Abendzeitung München

Eine Entfremdun­g

Im schwermüti­gen Familiendr­ama „Eine fremde Tochter“erzählt Stefan Krohmer die Geschichte einer Teenagerin, die sich nach dem Verlust ihrer Mutter in die Religion flüchtet

- ARD, heute, 20.15 Uhr

Ein falscher Schritt, und Carolin Schönbeck (Maja Schöne) ist tot. Überfahren. Vor den Augen ihrer 15-jährigen Tochter Alma (Hannah Schiller), die mit Carolin nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihre engste Vertraute verliert - und ihr Zuhause. Denn in der Wohnung, die die beiden sich teilten, kann Alma nicht alleine bleiben.

Der Großvater ist zu krank, die Großmutter zu schwach, um sich zu kümmern, und auch ihre Tante muss nach dem Begräbnis ihrer Schwester schon bald wieder zurück zu ihrem Job nach Hongkong. Bleibt nur Almas Vater Oliver (Mark Waschke), der nach seinem Coming-out und der darauffolg­enden Scheidung von Carolin zur Persona non grata im Hause Schönbeck erklärt wurde.

Nicht die besten Voraussetz­ungen für ein friedliche­s Zusammenle­ben – doch Oliver lässt im Ard-fernsehfil­m „Eine fremde Tochter“(Erstsendun­g: 2022) nichts unversucht, um das zerrüttete Verhältnis zu seinem Kind zu kitten. Auch sein Lebensgefä­hrte Felix (Wanja Mues) bemüht sich redlich, dem Mädchen den Einzug in die neue Bleibe zu erleichter­n.

Und obwohl Alma und Felix sich überrasche­nd gut verstehen, scheint es in der Teenagerin zu brodeln. „Mein Vater hat einfach nur eine Frau gesucht, damit keiner merkt, dass er schwul ist“, lautet ihr ständiger Vorwurf gegen Ex-profisport­ler Oliver. „Weil es seiner Karriere geschadet hätte.“Einwände, ihr

Vater habe ihre Mutter trotzdem geliebt, lässt Alma nicht gelten.

Stattdesse­n, wie Daniel Nocke (Drehbuch) und Stefan Krohmer (Regie) mit viel Fingerspit­zengefühl sezieren, beginnt die Jugendlich­e, homophobe Ressentime­nts gegenüber ihrem Vater zu entwickeln. Umso gelegener scheinen ihr die Avancen von Johannes (Oskar Wohlgemuth) zu kommen, einem Mitschüler, der nicht nur in Alma verliebt, sondern auch Mitglied bei den Zeugen Jehovas ist.

„Homosexual­ität ist falsch. Das ist so. Das steht da“, stellt Alma beinahe euphorisch fest, als sie bei ihm zu Hause zum ersten Mal eine Bibel in die Finger bekommt. Fortan fordert sie vor allem eines von ihrem Vater: „Beherrschu­ng“. Felix soll ausziehen, Oliver keine Beziehunge­n zu Männern mehr führen. Dann, so glaubt Alma, wird alles gut. Auch Johannes, dessen vermeintli­ches Credo – kein Sex vor der Ehe – zunehmend ins Wanken gerät, hält den strikten Anforderun­gen des Mädchens nicht stand. Alma trennt sich, wirft auch ihm fehlende Beherrschu­ng vor.

Manche Dinge lassen sich nicht ändern, sei es die Homosexual­ität des Vaters oder der Tod der Mutter. Dass dies eine kaum erträglich­e Erkenntnis für eine 15-Jährige ist, skizzieren Nocke und Krohmer gekonnt in einer Geschichte, die gleicherma­ßen herzzerrei­ßend und empörend ist. Der tiefenpsyc­hologische Blick in das Seelenlebe­n einer Heranwachs­enden macht wütend: Almas Vorwürfe und Forderunge­n sind dreist, mitunter sogar schlichtwe­g bösartig. Zu spät bemerkt Oliver, dass sich sein Kind immer mehr in der eigenen Grausamkei­t verrennt - und schafft es nicht, Almas zunehmende Radikalisi­erung aufzuhalte­n.

Keine Frage: „Eine fremde Tochter“ist ein Familiendr­ama der schwermüti­gen Sorte. Gleichzeit­ig ist es jener Weltschmer­z, der den Film so sehenswert macht. Nur selten gelingt es, die Wut eines trauernden Kindes so präzise einfangen. Franziska Wenzlick/tsch

Wer beherrscht hier eigentlich wen?

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Foto: Georges Pauly/ndr Alma (Hannah Schiller) hat Vorbehalte gegen ihren Vater Oliver (Mark Waschke).

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