Gekippte Stimmung
Für seine Doku „Schock Schalom – jung, jüdisch, jetzt“hat Filmemacher Jan Tenhaven junge Menschen getroffen
Antisemitische Vorfälle hierzulande häufen sich seit dem Angriff der Hamas und anderer extremistischer Gruppen vom 7. Oktober 2023. Im Gespräch mit Filmemacher Jan Tenhaven berichten die jungen Menschen, ob sie ihr Jüdischsein nun verbergen, ob sie überhaupt religiös sind, wie sie mit muslimischen Mitmenschen umgehen und wie sie über die Situation in Gaza denken.
Die Wirtschaftsstudentin Aviva aus München engagiert sich politisch. Sie spricht bei Kundgebungen. Ihr Eindruck: Die Gesellschaft spaltet sich und die Mehrheit findet, Israel und die Juden seien an allem schuld. Musiker Nika hat von Freunden Sprüche bezüglich seiner jüdischen Wurzeln gehört. Religiös sei er nicht, lediglich das Fest Chanukka begehe seine Familie.
Adam und Eyal sind zwei Comedians aus Berlin, die unter dem Namen Two Jews auftreten und mit Witz mit ihrem Jüdischsein umgehen. Eyal spricht von massiver passiver Aggressivität. Wenn ihn sein kleiner Sohn in der Öffentlichkeit Abba (hebräisch für Papa)
nenne, sehe er sich um, wie die Reaktionen der Menschen seine. Soll er seinem Sohn jetzt verbieten, ihn Abba zu nennen, frage er sich.
Nogah erzählt, dass ihre beste Freundin Palästinenserin sei und dass sie befürchtet habe, die Freundschaft könnte nach dem Terroranschlag am Ende sein. Doch sie hätten es geschafft, trotz unterschiedlicher politischer Positionen ihre Freundschaft zu erhalten.
Paula und Emily erzählen von Mitgefühl für die Opfer auf palästinensischer Seite. Dass aber Israel von Palästinensern die Existenzberechtigung abgesprochen werde, sei traurig.
Anton aus Essen erzählt von einem jüdisch-muslimischen Videoprojekt, das er auf die Beine gestellt hatte. Seit dem Terrorangriff sei in der Gruppe die Stimmung komplett gekippt, der Humor sei verloren gegangen, er erlebe antijüdische und antiisraelische Radikalisierung. Viele Juden überlegten nun, ob sie aus Deutschland weggehen könnten. Die Freundschaft der Berliner Abiturientin Nogah (18) mit einer Palästinenserin wird gerade auf eine „harte Probe“gestellt. Und der Berliner Samuel (27), der Rabbiner werden will und durch das Tragen der Kippa als Jude erkennbar ist, versucht nach vielfachen Übergriffen
die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden. Auf eine Opferrolle wollen sie alle trotzdem nicht reduziert werden. Sie wollen vielmehr als aktive junge Menschen wahrgenommen werden, die im Hier und Jetzt leben.
Filmemacher Tenhaven spricht auf seiner Website von einer emotionale Drehreise quer durch Deutschland. Die Antworten seiner Gesprächspartner seien „ehrlich, ungeschönt und erschütternd – doch trotz aller Verbitterung auch erstaunlich differenziert“.
Ute Wessels