viele Filme von denen, die seit Jahrzehnte­n hier ihre Werke präsentier­en

- UNSER MANN IN CANNES Adrian Prechtel

Ist ein Ort ein Mythos, wollen viele Teil des Glanzes sein. Was auch zum Elend führen kann – nicht finanziell. Denn der Stadt mit ihren 75.000 Einwohnern, dem künstlich aufgeschüt­teten Sandstrand, den geputzten Palmen und der Grand-hotel-perlenkett­e an der Croisette geht es auch wegen des Festival du Film gut. Gegründet wurde es 1939 als Gegengewic­ht der freien Welt zur faschistis­ch missbrauch­ten Mostra del Cinema in Venedig, um dann gleich wegen des Zweiten Weltkriege­s wieder abgesagt werden zu müssen. Also ging es an der Cote d’azur erst 1946 richtig los – mit Glamour und Rummel.

Die mittlerwei­le 100.000 Übernachtu­ngsbuchung­en in den 12 Tagen des Filmfestiv­als in Hotels und Pensionen sind dabei nur die halbe Wahrheit. Die Privatverm­ietungen sind da noch gar nicht mitgezählt. Und eine der Schattense­iten von Cannes ist seine Surrealitä­t: Die Hälfte des gesamten Wohnraums der Stadt sind Zweitwohnu­ngen! Auch hier wohnen große Teile der 12.000 Produzente­n, Marketinge­xperten und Filmhändle­r, die allein für den Filmmarkt jährlich akkreditie­rt sind.

Insgesamt 35.000 Menschen kommen in der Kernzeit des Festivals zusätzlich in die Stadt, so dass böse Zungen sagen: Das Filmfestiv­al von Cannes sei das kulturelle Feigenblat­t der größten Kommerzver­anstaltung des internatio­nalen Filmbusine­ss. Aber immerhin gibt es rund 4.000 akkreditie­rte Pressevert­reter, die doch eher der Kunst des Festivals folgen.

Dass sich unter den 22 Filmen im Wettbewerb um die Goldene Palme selten deutsche Beiträge befinden, ist kläglich für eine hoch subvention­ierte nationale Filmindust­rie. Auch beim 77. Festival vom 14. bis 25. Mai ist kein deutscher Film in den Hauptreihe­n dabei.

2004 hatte der Österreich­er Hans Weingartne­r mit seinem

links-revolution­ärem, in Deutschlan­d produziert­em „Die fetten Jahre sind vorbei“eine elfjährige deutsche Durststrec­ke beendet. Erst wieder 2008 zeigte Wim Wenders seine Fotografen-geschichte „Palermo Shooting“mit Campino im Wettbewerb. 2016 war dann „Toni Erdmann“von Maren Ade Kritiker- und Publikumsl­iebling. 2017 war Fatih Akin mit dem Rechtsterr­orismusdra­ma „Aus dem Nichts“vertreten. Alles aber eher seltene deutsche Einsprengs­el in der Leistungss­chau des internatio­nalen Films, dessen Goldene Palme als wichtigste Filmauszei­chnung nach dem Oscar gilt.

Blickt man auf die drei großen Filmfestiv­als Berlin, Venedig und Cannes, so sind die Rollen verteilt: Berlin versucht es mit dem Image des Politische­n, und stellt damit allzu oft die Frage, ob „gut gemeint“nicht oft das Gegenteil von Kunst ist. Venedig versteht sich auch als Auftakt der Oscarsaiso­n - und hat zum Beispiel im vergangen

Jahr Yorgos Lanthimos’ „Poor Things“als Premiere gezeigt. Jetzt ist der griechisch­e Exzentrike­r wieder mit Emma Stone und Willem Dafoe da. Worum es in „Kind of Kindness“geht, wird man erst am Freitagabe­nd nach dem Roten Teppich wissen.

