Kreuzfahrt mit Käsesandwich
T.C. Boyle ist ein faszinierender Autor auch auf der Kurzstrecke
Der inzwischen 75-jährige Us-schriftsteller T. C. Boyle ist bekannt als verlässlicher Vielschreiber, der mit schöner Regelmäßigkeit Roman um Roman abliefert. Aber Boyle schreibt parallel dazu auch grandiose Erzählungen. Insgesamt 13 davon versammelt „I walk between the Raindrops“.
Boyle hat eine Vorliebe für Figuren, die manchmal geradezu angsterregend sind - so wie der Collegestudent Eric, dem die Ich-erzählerin Sarah in „What’s Love Got To Do with It?“im Zug begegnet. Erst wirkt er ganz sympathisch, aber dann wird das Unbehagen immer größer, wenn er behauptet, Süßstoff werde aus radioaktivem Abfall hergestellt. Und wenig später wird klar: Ein harmloser Spinner ist er nicht, sondern ein psychisch labiler Frauenhasser voller Minderwertigkeitskomplexe und Gewaltfantasien.
Typisch für Boyle: Sein Interesse gilt den dunklen Seiten der Gesellschaft, den schmerzhaften Erfahrungen. Das gilt auch für „I walk between the Raindrops“. Sie spielt an einem Valentinstag und beschreibt den Ausflug eines Ehepaars nach Kingman, Arizona.
Während sie dort durch Trödelläden und Antiquitätengeschäfte bummelt, trinkt er einen Bourbon mit Cola in einer Bar. An der Theke sitzt eine
Frau, die das Gespräch sucht, ihm aber so auf die Nerven geht, dass er sich bei der Barfrau über sie beschwert. Am Ende der Geschichte stellt sich heraus, dass sie anschließend versucht hat, sich umzubringen. Eben noch schien alles so friedlich und harmlos - doch das Grauen ist bei Boyle nie weit entfernt.
Zu den Stärken des Schriftstellers gehört sein Mut, aus abseitigen Ideen spannende und oft auch komische Geschichten zu machen: „Die Wohnung“etwa erzählt vom harten Schicksal eines Mannes im südfranzösischen Arles, der einen Deal mit einer 90-Jährigen schließt und sich dabei besonders clever vorkommt: Er schlägt ihr vor, ihr bis ans Lebensende Monat für Monat eine hübsche Summe Geld zu überweisen und dafür nach ihrem Tod ihre noch hübschere Wohnung zu bekommen. Die Greisin lässt sich darauf ein. „Das ist ein faires Angebot“, sagt er. „Sie setzen darauf, dass ich sterbe je früher, desto besser“, antwortet sie illusionslos. Doch die Jahre vergehen. Sie feiert ihren 100. Geburtstag bei passabler Gesundheit. Als sie 110 wird, dämmert ihm, dass er sich verrechnet haben könnte. Kurz nach ihrem 120. Geburtstag ist er tot.
Eine der stärksten Storys ist „Der dreizehnte Tag“, in dem der Autor von der Corona-pandemie erzählt. Genauer gesagt von einer Kreuzfahrt durch Ostasien, die zum Horrortrip wird. Zunächst wird zum Captain’s
Dinner noch Gänseleberpastete und Rehschulter serviert, doch schon bald ist der Spaß vorbei. Nach einem ersten Infektionsfall tragen die Kellner Schutzmasken und Handschuhe, wenig später sind selbst Spaziergänge an Deck verboten. Zum Essen gibt es nur noch Käsesandwiches. Die Passagiere dürfen ihre Kabine nicht mehr verlassen, das Kreuzfahrtschiff kann in keinen Hafen mehr einlaufen.
Gerüchte von Selbsttötungen machen die Runde. Und auch der Ich-erzähler fühlt schließlich Schmerzen in der Brust und ein seltsames Kratzen im Hals. „Es ist gleich vorbei“, sagt er im letzten Satz beunruhigend mehrdeutig. Die Angst, die Verunsicherung, das plötzliche
Ende der Normalität, die mit der Pandemie verbunden war Boyle macht daraus eine großartige Geschichte.
Andreas Heimann
T.C. Boyle: „I walk between the Raindrops“(Hanser, 272 Seiten, 25 Euro)