„Kunden können erst mal abwarten“
Nach dem Diesel-Skandal wurde bekannt, dass sich Autobauer seit Jahren absprechen. Ein Experte erklärt, ob Autofahrer ein Recht auf Schadenersatz haben
Herr Kersting, auf was sollten Kunden, die in jüngster Zeit ein Auto bei den Kartell-verdächtigen Herstellern gekauft haben, achten, um bei eventuellen Regressansprüchen gut vorbereitet zu sein?
Im Moment ist es noch zu früh, um genau sagen zu können, ob Kunden Regressforderungen geltend machen können. Das hängt von den konkreten Absprachen ab, die zwischen den Autoherstellern getroffen wurden – und darüber wissen wir im Moment noch nicht viel. Wenn es aber Absprachen gegeben hat, die zur Folge hatten, dass eine neue technische Entwicklung nicht weiterverfolgt wurde, und dann Autos verkauft wurden, die auf einem niedrigeren technischen Niveau waren, als sie es hätten sein können, dann ist theoretisch ein Anspruch von Kunden denkbar. Von diesen müssten allerdings erhebliche Nachweise beigebracht werden. Und das wird im Moment und wahrscheinlich auch später sehr schwerfallen.
Es könnten neben der Technik auch die Preise für die Wagen betroffen sein. Sie könnten künstlich hochgehalten worden sein. Könnte das für Kunden einen weiteren Regressanspruch bedeuten?
Ich hatte bislang nur den Eindruck, dass gegenüber den Zulieferern Preise gedrückt wurden. Das löst sicher Schadenersatzansprüche der Zulieferer aus. Wenn es sich herausstellt, dass auch gegenüber den Endkunden die Preise für Kraftfahrzeuge verteuert wurden, dann haben wir eine Situation wie beim Lkw-Kartell. Dann stehen ohne Weiteres Ansprüche von geschädigten Kunden im Raum. Diese müssten aber nachweisen, wie hoch der Schaden ist. Das heißt: Der Kunde muss sagen, welches Auto er zu welchem Preis gekauft hat und um wieviel es billiger gewesen wäre, hätte es keine Absprache gegeben. Dann könnte man die Differenz als Schadenersatzanspruch verlangen. Das Gute für die Kunden ist, dass ihre Ansprüche nicht verjähren, solange Bundeskartellamt oder Europäische Kommission den Fall untersuchen. Das heißt: Kunden können jetzt in aller Ruhe abwarten, wie sich die Sache entwickelt und welche Verstöße tatsächlich festgestellt werden.
Was muss ich als Kunde also aufbewahren, um später Ansprüche vorbringen zu können?
In allererster Linie den Kaufvertrag. Allerdings ist der Nachweis darüber, wie hoch der Kaufpreis ohne Absprache gewesen wäre, extrem schwierig.
Als Einzelner stünde man da auf verlorenem Posten. Gibt es die Möglichkeit, sich einer Sammelklage anzuschließen oder eine solche gegen die Hersteller anzustrengen?
Sammelklagen gibt es in Deutschland leider noch nicht. Zwar wurde darüber nachgedacht, eine Sammelklage oder zumindest Musterfeststellungsklage einzuführen. Aber man hat davon wieder Abstand genommen. In einer europäischen Regelung von 2014 hat man auf eine Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, Sammelklagen zuzulassen, leider verzichtet. Das heißt: Kunden müssten sich selbst zusammenschließen und eine Sammelklage künstlich herstellen, indem man sich den gleichen Anwalt nimmt und sich Kosten teilt. Das Fehlen einer Sammelklage ist ein echtes Handicap für Verbraucher. Ich finde, man sollte ernsthaft überlegen, ob Sammelklagen nicht ermöglicht werden.
Das ist ja ungerecht: In den USA erhalten geschädigte VW-Dieselkunden Geld und hier schauen sie in die Röhre ...
In der Tat. Es wird immer schwerer vermittelbar, dass wir in Deutschland diese Möglichkeiten für Verbraucher nicht haben. Man spricht hier von „Streuschäden“. Die Schäden für den einzelnen Verbraucher sind gering. Dieser wiederum will kein Prozesskostenrisiko eingehen und verzichtet auf eine Klage. Daher fehlt es den Unternehmen an Anreizen, Rechtsverstöße wie Kartellabsprachen zu vermeiden. Interview: Alexander Michel
Professor Christian Kers ting unterrichtet Bürger liches Recht sowie Kartell recht an der Universität Düsseldorf.