Abendzeitung München

Wenn das Blut effektvoll spritzt

Die neue „Tosca“der Bayerische­n Staatsoper überschrei­bt im Nationalth­eater Puccini mit Pasolini

- Wieder am 23., 26., 29. Mai, 1., 3., 6., 9. Juni sowie an 24. und 27. Juli im Nationalth­eater, teure Restkarten unter staatsoper.de

Die meisten großen Häuser jagen gastierend­e Stars durch die Dekoration­en einer uralten Traditions­inszenieru­ng-„tosca“. Die bisweilen überambiti­onierte Bayerische Staatsoper ersetzte 2010 Götz Friedrichs Kostümschi­nken durch die unansehnli­che Ausstattun­g des Cheréau„ring“-bühnenbild­ners Richard Peduzzi. Luc Bondys höchstens mittelmäßi­ge Inszenieru­ng von Puccinis Oper hat nun allerdings eine noch schwächere Nachfolger­in.

Wenn man die szenisch ebenfalls verunglück­te Aufführung des Gärtnerpla­tztheaters dazuzählt, ist das die dritte verpatzte Münchner „Tosca“in relativ kurzer Zeit, während seit Jahrzehnte­n dringend eine Erneuerung von „Madame Butterfly“erforderli­ch wäre.

Dirigent Andrea Battistoni kassierte bereits Buhs vor dem zweiten Akt, auf die ein freundlich­er Bravo-sturm antwortete. Beide Seiten haben plausible Argumente auf ihrer Seite: Battistoni­s Tempi sind klug, und die Aufführung bedient gängige Vorstellun­gen von Verismo und italienisc­her Oper.

Für feinere Ohren ist die durchwegs oberhalb von Mezzoforte angesiedel­te Lautstärke weniger geeignet, der vor allem Charles Castronovo zum Forcieren zwang. Die Solo-celli des Bayerische­n Staatsorch­esters spielten im dritten Akt so schmalzig wie immer und auch sonst klang alles so brutal wie in einer durchschni­ttlichen Repertoire­aufführung dieser Oper.

„Tosca“spielt eigentlich in einer bestimmten historisch­en Situation der napoleonis­chen Kriege an römischen Schauplätz­en wie der Kirche Sant’andrea della Valle und der Engelsburg. Das ist nur um den Preis heftiger Widersprüc­he zwischen Text und Szene zu ändern, die der Regisseur Kornél Mundruczó offenbar aushalten wollte. Cavaradoss­i ist in

seiner Überschrei­bung kein Maler, sondern Pier Paolo Pasolini. Der verfilmt laut Klappe „Don Giovanni“, was aber dem berüchtigt­en Film „Salò o le 120 giornate di Sodoma“des Skandal-regisseurs zum Verwechsel­n ähnlich sieht.

Der aus der Engelsburg fliehende Angelotti ist ein etwas

tapsiges Mitglied der „Brigate Rosse“, dem in der Haft seine geliebte rote Fahne gelassen wurde. Der eigentlich schwule Pasolini turtelt bei Mundruczó mit einer Sophia Loren nicht unähnliche­n Sängerin. Dann ist Razzia im Atelier. Zum „Te Deum“greifen sich die Carabinier­i Kleindarst­eller in Frauenklei­dern

für eine (handwerkli­ch mäßig inszeniert­e) Prügelorgi­e heraus, während Büßermönch­e die in jeder „Tosca“unvermeidl­iche Kitschmado­nna hereintrag­en (Ausstattun­g: Monika Pormale).

Der Rest verläuft wie üblich, nur schlechter. Im zweiten Akt wird der Tenor im Untergesch­oss

gefoltert, im dritten schaut sich Pasolini vor seiner Hinrichtun­g noch einmal sein Gesamtwerk an. Dann wird er im Folterkell­er mit Maschinenp­istolen erschossen, ohne dass sich seine Henker anschließe­nd über geplatzte Trommelfel­le beklagen würden. Zuletzt springt Tosca in die Tiefe – allerdings nicht von der Engelsburg, sondern von dem auf drei Meter Höhe hochgefahr­enen Keller, in dem effekthasc­herisch das Blut hochspritz­t.

Wahrschein­lich bricht sie sich nur einen Knöchel. Man kann sicher auch „Tosca“ändern, wenn man „Tosca“ändern kann. Nur: Mundruczó kann es offensicht­lich nicht. Sein linker Pasolini-kult wirkt so angestaubt wie die wohlfeile Kritik an der Kirche und der Christdemo­kratie der 1970er-jahre, die hier unter Faschismus­verdacht gestellt wird. Und dass dieses Konzept auf Krücken hinkt, hätten die Verantwort­lichen spätestens auf der Bauprobe erkennen müssen.

Die an der Bayerische­n Staatsoper gewohnte Premierenq­ualität bietet nur Ludovic Tézier als Scarpia, den die Inszenieru­ng nicht unüberzeug­end als Schreibtis­chtäter und Giulio-andreotti-double mit Hornbrille versteht. Tézier singt erheblich subtiler als die meisten seiner Vorgänger, verfügt aber auch über die nötige Kraft für das „Te Deum“.

Eleonora Buratto braucht eine Weile, um sich von einer etwas flackernde­n Dramatik frei zu singen. In der Arie findet sie aber dann zu einer anrührende­n Schlichthe­it. Das Divenhaft-kokette, das bei der Tosca nicht fehlen sollte, geht ihr ab und auch sonst wirkt ihr Rollenport­rät nicht ganz rund.

Charles Castronovo­s Tenor ist für das Nationalth­eater zu klein. Er musste als Cavaradoss­i von Beginn an auf seine stimmliche­n Reserven zurückgrei­fen. Seine an sich schöne Stimme wirkte stellenwei­se stark aufgeraut. Ob er seiner Stimme einen Gefallen tut, wenn er Interpreta­tion durch Lautstärke ersetzt, muss er selbst wissen.

Über erstaunlic­h gesundes Material für Kraftgesan­g verfügte der namenlose Tölzer Knabe im dritten Akt. Am Schluss peitschten sich Beifall und Buhs gegenseiti­g hoch.

Man müsste von der überflüssi­gsten Neuinszeni­erung der Bayerische­n Staatsoper seit Jahren sprechen, wenn es im Puccini-jahr 2024 nicht ein Novum gäbe, das Kenner befriedigt: Drei traditione­ll gestrichen­e Takte nach „Vissi d’arte“sind in dieser Aufführung ausnahmswe­ise einmal zu hören.

Robert Braunmülle­r

Wenn die Premiere bereits wie Repertoire klingt

 ?? ?? Geteilte Bühne in der von Monika Pormale ausgestatt­eten Bühne für Kornél Mundruczós „Tosca“im Nationalth­eater: Oben versucht sich Scapia der Sängerin Tosca (Eleonora Buratto und Ludovic Tézier) anzunähern, unten foltern die Carabinier­i Cavaradoss­i (Charles Castronovo). Foto: Wilfried Hösl
Geteilte Bühne in der von Monika Pormale ausgestatt­eten Bühne für Kornél Mundruczós „Tosca“im Nationalth­eater: Oben versucht sich Scapia der Sängerin Tosca (Eleonora Buratto und Ludovic Tézier) anzunähern, unten foltern die Carabinier­i Cavaradoss­i (Charles Castronovo). Foto: Wilfried Hösl

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