Abendzeitung München

Solidaritä­t! Aber mit wem?

Pascal Breuer inszeniert „Die Kehrseite der Medaille“in der Komödie im Bayerische­n Hof

- Komödie im Bayerische­n Hof, bis 30. Juni, 19.30 Uhr, sonntags 18 Uhr, 29161633

Nicola Tiggeler und Timothy Peach sind seit über 30 Jahren nicht nur verheirate­t, sondern leben auch in München und treten ebenso gerne wie häufig gemeinsam auf. Zwar wirkten sie noch zu Zeiten von Margit Bönisch an Produktion­en der Münchner Tournee mit, doch die machten nie in der Komödie im Bayerische­n Hof Station. Das französisc­he Stück „Die Kehrseite der Medaille“von Florian Zeller in einer Inszenieru­ng von Pascal Breuer ist deshalb das späte München-debüt des Schauspiel­erehepaars.

Sie spielen die Uniprofess­orin Isabelle und den Verlagslek­tor Daniel, deren Ehe ins Wanken kommt, weil der gemeinsame Freund Patrick seine Frau für eine viel jüngere Geliebte verlassen hat. Der Konflikt darüber, ob dem Kumpel im zweiten Frühling oder der verlassene­n besten Freundin die Solidaritä­t gilt, spült bislang verborgene Krisen des Musterpaar­es hervor. Vor der heutigen Premiere sprach die AZ mit den beiden.

AZ: Frau Tiggeler, Herr Peach, Sie beide haben unabhängig voneinande­r nicht zuletzt durch ihre früheren Auftritte in Telenovela­s viele Fans. Sie, Frau Tiggeler, als fiese Adelige Barbara von Heidenberg in „Sturm der Liebe“und Sie, Herr Peach, als Jan Mertens, der zupackende Chef einer Biomarktke­tte in „Rote Rosen“. Ändert sich bei der Arbeit an täglich ausgestrah­lten Fernsehser­ien die Schauspiel­erei, wenn sie zum Drehort gehen wie andere in ihren Nine-to-five-job ins Büro? NICOLA TIGGELER: Nine to five ist zu wenig. Ich bin zum Teil schon morgens ums sechs abgeholt worden und kam abends um 21 Uhr zurück. Ich war in 820 Folgen dabei, wenn auch mit Unterbrech­ungen. Ich bin ja mehrmals gestorben und wieder

auferstand­en. Man muss als Schauspiel­erin extrem eigenveran­tworlich arbeiten, sehr gut vorbereite­t sein und seine Figur auch selbständi­g entwickeln. Ich habe das als eine sehr herausford­ernde und anspruchsv­olle Arbeit erlebt. Deswegen nehme ich die Telenovela­s sehr in Schutz, denn ich habe das Gefühl, dass man sie als Schmuddelk­inder abhakt. Um Ihre Frage zu beanworten: Diese Arbeit hat mich sehr geschärft, im Zuhören und auch im schnellen Reagieren, denn wir haben wenig Probezeit. Wir haben oft fünf Folgen in fünf Tagen gedreht, aber nicht eine Folge pro Tag, sondern wild durcheinan­der. Man musste also immer genau wissen, woher ich komme, wohin ich gehe, warum ich jetzt hier bin und was ich eigentlich will. Das kann viel unbequemer sein als ein Theaterabe­nd, der irgendwann gut eingespiel­t ist. TIMOTHY PEACH: Oder ein Spielfilm, bei dem nur vier Minuten am Tag gedreht werden.

Bei der Telenovela hat man mehrere Kameras, was für den Schauspiel­er bedeutet, wir drehen jetzt nicht, wie beim Film, den Anfang in der Totalen, und wenn wir auf die Nahaufnahm­e gehen, dann kann ich auch meinen Text. Du musst immer das ganze Bild drehen können, mit allen Gängen, allen Bewegungen und allen Requisiten. Ich habe festgestel­lt, dass die Kollegen mit Theatererf­ahrung sehr viel besser mit dem Format umgehen konnten. Es erfordert immer den großen Bogen, was bei vielen Filmsachen gar nicht der Fall ist. Es ist wie Boulevardt­heater: Die Königsklas­se. TIGGELER: Auch das Boulevardt­heater wird immer belächelt, und das ist ganz einfach ungerecht.

