Austausch ist keine Aneignung
Nils Mönkemeyer gastiert heute im Gärtnerplatztheater mit Barock aus Südamerika
Besser könnte es für ihn nicht laufen. Unlängst wurde bekannt gegeben, dass Nils Mönkemeyer ab sofort durch eine der drei größten Künstleragenturen vertreten wird. Und dies als Musiker eines Nischeninstruments: die Bratsche. In Zeiten von massiven Umbrüchen im klassischen Musikleben ist das ein starkes Signal: zumal für den Violanachwuchs, den Mönkemeyer an der Münchner Musikhochschule betreut. Als Künstler geht er nie den bequemsten Weg. Heute gastiert Mönkemeyer mit dem Bach Consort Wien unter Rubén Dubrovsky am Gärtnerplatz-theater. Alles dreht sich um „Viola Latina“. Es geht um Werke, die die Barockmusik der spanischen Eroberer in Südamerika wieder aufleben lassen. Das ist hochaktuell und hochbrisant.
AZ: Herr Mönkemeyer, Ihr aktuelles Projekt kreist faktisch um kulturellen Imperialismus und kulturelle Aneignung. Ein ziemlich großer Sprengsatz, oder? NILS MÖNKEMEYER: Absolut, und deshalb finde ich solche Projekte sehr wichtig. Alle außer mir stammen aus Südamerika. Sie haben mich zu diesem Projekt eingeladen. Ich bin also ein Gast. Als Grundhaltung war mir das sehr wichtig.
Trotzdem wurden einst indigene Völker mit Barock-musik aus
Europa auch „christianisiert“, besonders gewaltsam etwa durch den Jesuitenorden. Richtig! Deswegen habe ich die wichtige Aufgabe, mit meinem europäischen Hintergrund diese Geschichte offen darzulegen, um daraus die Konsequenzen für unsere Gegenwart zu ziehen: mit größtem Respekt, auf Augenhöhe. Diese Geschichte ist repressiv. Über die gewaltvolle Unterdrückung vermag sich aber gerade die Musik zu erheben.
Warum?
Weil aus einer Mischung unterschiedlicher kultureller Hintergründe etwas originär Eigenes, Anderes erwächst. Die Musikgeschichte ist reich an solchen Beispielen. Es ist eine friedvolle Lösung durch die Musik, zumal
sich die jeweiligen Einflüsse künstlerisch völlig gleichberechtigt vereinen. Insofern würde ich soweit gehen zu behaupten, dass Musik die einzige positive Kraft ist, die aus einer solchen leidvollen Erfahrung erwachsen kann. Sie ist eine friedliche Kommunikation, die aus Respekt und Wertschätzung entsteht.
Heißt das im Umkehrschluss auch, dass erst kulturelle Aneignungen eine Weiterentwicklung der Kunst ermöglichte?
Das ist der springende Punkt! Wenn wir etwas klauen, also gewaltsam entreißen und daraus selber Profit schlagen: Das ist ein absolutes No-go! In der Musik aber entsteht, wie in jeder Kunst, die Inspiration für etwas Neues immer aus gegenseitigen Befruchtungen – manchmal auch von Gegensätzlichem. Was folgern Sie daraus?
Bei der Bewertung von kultureller Aneignung muss eine Frage im Zentrum stehen: Entsteht etwas schöpferisch Neues, Eigenes aus einem Austausch? Unser Münchner Projekt erfüllt das. Ich lerne eine mir bis dato unbekannte musikalische Sprache. Wir spielen Neubearbeitungen von Musik aus Südamerika von Rubén Dubrovsky: vornehmlich traditionelle Lieder und Tänze oder Werke von Komponisten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Allein dadurch entsteht eine neue Form. Im Grunde steht ja die gesamte europäische Barockmusik für diese Haltung. So hat Georg Philipp Telemann vom „vermischten Geschmack“gesprochen, womit er die Mischung aus französischen und italienischen Einflüssen zu einem neuen, eigenen Stil meinte.
Auch die Musik von Johann Sebastian Bach, von dem Sie in München die für Viola transkribierte Cello-suite Nr. 1 spielen, ist ohne das gar nicht denkbar. Genau. Aus allen Ländern hatte Bach zum Beispiel Tanzcharaktere übernommen, aus Polen die Polonaise, die Allemande aus Deutschland, die Gigue aus England. Daraus hat er freie Fantasien gemacht. Er hat sich, wie Telemann, ganz bewusst mit anderen Stilen auseinandergesetzt für neue, eigene Inspirationen - wie ein Alchemist. Das ist jetzt auch unserer Ansatz in München.
Inwieweit wurde nicht nur Barockmusik aus Europa nach Südamerika importiert, sondern andersherum auch südamerikanisches Kolorit nach Europa exportiert?
Was man auf jeden Fall feststellen muss: In Sachen Rhythmus waren wir West-europäer den Südamerikanern weit unterlegen. Es gibt dort komplementäre Rhythmen, zumal in Argentinien in der Musik vor dem Tango. Aus Venezuela sind zudem unregelmäßige Fünfer-rhythmen bekannt. Das ist für mich als West-europäer eine besondere Herausforderung. Europa war damals harmonisch weiter, aber nicht rhythmisch, was unsere Kunstmusik zusehends beeinflusst hat. Es gibt auch besondere Instrumente.
Nämlich?
In München spielen wir beispielsweise die südamerikanische Jarana. Mit den spanischen Kolonialisten kam auch die spanische Barockgitarre nach Südamerika, und daraus ist dieses Instrument entstanden. Es gibt verschiedene Größen: von ganz klein, Mosquito, bis zu ganz groß. Die große Variante sieht wie ein dreieckiger Bass aus, wird gezupft und hat quasi dieselbe Funktion wie eine Theorbe in der Barockmusik - oder ein Bass im Jazz. Bei uns spielt das Rubén Dubrovsky.
Welches Fazit ziehen Sie persönlich aus alledem?
Es ist sehr wichtig, dass wir den Begriff der kulturellen Aneignung kritisch hinterfragen, ohne jedoch dabei auszuklammern, dass die Musik wie jede Kunst eine Geschichte von wechselseitigem, inspirierendem Austausch ist. Wo aus einer respektvollen gegenseitigen Befruchtung auf Augenhöhe etwas Neuartiges entsteht, ist für mich das Allerschönste erreicht: nämlich eine echte, interkulturelle Kommunikation.
Marco Frei