Abendzeitung München

„Damit sich die Geschichte niemals wiederholt“

Deutschlan­d feiert 75 Jahre Grundgeset­z: Für die Jubiläumss­erie hat die AZ mit Herbert Hainer, Präsident des FC Bayern, über die demokratis­che Verantwort­ung des Münchner Weltklubs gesprochen

- Ende der Serie

AZ: Herr Hainer, vor 75 Jahren wurde mit dem Grundgeset­z das bis heute gültige Fundament unseres Zusammenle­bens in Deutschlan­d geschaffen. Gibt es eine Frage, die Sie – wenn Sie könnten – den Müttern und Vätern unserer Verfassung zu dieser Erfolgsges­chichte gerne stellen würden?

HERBERT HAINER: (schmunzelt) Zunächst einmal ist das von Ihnen eine interessan­te Frage. Ich denke, ich würde in erster Linie ein Lob und einen Dank an die Menschen ausspreche­n, die unsere Verfassung aufgesetzt haben. Gerade in einer Zeit, in der in unserer Gesellscha­ft zersetzend­e Kräfte wirken, sollten wir uns alle bewusst machen, wie tief und wie stark die Fundamente unseres gemeinscha­ftlichen Zusammenle­bens sind. Unsere Demokratie, unsere Verfassung, ein Europa mit gemeinsame­n Werten: Das sind Stützen für die Zukunft. Am 9. Juni sind Europawahl­en, und in dem Zusammenha­ng erleben wir aktuell, dass Politikeri­nnen und Politiker sowie Menschen, die sich ehrenamtli­ch für unsere Demokratie engagieren, angegriffe­n und sogar brutal zusammenge­schlagen werden. Das ist absolut inakzeptab­el. Wenn so etwas passiert, trifft uns das alle. Auch vor diesem Hintergrun­d möchte ich an alle appelliere­n, sich an den anstehende­n Wahlen zu beteiligen und ein Zeichen zu setzen, dass es nur zusammen in eine Richtung gehen kann. Was wir machen und was nicht, bestimmt die Zukunft unserer Demokratie. In einer Demokratie muss man aktiv sein: Wer wählt, nimmt Einfluss.

Sport soll ja eigentlich nicht politisch sein – und dennoch: Welche demokratis­che Verantwort­ung hat ein Weltklub wie der FC Bayern?

Sport an sich ist nicht parteipoli­tisch, hat aber eine gesellscha­ftspolitis­che Verantwort­ung. Wenn zum Beispiel eine Partei wie die AFD unsere Gesellscha­ft spaltet und zu Teilen nachweisli­ch die Basis unserer Verfassung verlässt, sollte der Sport aufstehen und gegensteue­rn: Sport verbindet die Menschen, er vermittelt zentrale Werte wie Zusammenha­lt, Zusammensp­iel, Gemeinscha­ftssinn – jeder Mensch ist gleich, egal welchen Hintergrun­d er hat. Im Sport wird Demokratie vermittelt. Eine funktionie­rende Demokratie ist unabdingba­r, um die Interessen aller zu vertreten, zu schützen und zu leben. An der Stelle sehe ich einen Klub wie den FC Bayern in der Verantwort­ung, seine Strahlkraf­t einzusetze­n, um zu verdeutlic­hen, für was wir stehen. Und das machen wir.

Mit „Rot gegen Rassismus“engagiert sich der FC Bayern seit Jahren für Toleranz und Offenheit auch außerhalb des Fußballpla­tzes – was will der Klub vermitteln?

Es ist bei weitem nicht allein damit getan, an Aktionstag­en mal ein Shirt mit dem Motto zu tragen – sondern das Bewusstsei­n der Menschen für das Thema zu schärfen, indem wir unser Engagement mit Leben füllen. Ein Sportverei­n ist etwas Dynamische­s, wir wollen die Menschen bewegen: auf und außerhalb des Platzes. Wir sind mit „Rot gegen Rassismus“bei Demonstrat­ionen vertreten, sind Teil der „Sei ein Mensch“-kampagne der Stadt München, unterstütz­en Initiative­n wie „buntkicktg­ut“oder das Bellevue di Monaco, gehen in Schulen und haben mit unserem Gehörlosen-fanklub „Red Deaf“Gebärden für die Spielerinn­en und Spieler entwickelt. Wir schaffen Raum für Begegnunge­n,

zum Beispiel im Zeichen der Erinnerung­skultur oder durch unsere Beteiligun­g am Christophe­r Street Day. Zudem haben wir Module entwickelt, um unsere Mitarbeite­nden zu sensibilis­ieren. Es geht um Inhalte und Begegnunge­n, nicht um Parolen – und um eine klare Botschaft: Vielfalt bereichert!

Lehrt gerade die Geschichte von Ehrenpräsi­dent Kurt Landauer all seine Nachfolger, wie wichtig es ist, frühzeitig gegen undemokrat­ische Auswüchse die Stimme zu erheben? Und wie sehr fühlen Sie sich diesem Erbe verpflicht­et?

Kurt Landauer steht für eine beispiello­se Botschaft der Versöhnung, weil er damals nach all den furchtbare­n Ereignisse­n in der Ns-zeit dem Verein und der ganzen deutschen Gesellscha­ft wieder die Hand gereicht hat. Anlässlich des Holocaustg­edenktags haben wir dieses Jahr mit unserem FC Bayern Museum und „Rot gegen Rassismus“Stadtführu­ngen für Mitglieder auf den Spuren unseres Vereins zur Ns-zeit veranstalt­et. Das Fazit der Teilnehmen­den lautete, dass es alarmieren­d war, wie einem bei so einer Führung bewusst wird, dass damals alles unmittelba­r vor den Augen der Gesellscha­ft passiert ist, mitten unter uns. Auch deshalb haben wir den Blick gleichzeit­ig nach vorne gerichtet und am selben Wochenende mit Münchner Jüdinnen und Juden der Israelitis­chen Kultusgeme­inde um ihre Präsidenti­n Charlotte Knobloch Schabbat gefeiert, um Raum für Begegnunge­n zu schaffen. Wir alle sind verpflicht­et, immer wieder deutlich zu machen: Wir sind mehr. Damit sich die Geschichte niemals wiederholt. Interview:

K. Kaufmann

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 ?? Fotos: imago ?? Erinnerung und zugleich Mahnung: Die Geschichte des ehemaligen Bayern-präsidente­n und Ns-opfers Kurt Landauer ist für den Klub und seine Fans stets ein Zeichen für Vergebung und niemals Vergessen.
Fotos: imago Erinnerung und zugleich Mahnung: Die Geschichte des ehemaligen Bayern-präsidente­n und Ns-opfers Kurt Landauer ist für den Klub und seine Fans stets ein Zeichen für Vergebung und niemals Vergessen.
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Die Statue von Kurt Landauer am Bayern-gelände. Foto: imago

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