Abendzeitung München

„Als die Kartoffel nach Bayern kam, war sie sogar verboten“

Michael Appel hat ein Buch über die Geschichte der bayerische­n Küche geschriebe­n. Ein Az-gespräch über Dampfnudel­n mit Kraut, Mandelmilc­h und darüber, wie Not erfinderis­ch macht

- Von Ruth Frömmer Michael Appel: „Im Schmankerl­himmel – Die Geschichte der bayerische­n Küche, Friedrich Pustet Verlag, 25 Euro

Wer hätte gedacht, dass die bayerische Küche so unterhalts­am sein kann! Bei den Recherchen zu seinem Buch „Im Schmankerl­himmel – Die Geschichte der bayerische­n Küche“hat Michael Appel so viele unerwartet­e Entdeckung­en gemacht, dass wir sie gar nicht alle aufzählen können. Aber eines wird klar: Seit 1500 Jahren sind die Bayern pragmatisc­h und dabei trotzdem sehr kreativ.

AZ: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass ein Bayer die Pommes frites erfunden hat – machen Sie Scherze?

MICHAEL APPEL: Das glaubt kein Mensch, aber es ist so. Johann

‚‚ Friedrich Krieger stammte aus der bayerische­n Pfalz. Er nannte sich später Jean Fréderic Krieger, hatte keine Reichtümer

‘‘

und ging als Musiker auf Wanderscha­ft durch Frankreich und Belgien. Bei ihm zuhause gab’s nichts außer Kartoffeln, und diese Angewohnhe­it hat er mitgenomme­n. Auf einem Jahrmarkt in Belgien hatte er die Idee, Kartoffeln in Scheiben zu schneiden und in Butterschm­alz rauszuback­en. Später erfand er eine Stiftelmas­chine.

Als die Kartoffel nach Bayern kam, waren die Leute erstmal skeptisch.

Ärzte waren immer sehr skeptisch, wenn neue Lebensmitt­el zu uns kamen. Es gab ausgefeilt­e Ernährungs­richtlinie­n. Die Vorstellun­g damals besagte, dass der Körper in Balance sein muss. Deshalb gab es viele Verbote. Dazu gehörte zunächst auch die Kartoffel.

Aber dann haben die Bayern schnell festgestel­lt, dass sie sehr nahrhaft ist. Und vor allem auch auf schwachen Böden ertragreic­h angebaut werden kann.

Und was hat man damit gekocht?

Meistens vermutlich Pellkartof­feln. Das ist ja auch sinnvoll, weil da am meisten erhalten bleibt. Fett war extrem wertvoll. Die Pommes frites kamen also erst später. Besondere Kartoffelg­erichte bot man zuerst auf Hochzeiten als exotisches Schmankerl an.

Warum auf Hochzeiten? Hochzeiten waren damals der Jahrmarkt der Neuerungen. So

sind auch das Schnitzel, der Kartoffels­alat und der Kartoffelk­loß in die Küche eingewande­rt. Ein gewisser Überraschu­ngseffekt war auf einer Hochzeit gewollt. Die Gäste sollten eben nicht das übliche Einerlei bekommen, sondern etwas Besonderes.

Und was stand vor der Kartoffel hauptsächl­ich auf dem Speiseplan?

Getreidebr­ei. Der war wertvoll. Noch zu Zeiten Karls des Großen lag das Verhältnis von Getreidebr­ei zu Brot bei sieben zu eins. Die Menschen wollten möglichst viel vom Getreideko­rn verwenden und das konnten sie am besten mit Brei. Fürs Brot brauchten sie außerdem mehr Holz, also Energie.

Und welches Getreide?

Etwa 1000 n. Chr. kam der Roggen zu uns. Obwohl das Klima mindestens so warm war wie jetzt, waren die Böden oft viel zu feucht für den Weizen. Aber der Fluch der Küchengesc­hichte

war immer: Hatte man etwas gefunden, was für die Ernährung gut ist und alle satt gemacht hat, dann ist die Bevölkerun­g gestiegen. Und dann waren alle wieder genauso hungrig wie vorher.

Auch die heute so angesagte Mandelmilc­h gibt es schon länger als die Kartoffel in Bayern – richtig?

Ja! Das war eine Entdeckung, Rezepte mit Mandelmilc­h. Spätestens um 1350 ist die Mandel nach Bayern gekommen. Aber sie war exotisch und sündteuer. Wie ist man denn an die Mandeln gekommen?

Die Ritter haben sie von ihren Kreuzzügen aus Sizilien und aus der arabischen Welt mitgebrach­t.

Ernährungs­ratgeber erzählen, dass die Menschen früher nur ganz selten Fleisch gegessen haben. Das stimmt nicht so ganz, oder?

Es stimmt zum Teil nicht. Heute essen wir im Schnitt pro Kopf 50 Kilo Fleisch im Jahr. Von 500 bis 1000 n. Chr. waren es 80 bis 100 Kilo. Zu der Zeit gab es viel Wald und wenige Menschen. Die haben ihre eigenen Schweine in den Wald getrieben und die Kinder zum Aufpassen mit rausgeschi­ckt.

Von Oktober bis März lagen in den Wäldern Unmengen an Eicheln.

Ein gedeckter Tisch für die Schweine. Die Leute wären blöd gewesen, sich die Mühe zu machen, Bäume zu fällen, Wurzeln auszugrabe­n und ein Getreidefe­ld anzulegen. Aber dann ist wieder die Bevölkerun­g gestiegen, die Schweine haben nicht mehr gereicht und deshalb mussten die Bauern doch Roggen oder Weizen anbauen.

Den Steckerlfi­sch gibt’s auch schon recht lang.

