Zuhause bei den Bauersleuten für ein Vergelt’s Gott
Als die Mutter von Helmuth Plattek wegzog, blieb er noch ein Jahr in Thierhaupten. Und er kam wieder
„Nicht immer war man ein „Hurra-Flüchtling“und nicht immer fand eine Ablehnung statt, wir wurden mit einer christlichen Nächstenliebe aufgenommen.“Das schreibt Helmuth Plattek aus Thierhaupten über seine Erlebnisse aus der Nachkriegszeit. Und weiter: „Auch ich habe meine Heimat verloren, in Thierhaupten-Weiden eine neue gefunden und gleich wieder verloren, um sie im Alter wieder zu finden.“Das ist seine Geschichte:
„Ich bin in Südmähren, Kreis Znaim, in dem kleinen Ort Tullnitz, geboren. Mit dreizehneinhalb Jahren musste ich mit meiner Mutter und meinem vier Jahre alten Bruder unsere Heimat verlassen. Südmähren war ein überaus fruchtbares Land und liegt an der niederösterreichischen Grenze nördlich von Wien, der Fluss Thaya bildet heute die Grenze.
Friedlich lebten wir unzählige Jahre im alten Österreich in Verbundenheit und Tradition zusammen. 1946 kurz vor Ostern wurden wir vertrieben, mit Pferdefuhrwerken wurden wir in ein sogenanntes Lager gebracht, ganz langsam entfernten wir uns immer weiter von unserem Ort Tullnitz. Ein paar alte Männer, darunter unser Großvater, fingen an zu singen „Nun adieu, du mein lieb Heimatland“und wir alle stimmten unter Tränen ein. Im Lager wurden unsere wenigen Habseligkeiten visitiert und meiner Mutter wurde unter anderem der Ehering abgenommen.
Über Furth im Walde, Augsburg und Neuburg an der Donau wurden wir mit einem Holzvergaser-Lastwagen nach Thierhaupten gebracht. Beim Bürgermeisteramt im kleinen angrenzenden Hof wurden wir abgeladen und nach einer gewissen Zeit verteilt. Einige unter uns erinnerten sich, dass ein Wehrmachtsangehöriger aus unserem Ort wenige Tage vor Kriegsende in einem bayerischen Ort, Thierhaupten, auf tragische Weise ums Leben kam und auch dort begraben wurde. Der Friedhof lag wenige Meter vom Gemeindeamt und so schauten wir am Grab vorbei und fühlten uns für einen Moment zuhause.
Wir, meine Mutter, mein Bruder und ich, wurden wieder auf den Lastwagen geladen und weiter transportiert, wir fühlten uns abgeschoben und die Trennung von unseren Landsleuten fiel uns schwer. Wir wurden nach Weiden gebracht, Weiden liegt drei Kilometer von Thierhaupten entfernt und besteht aus fünf Bauernhöfen.
Beim Hof Nummer 2, Familie Groß, wurden wir abgeladen und der Lastwagenfahrer fuhr einfach weiter. Wir mussten jedoch nicht lange auf der Straße vor dem offenen Hof stehen, die alte Bauersfrau holte uns gleich in die Bauernstube und stellte uns Milch und „Bacherln“, eine Art große Semmel, hin. Der alte Bauer setzte sich zu uns und fing über den „Führer“, der unendliches Elend über uns alle gebracht hat, zu schimpfen an.
Unter anderem meinte er, in einer uns durchaus vertrauten Sprache, wenn ihm nur der alte Wirt, der geholfen hatte, Hitler auszugraben, als er im Ersten Weltkrieg verschüttet war, damals die Schaufel auf den Grind geschlagen hätte. Es dauerte nicht lange und Töchter und Söhne kamen vom Feld nach Hause, um die neuen Mitbewohner zu begrüßen, wir wurden somit christlich und herzlich aufgenommen. Nach und nach entstand eine wunderbare Freundschaft, wir konnten am bäuerlichen Leben teilhaben und hatten keine materielle Not.
Die Schwester meiner Mutter lebte in München und so machte ich mich 1947 auf und besuchte sie, freilich gab mir die alte Bäuerin einen gut gefüllten Rucksack mit. Tags darauf ging ich nach langer Zeit ins Kino und nahm mir eine herzhafte Jause mit, zwei Scheiben Bauernbrot mit üppigem Schweineschmalz. Unmittelbar vor der Vorstellung fing ich an zu essen.
Neben mir saß ein älterer Mann und fragte mich, ob ich ihm etwas geben könnte. Daraufhin teilte ich meine Brotzeit, mein Hunger war so groß nicht. Ein „Hurra-Flüchtling“, wie es damals allgemein hieß, schenkte einem Münchner ein Stück Schmalzbrot. Unser Vater fand nach dem Zusammenbruch in Pforzheim bei der Bahn wieder eine Anstellung, aber es dauerte bis 1950, bis meine Mutter und mein Bruder nach zehnjähriger kriegsbedingter Trennung wieder zu ihm ziehen konnten.
Ich selbst blieb in Weiden bei der Familie Groß, ich machte mein letztes Schuljahr in Donauwörth. Ich hatte damals bei unserem Bauern alles und alles für ein „Vergelt’s Gott!“ Gegen 16 Uhr kam ich aus der Schule zurück und fand immer in der Ofenröhre mein Mittagessen. Wenn die Familie von mir sprach, dann hieß es von allen nur „Der Unsrige“– in der damaligen Zeit möglicherweise ein einmaliger Vorgang.
In Thierhaupten fand ich ebenfalls schnell Anschluss, ich spielte Fußball. Nach Schulschluss verbrachte ich noch die Ferienzeit in Weiden und im Spätherbst galt es Abschied zu nehmen. Es fiel mir sehr schwer, die Familie Groß zu verlassen und mir war es, als würde ich erneut meine Heimat verlassen oder verlieren. Der Kontakt nach Weiden zur Familie Groß blieb in all den Jahren aufrecht und auch nach Thierhaupten, das gelang über den Fußball und die Musikanten „Die Oberdörfler“.
Nach meinem Berufsleben zog es mich wieder zurück nach Thierhaupten, ich baute mir ein Haus und verbringe nun hier meinen Lebensabend. Bliebe noch festzustellen, dass es den einstmals blühenden und belebten Hof in Weiden heute nicht mehr gibt.“(jah)