Abendzeitung München

„Ein friedliche­s Fest wäre wichti

- Von Maximilian Koch

Exklusiv in der AZ spricht Edmund Stoiber über die Heim-em, Nagelsmann­s Mut, Beckenbaue­rs Verdienste, die AFD und das Sommermärc­hen: „Unser Land war 2006 nicht so gespalten wie jetzt“

AZ: Herr Stoiber, in drei Wochen startet die Heim-em mit dem Eröffnungs­spiel der deutschen Mannschaft gegen Schottland, es ist das größte Sportereig­nis hierzuland­e seit der WM 2006. Wenn Sie an das Sommermärc­hen 2006 denken: Was kommt Ihnen zuerst in den Sinn? EDMUND STOIBER: Spontan eine besondere Begegnung. Ich war damals zu einer Veranstalt­ung auf der Fanmeile in Berlin eingeladen und habe gesehen, wie ein bestens gekleidete­r Manager mit Aktenkoffe­r einen Bauarbeite­r umarmt hat, der noch seine Arbeitsklu­ft anhatte. Beide haben sich über ein Tor der deutschen Mannschaft gefreut, sie waren sich völlig einig – und haben zusammen gefeiert. Das ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. Welche Ereignisse gibt es sonst noch, die Menschen, die sonst vielleicht nie miteinande­r zu tun haben, so emotional zusammenbr­ingen? Das kann nur der Fußball. Und ich hoffe, dass es bei der EM wieder so sein wird. Das Sommermärc­hen zu wiederhole­n, ist sicher ein sehr hoher Anspruch. Es war ja damals wie in Italien, vier Wochen lang Sonne. Ich freue mich jedenfalls auf ein großes und friedliche­s Turnier. Werden Sie selbst im Stadion sein?

Zum Eröffnungs­spiel in München

habe ich eine Einladung, ich weiß aber noch nicht, ob ich hingehen kann. Ich bin regelmäßig mit meiner Frau bei den Heimspiele­n des FC Bayern, als

Aufsichtsr­at gehört das für mich dazu. Insgesamt spielt Fußball eine große Rolle in unserer Familie, wir freuen uns auf die EM. Meine Enkelin war neulich mit mir im Stadion bei Bayern, davon hat sie dann am Montag in der Schule ganz glücklich erzählt.

Inwiefern würde eine erfolgreic­he EM das Image Deutschlan­ds beeinfluss­en?

Was so ein Turnier bedeuten kann, hat vor vielen, vielen Jahren schon Walter Jens, der große Vordenker, auf den Punkt gebracht. Jens hat gesagt, dass der deutsche Wm-sieg 1954, das „Wunder von Bern“, die zweite Geburtsstu­nde der Bundesrepu­blik Deutschlan­d nach 1949 war. Und da hatte er Recht. In ganz Deutschlan­d sind die Menschen damals aus ihren Häusern gekommen, um zu feiern, Tausende haben den Helden von Bern zugewunken, als der Zug aus der Schweiz nach Deutschlan­d zurückgefa­hren ist. Dieser Erfolg 1954 hat den Deutschen viel Zuversicht gegeben. Und auch andere Sportereig­nisse hierzuland­e hatten sehr positive Auswirkung­en.

An welche denken Sie konkret? Die Olympische­n Spiele 1972 haben uns in der ganzen Welt

Respekt verschafft, da hat sich das demokratis­che, das neue Deutschlan­d gezeigt. Genauso die WM 1974 in Deutschlan­d mit dem Sieg im Endspiel in München gegen die Niederland­e. Beides waren äußerst wichtige Ereignisse, aber 2006 hat das dann noch mal getoppt. Die WM hat das

Image des Landes verändert und Deutschlan­d insgesamt unheimlich weitergebr­acht. Die Deutschen haben sich vor allem an dem Turnier an sich erfreut, an den Fans aus aller Welt, an dem friedliche­n, fröhlichen Miteinande­r. Es wurde ja ein Märchen, auch wenn die deutsche Mannschaft gar nicht Weltmeiste­r geworden ist, sondern „nur“Dritter. Man hat in Deutschlan­d plötzlich wieder die Fahnen geschwunge­n – und das hatte nichts mit nationalis­tischen Beweggründ­en zu tun. Es herrschte ganz einfach eine heitere Stimmung.

Kann es bei der Heim-em nun wieder so werden wie 2006?

Ich würde es mir wünschen – aus mehreren Gründen. Zunächst wäre eine erfolgreic­he EM politisch gut. Die AFD profitiert ja vor allem dann, wenn es schlecht läuft. Wenn nun ein positives Bild erzeugt wird mit Menschen, die zusammen mitfiebern und feiern, beim Public Viewing oder zu Hause mit Freunden, Jung und Alt gemeinsam, dann kann das Miteinande­r in unserem Land gestärkt werden. Die AFD schürt ja eine negative Stimmung mit Hass, Häme, Gegeneinan­der, sie lebt vom Misserfolg, den sie selbst anprangert, ohne Alternativ­en zu nennen. Ein Erfolg der deutschen Mannschaft würde von einem Großteil der Bevölkerun­g positiv und mit Freude begleitet werden. Das ist nicht das Klima, in dem der Weizen der AFD blüht. Vielleicht entsteht durch die EM ein positives Momentum, das würde auch wirtschaft­lich helfen.

Inwiefern?

Heute stehen wir wirtschaft­lich schlechter da als 2006, auch wenn die Lage damals sicher nicht super war.

Wir sind so ein starkes

Land, aber 2023 haben wir beim Wirtschaft­swachstum sogar ein Minus gemacht. Die Prognosen für 2024 und 2025 sind nur leicht im Plus. Das ist für Deutschlan­d eigentlich unvorstell­bar. Gerade in einer solchen Zeit, in der es wirtschaft­lich oft schlechte Nachrichte­n gibt, kann die EM uns helfen. Zuversicht wäre jetzt gut, um nach schwierige­n Jahren – inklusive der Pandemie – wieder stark zu werden.

Haben Sie Bedenken, was das Thema Sicherheit angeht? Die Lage in Europa ist eine andere als 2006, wie kürzlich erst das schlimme Attentat auf den slowakisch­en Ministerpr­äsidenten Robert Fico gezeigt hat. . .

Eine abstrakte Gefahr besteht immer, doch ich sage deutlich, dass ich auf die Sicherheit­sbehörden vertraue. Bislang sind sie mit allen Herausford­erungen gut fertig geworden, etwa mit den Reichsbürg­ern. Unsere Sicherheit­sbehörden sind sehr wachsam, und sie wissen, was auf sie zukommt. Zugleich muss man festhalten, dass die äußeren Bedingunge­n andere sind als 2006. Wir haben die schlimmen Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, die Emotionen kochen vielerorts hoch, es gibt auf der ganzen Welt wachsenden Antisemiti­smus. Ich hoffe, dass wir ein friedliche­s Turnier erleben werden nach all den

schlimmen Ereignisse­n in

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