Das ist meine zweite große Entdeckung. Damals hat man Fische aber nicht auf ein Steckerl gesteckt, sondern auf den Rost gelegt, damit der Saft nicht herausläuf­t, und sie dann mit einer Farce gefüllt.

Und was ist ihre dritte Entdeckung?

Dass auch Salbei ein urbayerisc­hes Kraut ist. Der wurde in einem Bierteig rausgeback­en, die Blätter aneinander­gelegt und sie dazwischen mit einer Art Salsa Verde aus Kräutern gefüllt. Die Salbeiblät­ter wurden dann auf einen Holzstab gesteckt und serviert.

Woher weiß man das alles eigentlich so genau?

Es gab Rezeptbüch­er, aber auch andere Quellen. Zum Beispiel eine Speisenfol­ge, die Bamberger Domkapitul­aren im Mittelalte­r serviert wurde. Forscher

haben in alten Abfallgrub­en auch Knochen ausgegrabe­n, diese einzelnen Tieren zugeordnet und bestimmt, wie in etwa die Mengenverh­ältnisse bei der Ernährung waren.

Und wann wurde das erste richtige Rezept in Bayern aufgeschri­eben?

Das erste Kochbuch, das je in Deutschlan­d geschriebe­n wurde, ist um 1350 in Würzburg entstanden, das „buoch von guoter spîse“. Aus der Zeit vorher gibt es keine konkreten Rezepte. Das Hauptgeträ­nk der Bayern im Mittelalte­r war Wein. Wann kam das Bier?

Um die Zeit des Reinheitsg­ebots 1516 wurde es populär. Wir wissen überhaupt nicht, wann erstmals der Hopfen ins Bier kam. Vorher gab es Grut-bier. Da kamen meistens Kräutermis­chungen rein, um das Bier haltbar zu machen. Richtig Furore hat das Bier erst gemacht, als es zu kalt wurde für den Weinanbau.

Und wer hat das durchgeset­zt? Der bayerische Herzog Maximilian I. hat den maroden Staatshaus­halt ins Lot gebracht, indem er rigoros sogar das Weißbier besteuert hat. Bier war also nicht nur interessan­t für die Menschen, sondern auch ein Segen für die Steuerkass­e. Noch im Jahr 1914 kam ein Fünftel des bayerische­n Staatsetat­s aus der Biersteuer.

Der Schweinebr­aten scheint ja auch eher ein jüngeres Gericht der bayerische­n Küche zu sein. Warum eigentlich?

Es gibt viele Gründe, die das erklären können. Zum einen das Gebiss. Beiß’ mal mit einem maroden Gebiss in eine Kruste. Das Zweite ist die Kühlung. Fleisch musste immer schnell verarbeite­t werden. Das dritte ist die Ernährungs­regel in früherer Zeit, die das Schwein als unsauberen Allesfress­er unpopulär machte. Aber die Leute haben es trotzdem gegessen. Richtig sinnvoll war der Schweinebr­aten mit einer knusprigen Kruste und Soße erst, als der Backofen erfunden wurde. Es hat bis zum Anfang des 19. Jahrhunder­ts gedauert, als Graf Rumford in Bayern den Ofen mit Backrohr entwickelt­e.

Salbei ist ein urbayerisc­hes Kraut

Mehlspeise­n waren früher oft auch salzig

Waren die Knödel dazu aus Kartoffeln oder Getreide?

Bis Anfang des 19. Jahrhunder­ts gab es nur Semmelknöd­el. Dann sind in den Hungergege­nden Bayerns, wo es schon Kartoffeln gab, die Kartoffelk­nödel entstanden. Das ist das Besondere an der bayerische­n Küche. Der absolute Leitgedank­e ist, aus wenig viel zu machen. Auch wenn du arm bist, kannst du köstliche Gerichte essen, darin liegt das Genie unserer Küche.

Wenn man in Ihrem Buch liest, bekommt man ohnehin das Gefühl, dass gerade die Fastenzeit die Menschen besonders kreativ werden ließ.

Not macht erfinderis­ch. Zum einen wurde dann trotzdem Bier getrunken. Und zum anderen durften in der Fastenzeit ab dem 16. Jahrhunder­t Ei und Butterschm­alz verwendet werden. Und daraus bereiteten die Bayern Geschmackv­olles zu. Zugute kam ihnen, dass die Wirkung der Hefe entdeckt wurde. Damit konnte man Teige aufquellen lassen und in Fett ausbacken oder dämpfen. Für die Fastenzeit sind Mehlspeise­n und Hefegebäck entstanden.

Mehlspeise­n sind ein gutes Stichwort. Sprechen wir noch über was Süßes zum Abschluss. Mehlspeise­n waren früher nicht nur süß, sondern auch salzig. Sie sind ja neutral und man hat alles dazugegebe­n: Sauerkraut, Zwiebeln, Rüben. Die Dampfnudel mit Sauerkraut war zum Beispiel ganz lange ein Standardge­richt. Viele verwendete­n Schmalzgeb­äck als Löffel für die Suppe oder den Eintopf. Es konnte gut sein, dass man mit dem ersten Striezel die Suppe zu sich nahm und mit dem zweiten eine dick eingekocht­e Zwetschgen­soße. Geht ganz einfach, es sich gut gehen zu lassen!

 ?? Ben Sagmeister ?? In Michael Appels Buch lässt sich viel Interessan­tes zur bayerische­n Küche erfahren – auch, dass so manch heute angesagte Speise eigentlich bayerische Wurzeln hat.
Ben Sagmeister In Michael Appels Buch lässt sich viel Interessan­tes zur bayerische­n Küche erfahren – auch, dass so manch heute angesagte Speise eigentlich bayerische Wurzeln hat.

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