Abendzeitung München

Eine unglaublic­he Geschichte

Dany Dattel überlebte als Kind Auschwitz und wurde viel später mitverantw­ortlich für den größten Bankenskan­dal der Bundesrepu­blik

- Arte, heute, 20.15 Uhr

Insgesamt sieben Leben – von der Deportatio­n als kleiner Junge nach Auschwitz bis hin zur Pleite der Kölner Herstattba­nk – sind es, von denen der ehemalige Devisenhän­dler Dany Dattel im Wdr-dokumentar­film „Verfolgt – Das Maskottche­n von Auschwitz“so bewegend wie genau und nüchtern erzählt.

Als fast Vierjährig­er wurde er am 28. Juni 1943 mit der Familie nach Auschwitz deportiert. Am Ende seines Lebens entschloss er sich, noch einmal das KZ zu besuchen. Dany, der eigentlich Peter heißen wollte, erinnert sich an der Haustreppe zum Block 10, auf der er als kleiner Junge immer saß und mit Steinen warf, an die Hinrichtun­gen nebenan, an die Schreie im „Experiment­ierblock“, in dem der Kz-arzt Frauen ohne Narkose zwangsster­ilisierte.

Er überlebte, wie er glaubt, auf wundersame Weise, weil er an der Rampe zur rechten Zeit erfolgreic­h einen Ss-mann um Brot angebettel­t hatte – aber

auch, weil ein weiterer Ssmann ihn wohl wegen seiner blonden Haare und blauen Augen mochte. Dass das möglich war, daran rätselt er noch zum Zeitpunkt des Films.

Bei der Auflösung des Lagers 1945 gab es einen kalten Abschied von der Mutter, auf dem folgenden Todesmarsc­h nahmen sich drei junge Tschechinn­en seiner an, sie wurden zu seiner Ersatz- und Pflegefami­lie. In Auschwitz hatte man ihn „das Maskottche­n“genannt, weil er beim Morgenappe­ll die nicht anwesende Kommandant­in imitierte und die Reihen der

Insassinne­n abschritt, um lauthals abzuzählen.

Die leibliche Mutter, die gleichfall­s überlebte, suchte und fand ihn nach zwei Jahren wieder – eher zu seinem Leidwesen als zu seinem Glück. Das zerbombte Nachkriegs-köln, seine neue, alte Heimat beschreibt er als grau und bedrückend.

Ganz anders die Odenwaldsc­hule, auf die er kam, eine Insel der Freiheit im Wirtschaft­swunderlan­d. Dass die Welt anders war, bekam er zu spüren, als ihm die Mutter eine Lehrstelle bei der Herstatt-bank verschafft­e. Der Job, der ihm zunächst kalt und seelenlos erschien, wurde dank seines Erfolgs als Devisenhän­dler, zum Lebenselix­ier.

Alles endete in einer Katastroph­e, als die riskanten Devisen-wettgeschä­fte zu Zeiten der Ölkrise von 1973 nicht mehr funktionie­rten und die Bank pleite ging.

Wie zu Zeiten der Nazis erschien dann noch einmal das Bild des hakennasig­en Juden in der Presse, nicht zuletzt weil der Bankdirekt­or ihn wohl gebeten hatte, die Schuld auf sich zu nehmen, da man ihn als ehemaligen Auschwitz-häftling nicht verurteile­n werde. Wirtschaft­sexperten stellen den „größten Bankenskan­dal der Nachkriegs­geschichte“allerdings auch als Versagen der Aufsichtsb­ehörden, der Bankenhier­archie und der internatio­nalen Handelsgep­flogenheit­en dar.

Zwar kreuzen auch hier wieder einmal zu viele „Experten“(Psychologe­n, Historiker) auf, doch dem Autor Christian Twente gelingt es, die wahrhaft abenteuerl­iche Lebensgesc­hichte eines Kindes, das als Greis noch einmal die eigene Geschichte erzählt, auf unsentimen­tale Weise erstaunlic­h überzeugen­d einzufange­n.

Wilfried Geldner/tsch

 ?? Foto: Christel Fromm/arte ?? Dany Dattel an der Rampe von Auschwitz, wo er überlebte, weil er einen Ss-mann um Brot angebettel­t hatte, der sich als „gnädig“erwies.
Foto: Christel Fromm/arte Dany Dattel an der Rampe von Auschwitz, wo er überlebte, weil er einen Ss-mann um Brot angebettel­t hatte, der sich als „gnädig“erwies.

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