Zu Besuch in Augsburgs Denkfabrik
Bei Stadtschreiber Konrad Peutinger konnte Martin Luther die größte Privatbibliothek besichtigen – und mit einem Mann disputieren, der in den Umbrüchen den „milden Weg“ging
Als der Augustinermönch Martin Luther 1517 zu Wittenberg seine 95 Thesen gegen den Ablass-Handel publizierte, blieb sein Protest in der Kaufmannsstadt Augsburg nicht ohne Widerhall. Im Jahr 1518 hatte sich Luther dann auch hier auf dem Reichstag für seine Aufsässigkeit zu rechtfertigen. Unsere neue Serie, immer dienstags an dieser Stelle, verfolgt Luthers Spuren in Augsburg. Die Zeitgenossen waren voll des Lobes über den Augsburger Juristen und Universalgelehrten Konrad Peutinger (1465 – 1547). Sie bewunderten vor allem seinen immensen Wissensvorrat in der damals wohl größten Privatbibliothek nördlich der Alpen, seinen raschen Zugriff darauf in seiner bestens organisierten Bibliothek mit 6000 Titeln in 2200 Bänden und seinen souveränen Umgang damit. Ulrich Zasius bezeichnete den Stadtschreiber gar als „den vollkommensten Mann von allen unserer Zeit (…) Bewundernswert ist der Forschergeist dieses Mannes, unvergleichlich die Wachheit seines Verstandes und ganz außerordentlich sein Gedächtnis“.
Eine solche Geistesgröße musste der Wittenberger Mönch und Professor Martin Luther besuchen, als sich die Gelegenheit dazu bot. Kaum erholt von den Reisestrapazen, ging Luther am 9. Oktober 1518 zu Peutingers Palais am Dom und speiste mit dem gelehrten Politiker. Zumal er Peutinger auf seiner Seite wähnte – einen Mann, „ … von dem du besser weißt als ich, mit welch einzigartigem Eifer er sich um meine Sache bemüht“, schrieb er Georg Spalatin, dem Sekretär seines sächsischen Fürsten.
Peutinger, ganz der abwägende Jurist, war ein Mann des Ausgleichs. In der Sache einer Kirchenreformation befürwortete er in einem Gutachten für den Rat den „milten und mitleren weg“; nur ein allgemeines Konzil der Gesamtkirche habe die Berechtigung, Neuerungen in Religionsfragen zu entscheiden – sei es der Laienkelch oder die Priesterehe. Allein darin sah Peutinger die Einheit des christlichen Glaubens gewährleistet. Tatsächlich verabschiedete der Rat erst 1537 eine allgemeine reformatorische Kirchenordnung und tat die „papistische Abgötterei“ab. Vorher ging jede Pfarrgemeinde in der Stadt ihren eigenen Weg einer bürgerschaftlichen Kirchenreform, sodass Luther 1527 in einem Brief an Spalatin entsetzt ausrief: „Augusta in sex divisas est sectas“– Augsburg zerfällt in sechs Sekten.
Sicher nicht im Sinne Luthers war Konrad Peutingers Haltung im sogenannten Monopolstreit. Im aufziehenden Frühkapitalismus wurde den großen Firmen und Handelsgesellschaften ihre marktbeherrschende Stellung und Preismanipulation, einhergehend mit der Deklassierung der alten agrarisch geprägten Wirtschaftsweise, vorgeworfen – und
dies aus Eigennutz und verwerflicher Gewinnsucht. Sowohl die Sorge des gemeinen Mannes vor Teuerung als auch die Angst des Adels vor sozialem Abstieg widerspiegelten sich in dieser auf Reichstagen erhobenen Klage. Konrad Peutinger indes vertrat die Auffassung, diese Monopole seien für die Konkurrenz keineswegs schädlich. Der Reichtum der Kaufleute sorge dafür, dass auch die Handwerker mehr verdienten, was wiederum zur Wahrung von Ruhe und Frieden beitrage.
Freilich: Ohne Finanzwirtschaft ließen sich die Geschäfte der Neuzeit nicht tätigen. Ein internationaler Handel verlangte nach Banken zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs, der kapitalintensive Bergbau sowie Expeditionen nach Übersee erforderten vorgestrecktes Kapital. Zins auf die Kredite sollte auch die nicht unerheblichen Risiken abdecken. Dazu kam der unersättliche römische Titelhandel, der Bischofsstühle gegen satte Gebühr vergab – und den Ablasshandel als Gegenfinanzierung betrieb.
Luther aber verurteilte jeglichen „Wucher“als eine ungerechtfertigte Bereicherung „wider das heilig Evangelium“. Strikt hielt er an dem biblischen Zinsverbot fest („Du sollst leihen ohne allen Aufschlag deinem Nächsten“). Luther tadelte Eigennutz, Profitstreben und Preistreiberei der Kaufleute als unchristlich und stellte ein ganzes Sündenregister von üblen Handelspraktiken auf.
Am ärgsten seien die großen Firmen, sie seien nichts anderes „denn eitel rechte Monopolia“. Besonders auf dem Kieker hatte der Reformator die „verdammte Fuckerei“aus Augsburg: „Wie sollte das immer mögen göttlich und recht zugehen, dass ein Mann in so kurzer Zeit so reich werde, dass er Könige und Kaiser auskaufen möchte?“
Selbst wenn Gutachten des brillanten Ingolstädter Theologen Johannes Eck einen Zinssatz von fünf Prozent für gerechtfertigt hielten, hatte Jakob Fugger der Reiche doch allen Grund, um sein Seelenheil zu fürchten. Deshalb beteiligte er nach frommem Kaufmannsbrauch auch den lieben Gott an seinen Gewinnen und stiftete einerseits die Fuggerei und andererseits seine Begräbniskapelle in St. Anna. Als Luther im Jahr 1518 nach Augsburg kam, war diese Renaissance-Perle gerade fertiggestellt.
Luther in Augsburg