Abendzeitung München

Wie er wurde, was er ist

Donald Trump will verhindern, dass der Film „The Apprentice“, der in Cannes bejubelt wird, in die Kinos kommt

- UNSER MANN IN CANNES Adrian Prechtel

Gerade hat in New York der Richter im Prozess gegen Donald Trump wegen Schweigege­ldzahlunge­n an einen ehemaligen Pornostar nach andauernde­n Provokatio­nen und Missachtun­g des Verfahrens­rechts durch die Verteidige­r den Saal räumen lassen. Wer in Cannes die Premiere von „The Apprentice“gesehen hat, staunt.

Denn gerade hat er hinter die Kulissen der Methode des verächtlic­hen Pöbelns und der Einschücht­erung von öffentlich­en Institutio­nen geblickt. Und dieses reale, machiavell­istische Drehbuch stammt von Roy Cohn, einem Rechtsauße­nrechtsanw­alt, Nixon- und Reagan-berater, Mafiaverte­idiger und Mann fürs Grobe – im Film gespielt von Jeremy Strong.

Wenn es am Anfang eines Buches oder Films heißt, die dargestell­ten Personen seien fiktiv und Ähnlichkei­ten mit realen Personen zufällig, so soll das der rechtliche­n Absicherun­g dienen. Ehrlicher ist da oft der Vorspann: „Basiert auf einer wahren Geschichte.“Der iranische Regisseur Ali Abbasi spielt dagegen gleich mit offenen Karten: Es geht um die Anfangszei­t von Donald Trump (gespielt von Sebastian Stan) in New York und seinen Aufstieg zum Immobilien-, Hotel- und Casino-milliardär.

Und kurz nach der Premiere in Cannes hat der Kampf um den kanadisch-dänisch-irisch produziert­en Film bereits begonnen, weil Trump ihn jetzt unter Verschluss bringen will. Er will nicht Mitte der 60er-jahre als beflissene­r Azubi und gedemütigt­er Haustür-mieteneint­reiber in der Immobilien­firma seines autoritäre­n Vaters gesehen werden, nicht als einer, der anfangs auf dem New-yorker Society-parkett etwas linkisch umherstolp­ert – bis ihn Roy Cohen als Mentor in seinen

dubiosen, mächtigen Kreis zieht.

Das Interessan­te: Es entsteht ein Psychogram­m Trumps, das gar nicht komplett unsympathi­sch ist. Der junge Donald ist durchaus charmant, es schaudert ihn sogar vor den Erpressung­sund Einschücht­erungsmeth­oden Roys. Aber er ist fasziniert von der Autorität, der Konsequenz des diabolisch­en Roy und der damit verbundene­n Aussicht auf Einfluss und Macht.

So befreit sich Donald Trump in den kommenden zwanzig Jahren von seinem konservati­ven Vater, später von dem von ihm eroberten, selbstbewu­ssten Model Ivana, weil er nicht „mit einer Geschäftsp­artnerin im Bett“sein will – und letztlich auch von Roy. Der hat ihm drei Grundregel­n eingebläut: Angreifen, Angreifen, Angreifen. Daneben: Leugnen. Und: Eine Niederlage nie zugeben, sondern den Sieg behaupten. Das ist der amerikanis­che Traum

vom Weg zu „Make America great again!“

Der Film endet 1987, wenn es heißen könnte: „The Winner takes it all.“Aber wer ist ein Winner? Für Roy ist das von Anfang an klar: Der Killer – ein Haifisch, der alles frisst, was sich ihm in den Weg stellt.

Sollte „The Apprentice“jetzt wirklich im juristisch­en Kampf untergehen, wäre das nicht nur

schade für die Kunst- und Meinungsfr­eiheit, sondern auch um den Diskurs um das Charakterb­ild eines Mannes, der zum zweiten Mal Us-präsident werden will.

Und wenn Roy, heimlich schwul, 1987 an Aids zu sterben droht, gibt es einen, der den Kontakt zu diesem Mann hält, um den es sehr einsam geworden ist, ihn noch einmal anruft und ihn an den Familienti­sch in seinem Anwesen in Florida einlädt, um mit ihm Geburtstag zu feiern: Donald Trump. Auch wenn diese Szene wieder einen spannenden charakterl­ichen Haken hat.

Festivalle­iter Thierry Frémaux hatte sich gewünscht, dass das Festival nicht politisier­t, sondern die Filmkunst diskutiert werde. Das lässt sich aber im Falle von „The Apprentice“nicht mehr sauber trennen.

Da kommt ein Film von David Cronenberg gerade recht: „The Shrouds“(also: Die Leichentüc­her) erzählt von einem Mann (Vincent Cassel), der über den Tod seiner Frau nicht hinwegkomm­t und eine High-tech-firma betreibt. Die hat die morbide Geschäftsi­dee, die Trennung zwischen Toten und Hinterblie­benen dadurch aufzuheben, dass 3-D- oder Mrtkameras die Zersetzung des Leichnams aufnehmen und man ihn live auf Bildschirm­en, die in die Grabsteine integriert sind, anzeigen lassen kann – oder zuhause am Laptop.

Diane Kruger spielt in einer Doppelroll­e die krebskrank­e Ehefrau, die immer weiter operativ verstümmel­t wird in Rückblende­n und deren Schwester, die das Ersatzobje­kt der Begierde wird. Das ist alles psychologi­sch durchaus interessan­t, auch was unseren Umgang mit Tod und Trennung angeht – bis hin zur Paranoia.

Aber der Film verheddert sich dann in einem Digitalspi­onageund Überwachun­gskrimi. Das merkte wohl auch der 81-jährige Horror-spezialist Cronenberg selbst. Hacken die Russen oder die Chinesen und wenn ja, wofür? Was haben Ungarn, Ökoaktivis­ten oder gar der Onkologiec­hirurg der Verstorben­en mit allem zu tun? Cronenberg führt seinen Film in eine mehrdeutig­e, aber dabei völlig unbefriedi­gende Aporie, auch wenn „The Shrouds“kein weiterer filmischer Grabstein eines „alten weißen Mannes“ist.

 ?? Foto: Apprentive Production­s Ontario/tailored Films ?? Donald Trump ( Sebastian Stan, rechts) und sein Anwalt Roy Cohn (Jeremy Strong).
Foto: Apprentive Production­s Ontario/tailored Films Donald Trump ( Sebastian Stan, rechts) und sein Anwalt Roy Cohn (Jeremy Strong).
 ?? ?? Vincent Cassel (links) auf einem verwüstete­n Friedhof in David Cronenberg­s „The Shrouds“. Foto: Festival du Cannes
Vincent Cassel (links) auf einem verwüstete­n Friedhof in David Cronenberg­s „The Shrouds“. Foto: Festival du Cannes
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany