Wenn das Blut effektvoll spritzt
Die neue „Tosca“der Bayerischen Staatsoper überschreibt im Nationaltheater Puccini mit Pasolini
Die meisten großen Häuser jagen gastierende Stars durch die Dekorationen einer uralten Traditionsinszenierung-„tosca“. Die bisweilen überambitionierte Bayerische Staatsoper ersetzte 2010 Götz Friedrichs Kostümschinken durch die unansehnliche Ausstattung des Cheréau„ring“-bühnenbildners Richard Peduzzi. Luc Bondys höchstens mittelmäßige Inszenierung von Puccinis Oper hat nun allerdings eine noch schwächere Nachfolgerin.
Wenn man die szenisch ebenfalls verunglückte Aufführung des Gärtnerplatztheaters dazuzählt, ist das die dritte verpatzte Münchner „Tosca“in relativ kurzer Zeit, während seit Jahrzehnten dringend eine Erneuerung von „Madame Butterfly“erforderlich wäre.
Dirigent Andrea Battistoni kassierte bereits Buhs vor dem zweiten Akt, auf die ein freundlicher Bravo-sturm antwortete. Beide Seiten haben plausible Argumente auf ihrer Seite: Battistonis Tempi sind klug, und die Aufführung bedient gängige Vorstellungen von Verismo und italienischer Oper.
Für feinere Ohren ist die durchwegs oberhalb von Mezzoforte angesiedelte Lautstärke weniger geeignet, der vor allem Charles Castronovo zum Forcieren zwang. Die Solo-celli des Bayerischen Staatsorchesters spielten im dritten Akt so schmalzig wie immer und auch sonst klang alles so brutal wie in einer durchschnittlichen Repertoireaufführung dieser Oper.
„Tosca“spielt eigentlich in einer bestimmten historischen Situation der napoleonischen Kriege an römischen Schauplätzen wie der Kirche Sant’andrea della Valle und der Engelsburg. Das ist nur um den Preis heftiger Widersprüche zwischen Text und Szene zu ändern, die der Regisseur Kornél Mundruczó offenbar aushalten wollte. Cavaradossi ist in
seiner Überschreibung kein Maler, sondern Pier Paolo Pasolini. Der verfilmt laut Klappe „Don Giovanni“, was aber dem berüchtigten Film „Salò o le 120 giornate di Sodoma“des Skandal-regisseurs zum Verwechseln ähnlich sieht.
Der aus der Engelsburg fliehende Angelotti ist ein etwas
tapsiges Mitglied der „Brigate Rosse“, dem in der Haft seine geliebte rote Fahne gelassen wurde. Der eigentlich schwule Pasolini turtelt bei Mundruczó mit einer Sophia Loren nicht unähnlichen Sängerin. Dann ist Razzia im Atelier. Zum „Te Deum“greifen sich die Carabinieri Kleindarsteller in Frauenkleidern
für eine (handwerklich mäßig inszenierte) Prügelorgie heraus, während Büßermönche die in jeder „Tosca“unvermeidliche Kitschmadonna hereintragen (Ausstattung: Monika Pormale).
Der Rest verläuft wie üblich, nur schlechter. Im zweiten Akt wird der Tenor im Untergeschoss
gefoltert, im dritten schaut sich Pasolini vor seiner Hinrichtung noch einmal sein Gesamtwerk an. Dann wird er im Folterkeller mit Maschinenpistolen erschossen, ohne dass sich seine Henker anschließend über geplatzte Trommelfelle beklagen würden. Zuletzt springt Tosca in die Tiefe – allerdings nicht von der Engelsburg, sondern von dem auf drei Meter Höhe hochgefahrenen Keller, in dem effekthascherisch das Blut hochspritzt.
Wahrscheinlich bricht sie sich nur einen Knöchel. Man kann sicher auch „Tosca“ändern, wenn man „Tosca“ändern kann. Nur: Mundruczó kann es offensichtlich nicht. Sein linker Pasolini-kult wirkt so angestaubt wie die wohlfeile Kritik an der Kirche und der Christdemokratie der 1970er-jahre, die hier unter Faschismusverdacht gestellt wird. Und dass dieses Konzept auf Krücken hinkt, hätten die Verantwortlichen spätestens auf der Bauprobe erkennen müssen.
Die an der Bayerischen Staatsoper gewohnte Premierenqualität bietet nur Ludovic Tézier als Scarpia, den die Inszenierung nicht unüberzeugend als Schreibtischtäter und Giulio-andreotti-double mit Hornbrille versteht. Tézier singt erheblich subtiler als die meisten seiner Vorgänger, verfügt aber auch über die nötige Kraft für das „Te Deum“.
Eleonora Buratto braucht eine Weile, um sich von einer etwas flackernden Dramatik frei zu singen. In der Arie findet sie aber dann zu einer anrührenden Schlichtheit. Das Divenhaft-kokette, das bei der Tosca nicht fehlen sollte, geht ihr ab und auch sonst wirkt ihr Rollenporträt nicht ganz rund.
Charles Castronovos Tenor ist für das Nationaltheater zu klein. Er musste als Cavaradossi von Beginn an auf seine stimmlichen Reserven zurückgreifen. Seine an sich schöne Stimme wirkte stellenweise stark aufgeraut. Ob er seiner Stimme einen Gefallen tut, wenn er Interpretation durch Lautstärke ersetzt, muss er selbst wissen.
Über erstaunlich gesundes Material für Kraftgesang verfügte der namenlose Tölzer Knabe im dritten Akt. Am Schluss peitschten sich Beifall und Buhs gegenseitig hoch.
Man müsste von der überflüssigsten Neuinszenierung der Bayerischen Staatsoper seit Jahren sprechen, wenn es im Puccini-jahr 2024 nicht ein Novum gäbe, das Kenner befriedigt: Drei traditionell gestrichene Takte nach „Vissi d’arte“sind in dieser Aufführung ausnahmsweise einmal zu hören.
Robert Braunmüller
Wenn die Premiere bereits wie Repertoire klingt