Solidarität! Aber mit wem?
Pascal Breuer inszeniert „Die Kehrseite der Medaille“in der Komödie im Bayerischen Hof
Nicola Tiggeler und Timothy Peach sind seit über 30 Jahren nicht nur verheiratet, sondern leben auch in München und treten ebenso gerne wie häufig gemeinsam auf. Zwar wirkten sie noch zu Zeiten von Margit Bönisch an Produktionen der Münchner Tournee mit, doch die machten nie in der Komödie im Bayerischen Hof Station. Das französische Stück „Die Kehrseite der Medaille“von Florian Zeller in einer Inszenierung von Pascal Breuer ist deshalb das späte München-debüt des Schauspielerehepaars.
Sie spielen die Uniprofessorin Isabelle und den Verlagslektor Daniel, deren Ehe ins Wanken kommt, weil der gemeinsame Freund Patrick seine Frau für eine viel jüngere Geliebte verlassen hat. Der Konflikt darüber, ob dem Kumpel im zweiten Frühling oder der verlassenen besten Freundin die Solidarität gilt, spült bislang verborgene Krisen des Musterpaares hervor. Vor der heutigen Premiere sprach die AZ mit den beiden.
AZ: Frau Tiggeler, Herr Peach, Sie beide haben unabhängig voneinander nicht zuletzt durch ihre früheren Auftritte in Telenovelas viele Fans. Sie, Frau Tiggeler, als fiese Adelige Barbara von Heidenberg in „Sturm der Liebe“und Sie, Herr Peach, als Jan Mertens, der zupackende Chef einer Biomarktkette in „Rote Rosen“. Ändert sich bei der Arbeit an täglich ausgestrahlten Fernsehserien die Schauspielerei, wenn sie zum Drehort gehen wie andere in ihren Nine-to-five-job ins Büro? NICOLA TIGGELER: Nine to five ist zu wenig. Ich bin zum Teil schon morgens ums sechs abgeholt worden und kam abends um 21 Uhr zurück. Ich war in 820 Folgen dabei, wenn auch mit Unterbrechungen. Ich bin ja mehrmals gestorben und wieder
auferstanden. Man muss als Schauspielerin extrem eigenverantworlich arbeiten, sehr gut vorbereitet sein und seine Figur auch selbständig entwickeln. Ich habe das als eine sehr herausfordernde und anspruchsvolle Arbeit erlebt. Deswegen nehme ich die Telenovelas sehr in Schutz, denn ich habe das Gefühl, dass man sie als Schmuddelkinder abhakt. Um Ihre Frage zu beanworten: Diese Arbeit hat mich sehr geschärft, im Zuhören und auch im schnellen Reagieren, denn wir haben wenig Probezeit. Wir haben oft fünf Folgen in fünf Tagen gedreht, aber nicht eine Folge pro Tag, sondern wild durcheinander. Man musste also immer genau wissen, woher ich komme, wohin ich gehe, warum ich jetzt hier bin und was ich eigentlich will. Das kann viel unbequemer sein als ein Theaterabend, der irgendwann gut eingespielt ist. TIMOTHY PEACH: Oder ein Spielfilm, bei dem nur vier Minuten am Tag gedreht werden.
Bei der Telenovela hat man mehrere Kameras, was für den Schauspieler bedeutet, wir drehen jetzt nicht, wie beim Film, den Anfang in der Totalen, und wenn wir auf die Nahaufnahme gehen, dann kann ich auch meinen Text. Du musst immer das ganze Bild drehen können, mit allen Gängen, allen Bewegungen und allen Requisiten. Ich habe festgestellt, dass die Kollegen mit Theatererfahrung sehr viel besser mit dem Format umgehen konnten. Es erfordert immer den großen Bogen, was bei vielen Filmsachen gar nicht der Fall ist. Es ist wie Boulevardtheater: Die Königsklasse. TIGGELER: Auch das Boulevardtheater wird immer belächelt, und das ist ganz einfach ungerecht.
Sie sind verheiratet und spielen jetzt in der Komödie ein langjähriges Ehepaar. Stört die private Nähe bei der Arbeit ein wenig oder ist sie sogar hilfreich? TIGGELER: Ich weiß nicht, wie es anderen Paaren auf der Bühne geht, aber für uns ist es absolut
hilfreich. Wir können gemeinsam entwickeln und wir sind auch erpobt: Seit dem Musical „Linie 1“in Augsburg vor 35 Jahren sind wir zusammen und seither stehen wir auch zusammen auf der Bühne. Wir sind richtig gute Kollegen, die für das gleiche gute Ergebnis arbeiten. Das ist sehr bereichernd. PEACH: Da kann ich nur zustimmen. Manchmal hilft es auch, auf der Bühne etwas auszuleben, wofür man im Privaten ins Gefängnis käme. Das kann man dann ausprobieren und merkt, das brauchen wir nicht fürs Leben, aber auf der Bühne ist es spannend.
Von der „Kehrseite der Medaille“erfährt der Zuschauer vor allem akustisch. Es gibt nicht nur die Dialoge, bei denen nicht immer die Wahrheit gesagt wird, sondern durch den Theaterkniff des Beiseitesprechens erfährt das Publikum, was die Figuren wirklich denken. Wie setzen Sie das um?
PEACH: Darüber haben wir sehr lange nachgedacht. Bei Florian
Zeller steht die Regieanweisung, dass der Schauspieler ein Mikroport haben sollte. Wenn er ins Apartsprechen geht, greift die Technik zu und die Stimme wird auf irgendeine Art und Weise verfremdet. Aber jeder Trick aus dem Theater hält nur eine bestimmte Zeit. Das Apartsprechen kann man vielleicht fünf Mal machen und dann hat es der Zuschauer verstanden. Bei uns gibt es jetzt Lichtwechsel und ein Freeze der anderen Figuren. Das führt dazu, dass, wenn einer in seine Gedanken fällt, die anderen Protagonisten manchmal in absurden Positionen stehen bleiben. Das ist sehr witzig. Manches haben wir mit Traumsequenzen und Tanzsequenzen aufgepimpt. Wir spielen mit den Mitteln des Theater, wir zitieren zum Beispiel auch Gags von Buster Keaton oder „Dick und Doof“und ich denke, das ist das, was den Zuschauern große Freude macht.
TIGGELER: So ist es kein reines Konversationsstück, denn sonst sitzen sie nur auf dem Sofa und reden mit sich oder mit dem Publikum. Die Nummer mit dem Mikroport hat man nicht einmal in der Uraufführung gemacht.
Dem Vernehmen nach haben Sie sogar Hölderlin eingebaut. Wie kommt der Tübinger Lyriker aus dem frühen 19. Jahrhundert ins gegenwärtige französische Boulevardtheater?
PEACH: Die Franzosen lieben Hölderlin, und ich spiele einen Lektor, der versucht, junge Frauen mit Hölderlin-zitaten zu bezirzen. Sehr gefreut habe ich mich über ein Fernsehinterview mit einer erfolgreichen französischen Krimiautorin, die als ihren Lieblingsdichter Friedrich Hölderlin nannte und seinen Satz „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“wegen seiner Wahrhaftigkeit mochte. Das kommt jetzt auch bei uns vor. Mathias Hejny