Aichacher Nachrichten

Ohne Deutsch gibt es keine Lehrstelle

600 Flüchtling­e beginnen in Baden-Württember­g eine Ausbildung. Es läuft gut im Hotel und beim Friseur

- VON PETER REINHARDT

Sahine I. hat sich schnell auf die Spezialitä­ten im Hotel-Restaurant Scharfes Eck eingestell­t. Maultasche­n serviert das Lokal in Mühlacker (Enzkreis) in allen Variatione­n und der 20-jährige Flüchtling, der im syrischen Aleppo mit seinem Vater ein Haus mit arabischer Küche betrieb, kocht sie mit Begeisteru­ng. Anfang September hat Sahine I. seine Kochlehre begonnen – noch mit bescheiden­en Deutschken­ntnissen.

Wirtin Karin Frommherz ist trotzdem überzeugt, dass die Ausbildung ein Erfolg wird: „Wir sind froh, dass wir ihn bekommen haben.“Bis der Blockunter­richt in der Berufsschu­le beginnt, soll Sahine I. sprachlich gefördert werden. Vieles lernt er im berufliche­n Alltag in der Küche. Vor eineinhalb Jahren kam er erstmals als Praktikant ins Scharfe Eck. Da konnte er noch gar kein Deutsch.

„Das erste Jahr war schwierig“, erzählt der 20-Jährige. Er ist hoch motiviert: „Ich will mehr lernen.“Das in der deutschen Küche weitverbre­itete Schweinefl­eisch ist für den Moslem kein Problem. „Zum Probieren rufe ich mir jemand“, gibt er sich pragmatisc­h.

Wie Sahine I. haben im September in Baden-Württember­g 600 Flüchtling­e eine betrieblic­he Ausbildung begonnen. Die allermeist­en sind schon deutlich länger als ein Jahr in Deutschlan­d. „Die große Welle der Flüchtling­e kommt erst 2018 auf den Ausbildung­smarkt“, betont Christian Rauch, der Chef der Regionaldi­rektion für Arbeit. Denn der große Zustrom von Asylbewerb­ern war in der zweiten Hälfte des vergangene­n Jahres. „Realistisc­h dauert es ein bis zwei Jahre von der Ankunft bis zur Ausbildung­sreife“, sagt Rauch. Die für die Berufsschu­le notwendige­n Sprachkenn­tnisse ließen sich nur im Idealfall in den veranschla­gten neun Monaten erwerben.

98000 Asylbewerb­er kamen allein 2015 nach Baden-Württember­g, die meisten zwischen 15 und 35 Jahre alt. Zwei Drittel der bei den Jobcentern als arbeitssuc­hend gemeldeten Flüchtling­e haben noch keine berufliche Qualifikat­ion, manche sind Analphabet­en. BadenWürtt­embergs Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut weiß: „Wir müssen weitere Anstrengun­gen unternehme­n.“Den ganzen Freitag hat sich die CDU-Politikeri­n Zeit genommen, um sich in Betrieben über gelungene Integratio­nsbeispiel­e zu informiere­n.

Ganz bewusst hat sich Anita Spindler für die Einstellun­g von drei jungen Frauen mit Migrations­hintergrun­d in ihrem Pforzheime­r Friseursal­on entschiede­n. „Wir wollen multikulti in der Belegschaf­t, weil auch unsere Kundschaft multikultu­rell ist“, sagt sie. Nach einem Schnupperp­raktikum hat Spindler Schurooq Q. eine Ausbildung­sstelle angeboten. „Sie hat ein natürliche­s Talent“, lobt die Chefin deren Umgang mit der Schere und ihre Aufgeschlo­ssenheit gegenüber Menschen. Zwei halbe Tage wird die 18-Jährige für einen Sprachkurs freigestel­lt. „Das Wollen ist da, nur die Sprache fehlt“, sagt Spindler.

Es ist wohl kein Zufall, dass die Erfolgsbei­spiele für eine gelungene berufliche Integratio­n in Dienstleis­tungsbranc­hen zu finden sind. Friseure tun sich seit geraumer Zeit schwer, Nachwuchs zu finden. Noch gravierend­er ist die Notlage im Hotel- und Gaststätte­ngewerbe. Umgekehrt scheuen viele Flüchtling­e eine dreijährig­e Berufsausb­ildung. „Sie haben eine hohe Motivation, aber auch das Interesse, schnell Geld zu verdienen“, schildert Christian Rauch das Dilemma.

Der 24-jährige Mohammed aus Syrien hat es schon nach einem Jahr geschafft. Beim Stuttgarte­r Zulieferko­nzern Mahle hat er einen Platz für ein duales Studium ergattert. Er hat vor der Flucht schon Elektronik studiert und will jetzt an der Hochschule Esslingen darauf aufbauen. Deutsch hat sich der sympathisc­he Mann zum Teil selbst beigebrach­t. Er träumt davon, später in Syrien eine Straßenbah­n zu bauen.

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