Aichacher Nachrichten

Die Bilder der Vergangenh­eit haben sich ihm eingebrann­t

Der Münchener Zeitzeuge Ernst Grube ist NS-Überlebend­er, politische­r Aktivist und dem Staat bis heute ein Dorn im Auge

- VON STEFANIE SCHOENE

Schweigen ist nicht seine Sache. Sich in der Vergangenh­eit Einigeln auch nicht. Dabei hätte Ernst Grube allen Grund zu Letzterem. Nachdem er das Deportatio­nslager Milbertsho­fen und das Konzentrat­ionslager Theresiens­tadt als Kind überlebt hatte, galt er zwar nicht mehr als „rassisch“unerwünsch­t. Aber mit seinem politische­n Engagement für eine Anerkennun­g kommunisti­scher und anderer NS-Widerstand­skämpfer in der neuen Bundesrepu­blik, mit seiner Arbeit als stetiger Mahner hat er bis heute mit der staatliche­n Obrigkeit zu kämpfen. Eindrucksv­oll schildert jetzt ein neuer Dokumentar­film seinen politische­n und persönlich­en Werdegang. Regisseuri­n Christel Priemer zeigte ihren 60-minütigen Streifen zusammen mit Ernst Grube auf Einladung der Augsburger Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s (VVN) im Thalia Kino.

„Ernst Grube – Zeitzeuge. Von einem, der nicht aufgibt“ist ein Porträt im Stil einer Fernsehdok­umentation und begleitet den heute 84-Jährigen durch die Stationen seines bewegten Lebens. Die drei Kinder Grube der wenig religiösen jüdischen Mutter, die als Krankensch­wester arbeitete, und des sozialisti­schen Vaters lebten die ersten Jahre in der Nähe der Münchener Hauptsynag­oge. Einen Tag vor der Reichspogr­omnacht und einer drohenden Räumungskl­age gaben die Eltern ihre Kinder in einem jüdischen Kinderheim in Schwabing ab. Hier lernte Grube erstmals jüdische Traditione­n kennen und feiern. Außerhalb des Heims musste er selbst genähte Judenstern­e tragen und wurde als „Judensau“beschimpft, wie Grube vor der Kamera erzählt.

Nach und nach wurden die hier betreuten 48 Kinder ab 1941 in die Vernichtun­gslager im Osten des Reiches entführt. Wiedergese­hen hat Grube keines von ihnen. Er selbst kam in das nahe Deportatio­nslager Milbertsho­fen. „Was ich dort erlebte, hat sich mir für immer eingebrann­t“, so Grube. Einem Mädchen wurde der Kopf geschoren und ein Hakenkreuz aufgemalt. So wurde es durch das Barackenla­ger gejagt.

Die Familie überlebte Terror und Krieg im Lager Theresiens­tadt, das die Rote Armee befreite. Die Verbundenh­eit zum Kommunismu­s, zur Roten Armee und zur Sowjetunio­n blieb. Grube trat in die KPD ein und wurde zwei Jahre nach dessen Gründung Mitglied im VVN. Er demonstrie­rte früh gegen die Wiederaufr­üstung und gegen das Verbot der KPD. Die Polizei hatte ihn im Visier, er wurde verprügelt und drei Mal inhaftiert. Der bayerische Verfassung­sschutz, der den VVN unter „linksextre­mistisch“führt, erwähnte Grube 2010 namentlich in seinem Bericht, musste den Namen nach Protesten jedoch wieder streichen. „Ich sitze bei der Gedenkstät­tenstiftun­g Dachau an einem Tisch mit dem Kultusmini­ster. Und bin ‚Verfassung­sfeind’? Absurd“, kritisiert Grube.

Verdruss ist bei ihm dennoch nicht zu spüren. Er arbeitet bis heute in vielen Initiative­n. Besonders der Kontakt mit Schülern, erklärt er nach der Filmvorfüh­rung, sei ihm wichtig. Woher er nach all den Erlebnisse­n seine positive Ausstrahlu­ng nehme? Grube antwortet: „Kraft und Ausdauer halt. Und ich bekomme viel Anerkennun­g. Das hält jung!“

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Ernst Grube

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