Martin Luthers Stiege
Nachts flüchtete der Reformator aus dem Kloster in St. Anna. Heute ist dort ein Museum untergebracht. Es erzählt auch, wie das neue Glaubensbekenntnis in Kriege mündete
Als der Augustinermönch Martin Luther 1517 zu Wittenberg seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel publizierte, blieb sein Protest in der Kaufmannsstadt Augsburg nicht ohne Widerhall. Im Jahr 1518 hatte sich Luther dann auch hier auf dem Reichstag für seine Aufsässigkeit zu rechtfertigen. Unsere neue Serie, immer dienstags an dieser Stelle, verfolgt Luthers Spuren in Augsburg. 28 Stufen aus Holz sind es, die in den Kreuzgang von St. Anna hinunterführen, 28 Stufen, die Martin Luther der Legende nach am 20. Oktober 1518 hinabgestiegen sein soll. In der Nacht soll sich der Reformator heimlich aus der Stadt geschlichen haben. Luther spürte, dass seine Lage in Augsburg immer gefährlicher wurde. Weil er sich weigerte, zu widerrufen, konnte alles mit ihm passieren. Also verließ er die Stadt im Verborgenen.
Man vermutet, dass Luther auch einen Helfer in der Stadt hatte, der ihm nachts das Tor öffnete, möglicherweise im Sohn des Bürgermeisters, in Christoph Langenmantel. Der Legende nach soll es der Teufel gewesen sein, der ihm mit den Worten „Da hinab!“den Weg wies. An welchem Tor das war, darüber kann nur spekuliert werden. Den kürzesten Weg hätte er zum Alten Einlaß gehabt, der ungefähr dort war, wo heute das Stadttheater steht. Aber vielleicht konnte sein Helfer nur den Kontakt zu einem anderen Wächter herstellen. Deshalb könnten es auch das Klinkertor oder ein Tor am Gallusbergle gewesen sein – dort ist heute die Gedenktafel angebracht.
Fast zwei Wochen hielt sich Luther in Augsburg auf – vom 7. bis zum 20. Oktober. Fast 500 Jahre sind seitdem vergangen. In Augsburg erinnert an diese Zeit das Museum Lutherstiege. Vom Kreuzgang des ehemaligen Karmeliterklosters St. Anna geht es dort mit der Stiege hinauf in die ehemaligen Räume im ersten Stockwerk. Schon beim Hinaufgehen hört der Besucher, dass oben in den Museumsräumen zwei Menschen in Endlosschleife uneins miteinander sind: der päpstliche Kardinallegat Cajetan mit seinem „Widerrufe! Revoco! Das Wort hat nur sechs Buchstaben“und Luther mit „Der Papst steht nicht über der Heiligen Schrift“.
Im Museum steht auch eine Truhe, ein Symbol für den Ablasshandel. Der Besucher hört davor leise, aber vernehmlich immer wieder „Ich bin ein Sünder“– ein Verweis auf den Ablasshandel, ein Stein des Anstoßes für Martin Luthers reformatorische Gedanken.
Wer die Treppen nach oben steigt, bekommt über Tafeln aber auch einen Eindruck davon, in welchem historischen Zusammenhang die Reformation zu sehen ist. Christopher Columbus entdeckt 1492 Amerika, und die großen seefahrenden Nationen Europas machen sich daran, erst diesen Kontinent auf brutale und zerstörerische Weise zu erobern und gleichzeitig auch in Asien und Afrika Kolonien zu errichten. Die Jahrhunderte beginnen, in denen Europa wegen seiner militärischen und technologischen Stärke ein Dreh- und Angelpunkt der Weltgeschichte ist. Dazu kommen um 1500 humanistische Ideen in die Welt. Mit den Landsknechten hat das Rittertum seine militärische Bedeutung verloren. Der Buchdruck ist erfunden und damit auch die Möglichkeit, die Menschen in noch nicht dagewesener Weise zu informieren. Die Welt wäre auch ohne Martin Luther in einem großen Umbruch gewesen.
Seine Ideen gehen in dem Wandel aber nicht unter, im Gegenteil. Das wird im Museum Lutherstiege auch anschaulich gemacht: Zwei Schlüsseldaten sind die Confessio Augustana 1530 und der Augsburger Religionsfriede 1555. Es dauerte noch einmal 100 Jahre und den 30-jährigen Krieg lang, bis zwischen den beiden verschiedenen Konfessionen die Waffen nach dem Westfälischen Frieden 1648 schwiegen.
Von dort aus kann man sich auch Gedanken machen, was diese zweihundert Jahre im Zeichen der religiösen Auseinandersetzung noch bedeuteten: eine Verzögerung bei der Bildung eines Nationalstaats in Deutschland. Das erst spät gegründete Deutsche Reich (1871) führte dann Europa in zwei verheerende Weltkriege, die für die europäische, koloniale Weltordnung das Ende bedeuteten. Was auch noch zu erwähnen wäre: die Gegenreformation, die der geistig darniederliegenden katholischen Kirche neues Leben einhauchte.
Das Museum Lutherstiege ist mon tags von 12 bis 17 Uhr, dienstags bis samstags von 10 bis 17 Uhr zu den Öff nungszeiten von St. Anna zu sehen.