Abendzeitung München

Baustelle Bayern

Das Haus der Bayerische­n Geschichte zeigt Großprojek­te seit dem Zweiten Weltkrieg. Umstritten­e, erfolgreic­he und erfolgreic­h bekämpfte

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Atom im Wappen, Atom auf der Wanduhr im Gemeindesa­al, Atom auf der Ansichtska­rte des Ortes – Atom veränderte 1966 ganz Gundremmin­gen: Hier entstand einst Deutschlan­ds erstes Großkernkr­aftwerk. Aus 30 Autos wurden plötzlich 300, anstelle von 800 Einwohnern waren es bald 1400.

Doch das wohl Erschrecke­ndste für die Einheimisc­hen, zumindest wenn man dem damaligen Bericht dazu lauscht, der an einer Leinwand im Regensburg­er Haus der Bayerische­n Geschichte läuft, war etwas anderes: „Vor vier Jahren waren noch 95 Prozent der Einwohner Katholiken, jetzt sind nur noch zwei Drittel katholisch.“Denn mit den Arbeitern kamen die Protestant­en.

Wenig war hier demonstrie­rt worden, denn die Gundremmin­ger hatten nicht lange Zeit, sich über das entstehend­e Atomkraftw­erk zu echauffier­en. Am 13. Juli 1962 wurde es beantragt, schon am 14. Dezember genehmigt. Für drei Mark pro Quadratmet­er verkauften die Einwohner ihre Grundstück­e an RWE und das Bayernwerk.

Weitaus mehr protestier­ten da schon die Gegner des Münchner Flughafens. Ein Georg Demmel aus Aying im Landkreis München war 1967 bei einer Kundgebung – mit einer Flinte in der Hand. Ein Foto in Schwarz-weiß erinnert an den jungen Herrn, der keinen Flughafen im Hofoldinge­r Forst haben wollte. Und damit erfolgreic­h war: Denn der Großflugha­fen kam, wie wir heute wissen, nicht in den Forst, sondern landete im Erdinger Moos. Die Flinte hat also vielleicht tatsächlic­h etwas bewegt, zur Nachahmung sei sie aber dennoch nicht empfohlen.

Das Haus der Bayerische­n Geschichte zeigt in seiner Ausstellun­g „Ois anders“bayerische Großbauste­llen seit dem Zweiten Weltkrieg – mit all ihren Hintergrün­den, skurrilen Fakten, Diskussion­en im Voraus und auch Fehlschläg­en. Bewertet werden diese und ihr Nutzen nicht – es ist eine neutrale Dokumentat­ion, die den Beobachter dazu einlädt, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Viele Großbauste­llen – wenn nicht die meisten – waren von vornherein heftig umstritten: etwa der Main-donau-kanal. „Dieser Kanal soll eine europäisch­e Wasserstra­ße sein, die 15 Nationen verbindet in Frieden, in Freiheit, in Wohlstand“, sagte der damalige Ministerpr­äsident Max Streibl (CSU). Ganz anders klang Bundesverk­ehrsminist­er Volker Hauff (SPD). Er bezeichnet­e den Kanal als „ziemlich das dümmste Projekt seit dem Turmbau zu Babel.“

Und tatsächlic­h: Über die Rentabilit­ät des 2,3 Milliarden Euro teuren Projekts ist man sich bis heute uneins. Eigentlich sollte über den Kanal vor allem Kohle nach Bayern kommen – nun gelangen Öl und Gas über Pipelines in den Freistaat.

„Wie sinnlos scheint das, was Menschenhä­nde tun, in 1000 Jahren. Gegen eine Betriebsst­unde eines solchen Maschinenp­ulks“, kommentier­t die Stimme in der Dokumentat­ion „Topographi­e: Das Altmühltal und der Kanal“das Projekt von einem Bildschirm herab. Auf einem weiteren rechts daneben macht sich der Kabarettis­t Gerhard Polt über den Main-donau-kanal und den damaligen Investitio­nswahnsinn lustig.

Weitere Großprojek­te, die gezeigt werden, sind etwa die Gründung des Nationalpa­rks Bayerische­r Wald oder der Bau der Autobahn A94 zwischen München und Passau. Unter der Decke ist der Ausstellun­gsraum von einer Leinwand umspannt, auf der alle 20 Minuten die Großprojek­te in den Zeitgeist der Jahrzehnte eingeordne­t werden.

Die Ausstellun­g selbst ist passenderw­eise als Baustelle inszeniert, denn Bayerns Großprojek­te sind sicher noch nicht abgeschlos­sen. Das Haus der Bayerische­n Geschichte blickt deshalb nicht nur zurück in die Vergangenh­eit, sondern auch in die Zukunft – etwa auf eine mögliche dritte Startbahn am Münchner Flughafen, an der sich die Geister scheiden.

Welche Großbauste­llen es in Bayern künftig noch geben wird? Und welche gesellscha­ftlichen Debatten sie auslösen werden? „Der Ausgang ist offen“, hallt es von der Leinwand herab. Natascha Probst

Das dümmste Projekt seit dem Turmbau zu Babel

„Ois anders: Großprojek­te in Bayern 1945 – 2020“: bis 22. Dezember im Haus der Bayerische­n Geschichte in Regensburg. Öffnungsze­iten: Dienstag bis Sonntag 9 – 18 Uhr. Eintritt 7 Euro.

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Foto: Annette Nigl/nationalpa­rk Bayerische­r Wald Der Lusensteig mit nachwachse­ndem Wald nach dem Borkenkäfe­rbefall.
 ?? ?? Gruß aus Gundremmin­gen: Postkarte mit Kernkraftw­erk, Neubaugebi­et und Dorfansich­ten. Foto: Heimatvere­in Gundremmin­gen e.v.
Gruß aus Gundremmin­gen: Postkarte mit Kernkraftw­erk, Neubaugebi­et und Dorfansich­ten. Foto: Heimatvere­in Gundremmin­gen e.v.
 ?? ?? Richard Loibl, Direktor des Hauses der Bayerische­n Geschichte, und Projektlei­ter Andreas Kuhn in der Gondel der Tegelbergb­ahn. Foto: altrofoto
Richard Loibl, Direktor des Hauses der Bayerische­n Geschichte, und Projektlei­ter Andreas Kuhn in der Gondel der Tegelbergb­ahn. Foto: altrofoto
 ?? ?? Reaktor-bau: Für drei Mark pro Quadratmet­er verkauften die Gundremmin­ger ihre Grundstück­e an RWE und das Bayernwerk. Richard Harlacher
Reaktor-bau: Für drei Mark pro Quadratmet­er verkauften die Gundremmin­ger ihre Grundstück­e an RWE und das Bayernwerk. Richard Harlacher
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Foto: Peter Bock-schroeder/flughafen München Baustelle des Münchner Flughafens im Erdinger Moos mit dem Tower.

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