„Ich dachte erst, ich träume“
In der Nacht auf Freitag zittert die Erde auf Kos. Wände wanken, zwei Menschen sterben unter Trümmern. Unsere Kollegin liegt zu diesem Zeitpunkt im Hotelbett
Um 1:31 Uhr zittert die Erde im Urlaubsparadies. Ein Seebeben erschüttert die türkischgriechische Ägäis in der Nacht auf Freitag und bringt Hotels und Häuser zum Wanken. Die Insel Kos trifft es besonders hart: In der Hauptstadt rennen Einwohner und Touristen aus den Bars ins Freie, Panik bricht aus. Zwei junge Urlauber aus Schweden und der Türkei sterben, als Trümmer auf sie herabstürzen, wie örtliche Medien am Freitag berichten. Mehr als hundert Menschen verletzen sich, manche von ihnen schwer.
Währenddessen schwappen kleinere Tsunami-Wellen über die Kaimauern, Teile des Hafenviertels werden überflutet. Kurzzeitig fahren keine Fähren mehr zur Insel. Die Schäden seien enorm, wie der Bürgermeister Giorgos Kyritsis der Nachrichtenagentur Ana sagt.
Orla Finegan, die eine Ausbildung zur Redakteurin bei unserer Zeitung macht, verbringt gerade ihren Urlaub in einem Ferienressort bei Mastichari, 20 Kilometer von Kos-Stadt entfernt. Sie wacht nachts auf und denkt dennoch, sie träume: Die Wände im Hotelzimmer wackeln, sie fühlt sich, als befände sie sich auf einem Schiff, das gegen heftige Wellen ankämpft. Die 28-Jährige setzt sich im Bett auf, schaut um sich. „Was ist hier los?“, fragt sie ihre Cousine, die neben ihr liegt und ebenfalls aufgewacht ist. „Wahrscheinlich ein Erdbeben“, sagt diese im Halbschlaf. Das komme auf Kos öfter vor, sie habe das schon einmal miterlebt. Dann schauen die beiden jungen Frauen, ob ihnen etwas auf den Kopf fallen kann – und schlummern weiter.
Der Strand ist nur wenige Meter von Finegans Hotel entfernt, von dort aus ist die türkische Küste zu sehen – auch die Stadt Bodrum. In deren Nähe soll sich das Epizentrum des starken Seebebens befunden haben. Die US-Erdbebenwarte maß gegen halb 2 Uhr Ortszeit eine Stär- ke von 6,7. In der bei Urlaubern beliebten Region im Südwesten der Türkei bricht die Stromversorgung teilweise zusammen. Schwer verletzt sich dort nach ersten Informationen niemand, auch die Schäden fallen geringer aus.
Was passiert ist, realisiert Finegan erst am Tag danach. Am Telefon erzählt die Augsburgerin: „Der Schreck ist jetzt größer als in der Nacht selbst. Wir waren im Halbschlaf und dachten gar nicht daran, rauszugehen.“Ihre Tante, mit der sie verreist ist, sei jedoch auf den Balkon gegangen. Von dort aus habe sie gesehen, wie Gäste mit Kindern die Apartments eilig verließen.
Im Hotel ist am Morgen wenig von den tragischen Ereignissen auf Teilen der Insel zu spüren: In Finegans Zimmer stehen keine Schubladen offen, nur ein Bild an der Wand hängt schief. Urlauber schlendern zum Frühstücksbuffet, manche reden über das Beben.
An der Rezeption bekommt Finegan mit, dass die Mitarbeiter ein paar besorgte Anrufer am Telefon haben, welche fragen, ob sie die gebuchte Reise in den kommenden Tagen antreten können oder nicht. „Die Mitarbeiter versuchen, nichts aufzubauschen, um niemanden zu beunruhigen“, sagt sie.
Eine Angestellte, die nahe der Stadt Kos wohnt, erzählt, dass nachts plötzlich Straßenhunde zu bellen begonnen hätten. Dass der Boden unter den Füßen zittert, sei jedoch nichts Ungewöhnliches auf Kos.
Das letzte Beben liegt erst ein paar Wochen zurück. Hotels und Häuser seien dementsprechend sicher gebaut, meistens passiere nichts Schlimmeres. Auch Finegan ist verblüfft, wie flexibel die Wände auf die heftigen Erdstöße reagierten.
Die 28-Jährige, die Tante, Cousine und der Onkel haben im Hotelzimmer den Fernseher eingeschaltet und die Nachrichten über das Unglück verfolgt. Eigentlich hatten sie geplant, am Freitag die Hauptstadt der Ägäis-Insel zu erkunden. „Wir warten jetzt mal ab, ob das überhaupt noch geht“, sagt sie. Ihr Rückflug nach Deutschland geht nächste Woche. Daran, zeitiger abzureisen, denkt die Familie vorerst nicht. (mit dpa)