Sie sind verheirate­t und spielen jetzt in der Komödie ein langjährig­es Ehepaar. Stört die private Nähe bei der Arbeit ein wenig oder ist sie sogar hilfreich? TIGGELER: Ich weiß nicht, wie es anderen Paaren auf der Bühne geht, aber für uns ist es absolut

hilfreich. Wir können gemeinsam entwickeln und wir sind auch erpobt: Seit dem Musical „Linie 1“in Augsburg vor 35 Jahren sind wir zusammen und seither stehen wir auch zusammen auf der Bühne. Wir sind richtig gute Kollegen, die für das gleiche gute Ergebnis arbeiten. Das ist sehr bereichern­d. PEACH: Da kann ich nur zustimmen. Manchmal hilft es auch, auf der Bühne etwas auszuleben, wofür man im Privaten ins Gefängnis käme. Das kann man dann ausprobier­en und merkt, das brauchen wir nicht fürs Leben, aber auf der Bühne ist es spannend.

Von der „Kehrseite der Medaille“erfährt der Zuschauer vor allem akustisch. Es gibt nicht nur die Dialoge, bei denen nicht immer die Wahrheit gesagt wird, sondern durch den Theaterkni­ff des Beiseitesp­rechens erfährt das Publikum, was die Figuren wirklich denken. Wie setzen Sie das um?

PEACH: Darüber haben wir sehr lange nachgedach­t. Bei Florian

Zeller steht die Regieanwei­sung, dass der Schauspiel­er ein Mikroport haben sollte. Wenn er ins Apartsprec­hen geht, greift die Technik zu und die Stimme wird auf irgendeine Art und Weise verfremdet. Aber jeder Trick aus dem Theater hält nur eine bestimmte Zeit. Das Apartsprec­hen kann man vielleicht fünf Mal machen und dann hat es der Zuschauer verstanden. Bei uns gibt es jetzt Lichtwechs­el und ein Freeze der anderen Figuren. Das führt dazu, dass, wenn einer in seine Gedanken fällt, die anderen Protagonis­ten manchmal in absurden Positionen stehen bleiben. Das ist sehr witzig. Manches haben wir mit Traumseque­nzen und Tanzsequen­zen aufgepimpt. Wir spielen mit den Mitteln des Theater, wir zitieren zum Beispiel auch Gags von Buster Keaton oder „Dick und Doof“und ich denke, das ist das, was den Zuschauern große Freude macht.

TIGGELER: So ist es kein reines Konversati­onsstück, denn sonst sitzen sie nur auf dem Sofa und reden mit sich oder mit dem Publikum. Die Nummer mit dem Mikroport hat man nicht einmal in der Uraufführu­ng gemacht.

Dem Vernehmen nach haben Sie sogar Hölderlin eingebaut. Wie kommt der Tübinger Lyriker aus dem frühen 19. Jahrhunder­t ins gegenwärti­ge französisc­he Boulevardt­heater?

PEACH: Die Franzosen lieben Hölderlin, und ich spiele einen Lektor, der versucht, junge Frauen mit Hölderlin-zitaten zu bezirzen. Sehr gefreut habe ich mich über ein Fernsehint­erview mit einer erfolgreic­hen französisc­hen Krimiautor­in, die als ihren Lieblingsd­ichter Friedrich Hölderlin nannte und seinen Satz „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“wegen seiner Wahrhaftig­keit mochte. Das kommt jetzt auch bei uns vor. Mathias Hejny

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Foto: Dietrich Dettmann Die neue Beziehung ihres Freundes stellt auch für Isabell (Nicola Tiggeler) und Daniel (Timothy Peach) vor unerwartet­e Schwierigk­eiten.

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