Aichacher Nachrichten

Martin Luthers Stiege

Nachts flüchtete der Reformator aus dem Kloster in St. Anna. Heute ist dort ein Museum untergebra­cht. Es erzählt auch, wie das neue Glaubensbe­kenntnis in Kriege mündete

- VON RICHARD MAYR

Als der Augustiner­mönch Martin Luther 1517 zu Wittenberg seine 95 Thesen gegen den Ablasshand­el publiziert­e, blieb sein Protest in der Kaufmannss­tadt Augsburg nicht ohne Widerhall. Im Jahr 1518 hatte sich Luther dann auch hier auf dem Reichstag für seine Aufsässigk­eit zu rechtferti­gen. Unsere neue Serie, immer dienstags an dieser Stelle, verfolgt Luthers Spuren in Augsburg. 28 Stufen aus Holz sind es, die in den Kreuzgang von St. Anna hinunterfü­hren, 28 Stufen, die Martin Luther der Legende nach am 20. Oktober 1518 hinabgesti­egen sein soll. In der Nacht soll sich der Reformator heimlich aus der Stadt geschliche­n haben. Luther spürte, dass seine Lage in Augsburg immer gefährlich­er wurde. Weil er sich weigerte, zu widerrufen, konnte alles mit ihm passieren. Also verließ er die Stadt im Verborgene­n.

Man vermutet, dass Luther auch einen Helfer in der Stadt hatte, der ihm nachts das Tor öffnete, möglicherw­eise im Sohn des Bürgermeis­ters, in Christoph Langenmant­el. Der Legende nach soll es der Teufel gewesen sein, der ihm mit den Worten „Da hinab!“den Weg wies. An welchem Tor das war, darüber kann nur spekuliert werden. Den kürzesten Weg hätte er zum Alten Einlaß gehabt, der ungefähr dort war, wo heute das Stadttheat­er steht. Aber vielleicht konnte sein Helfer nur den Kontakt zu einem anderen Wächter herstellen. Deshalb könnten es auch das Klinkertor oder ein Tor am Gallusberg­le gewesen sein – dort ist heute die Gedenktafe­l angebracht.

Fast zwei Wochen hielt sich Luther in Augsburg auf – vom 7. bis zum 20. Oktober. Fast 500 Jahre sind seitdem vergangen. In Augsburg erinnert an diese Zeit das Museum Lutherstie­ge. Vom Kreuzgang des ehemaligen Karmeliter­klosters St. Anna geht es dort mit der Stiege hinauf in die ehemaligen Räume im ersten Stockwerk. Schon beim Hinaufgehe­n hört der Besucher, dass oben in den Museumsräu­men zwei Menschen in Endlosschl­eife uneins miteinande­r sind: der päpstliche Kardinalle­gat Cajetan mit seinem „Widerrufe! Revoco! Das Wort hat nur sechs Buchstaben“und Luther mit „Der Papst steht nicht über der Heiligen Schrift“.

Im Museum steht auch eine Truhe, ein Symbol für den Ablasshand­el. Der Besucher hört davor leise, aber vernehmlic­h immer wieder „Ich bin ein Sünder“– ein Verweis auf den Ablasshand­el, ein Stein des Anstoßes für Martin Luthers reformator­ische Gedanken.

Wer die Treppen nach oben steigt, bekommt über Tafeln aber auch einen Eindruck davon, in welchem historisch­en Zusammenha­ng die Reformatio­n zu sehen ist. Christophe­r Columbus entdeckt 1492 Amerika, und die großen seefahrend­en Nationen Europas machen sich daran, erst diesen Kontinent auf brutale und zerstöreri­sche Weise zu erobern und gleichzeit­ig auch in Asien und Afrika Kolonien zu errichten. Die Jahrhunder­te beginnen, in denen Europa wegen seiner militärisc­hen und technologi­schen Stärke ein Dreh- und Angelpunkt der Weltgeschi­chte ist. Dazu kommen um 1500 humanistis­che Ideen in die Welt. Mit den Landsknech­ten hat das Rittertum seine militärisc­he Bedeutung verloren. Der Buchdruck ist erfunden und damit auch die Möglichkei­t, die Menschen in noch nicht dagewesene­r Weise zu informiere­n. Die Welt wäre auch ohne Martin Luther in einem großen Umbruch gewesen.

Seine Ideen gehen in dem Wandel aber nicht unter, im Gegenteil. Das wird im Museum Lutherstie­ge auch anschaulic­h gemacht: Zwei Schlüsseld­aten sind die Confessio Augustana 1530 und der Augsburger Religionsf­riede 1555. Es dauerte noch einmal 100 Jahre und den 30-jährigen Krieg lang, bis zwischen den beiden verschiede­nen Konfession­en die Waffen nach dem Westfälisc­hen Frieden 1648 schwiegen.

Von dort aus kann man sich auch Gedanken machen, was diese zweihunder­t Jahre im Zeichen der religiösen Auseinande­rsetzung noch bedeuteten: eine Verzögerun­g bei der Bildung eines Nationalst­aats in Deutschlan­d. Das erst spät gegründete Deutsche Reich (1871) führte dann Europa in zwei verheerend­e Weltkriege, die für die europäisch­e, koloniale Weltordnun­g das Ende bedeuteten. Was auch noch zu erwähnen wäre: die Gegenrefor­mation, die der geistig darniederl­iegenden katholisch­en Kirche neues Leben einhauchte.

Das Museum Lutherstie­ge ist mon tags von 12 bis 17 Uhr, dienstags bis samstags von 10 bis 17 Uhr zu den Öff nungszeite­n von St. Anna zu sehen.

 ?? Foto: Richard Mayr ?? Die Lutherstie­ge in der St. Anna Kirche in Augsburg: Über sie soll Martin Luther am 20. Oktober in der Nacht aus Augsburg geflüchtet sein, um nach seinen Diskussion­en mit dem päpstliche­n Legaten Cajetan nicht von diesem gefangen gesetzt zu werden.
Foto: Richard Mayr Die Lutherstie­ge in der St. Anna Kirche in Augsburg: Über sie soll Martin Luther am 20. Oktober in der Nacht aus Augsburg geflüchtet sein, um nach seinen Diskussion­en mit dem päpstliche­n Legaten Cajetan nicht von diesem gefangen gesetzt zu werden.
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