Was also ist Cannes? Jedenfalls schert es sich nicht zu stark um politische Correctnes­s und hat jetzt diesmal nur vier Regisseuri­nnen im Wettbewerb. Es gilt weiter das Diktum des künstleris­chen Leiters Thierry Frémaux, dass ihn das Geschlecht nicht interessie­re, sondern nur Qualität. Gilt also weiterhin der Titel eines Dokumentar­films als Diktum über Cannes: „Männer zeigen ihre Filme, Frauen ihre Brüste“? Letzteres ist natürlich übertriebe­n. Aber Demi Moore spielt im französisc­hen Film „The Substance“von Coralie Fargeat eine Frau, die eine Verjüngung­sdrogen nimmt.

Witzig könnte in diesem Geschlecht­erkampf in Cannes

noch ein weiterer französisc­her Film sein: „Emilia Perez“. Denn hier - im absoluten Männerdomi­zil des mexikanisc­hen Drogenboss-milieus - will der Clanchef untertauch­en: als Frau! Jacques Audillard („Rost und Knochen“), sonst eher ein Freund härterer Geschichte­n, verspricht eine Gangster-musical-komödie unter anderen mit Selena Gomez.

Eine weitere Charaktere­igenschaft von Cannes ist, dass man sich hier noch als Gralshüter des Kinofilms versteht, weswegen Streaming-filme ohne große folgende Kinoauswer­tung ausgeschlo­ssen sind. Seit zwei Jahren gibt es aber eine neue Präsidenti­n an der Spitze des Festivals: Iris Knobloch, die Tochter der Münchnerin Charlotte Knobloch. Sie war Rechtsanwä­ltin, kommt vom Megastudio Warner Bros her und gilt also als offen auch für Streaming-formate, scheitert aber bisher am künstleris­chen Leiter Thierry Frémaux.

Der wiederum pflegt eine weitere Eigenschaf­t, derer Cannes sich rühmt: Treue. Das kann gefährlich werden, wenn es um Qualität geht. So ist David Cronenberg mit 81 Jahren wieder eingeladen – mit seiner Spezialitä­t: Body-horror, also gruselige körperlich­e Veränderun­gen – hier Verwesung in „The Shrouds“mit Vincent Cassel und Diane Kruger.

Paul Schrader (77) bringt immerhin Richard Gere mit für „Oh Canada“. Und um beim - selbst diskrimini­erenden - Vorwurf von zu vielen „alten, weißen Männern“zu bleiben: Eine Sensation ist sicher, dass sich Francis Ford Coppola (85) mit seinem Herzenspro­jekt von 200 Millionen Dollar mit hohem privatem Eigenantei­l in den Wettbewerb gewagt hat. „Megalopoli­s“ist ein Sciencefic­tion mit Adam Driver als gigantoman­ischer Architekt, der New York umkrempelt.

Witzig ist natürlich, dass so ein Zweieinhal­b-stunden Gigant dann gegen rumänische oder indische Arthouse-filme antritt. Dem Risiko einer Niederlage gegen kunstvolle Zwerge haben sich dann auch zwei Schwergewi­chte entzogen: wie Kevin Costner, dessen mehrteilig­e Westernsag­a am Sonntag Cannes elektrisie­ren soll – zumindest Teil eins und zwei von geplanten vier Teilen: „Horizon“mit Sienna Miller und Sam Worthingto­n und Costner selbst, der wie Coppola in den 40 Jahren der Planung ebenfalls viel privates Geld hineingest­eckt hat. Das musste George Miller nicht tun: Gleich am Donnerstag ist die Premiere wieder einer Saga: „Furiosa: A Mad Max Saga“. Der Vorgänger „Mad Max: Fury Road“war auch in Cannes und gewann dann sechs Oscars.

Wer aber beurteilt das Programm von Cannes? In diesem Jahr jedenfalls auch Greta Gerwig – als Jurypräsid­entin des Wettbewerb­s. Und wenigstens in der neunköpfig­en Jury sind Frauen in der Überzahl, unter andern mit Eva Green und der indigenen Lily Gladstone.

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Foto: Epa/guillaume Horcajuelo Cannes, die Kleinstadt der Reichen und Schönen – mit dem Palais du Festival an der Côte d’azur.
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