Eine Studie, die aufhorchen lässt
Erstmals wurde gezeigt, dass Herzinfarktpatienten von einer antientzündlichen Behandlung profitieren. Das bestätigt den Zusammenhang von Arteriosklerose und schwelenden Entzündungen, für die CRP im Blut ein Marker ist
Natürlich ist Professor Wolfgang Koenig erfreut, keine Frage. Schließlich hat der Kardiologe von der Uni Ulm fast 20 Jahre seines Wissenschaftler- und Medizinerlebens damit zugebracht, herauszufinden, welche Rolle die Entzündung bei der Entstehung einer Arteriosklerose und damit von Herzinfarkten oder Schlaganfällen spielt. Und jetzt also das: Erstmals konnte eine große Studie – die sogenannte CANTOS-Studie – zeigen, dass es Herzinfarkt-Patienten gibt, die tatsächlich von einer antientzündlichen Therapie profitieren. Beim Europäischen Kardiologenkongress Ende August in Barcelona sollen die Ergebnisse im Detail vorgestellt werden, so Koenig, der inzwischen auch am Deutschen Herzzentrum in München tätig ist.
Es geht um chronisch-latente Entzündungen im Körper – nicht um akute wie beispielsweise der Gelenke, die schmerzen, anschwellen und sich röten. Es geht um etwas, was im Körper schwelt, unter der Oberfläche sozusagen, um ein Entzündungsgeschehen, das äußerlich nicht in Erscheinung tritt. Als Hinweis auf solche Entzündungen gilt der Wert des sogenannten C-reaktiven Proteins im Blut, abgekürzt CRP, eine Substanz, die bei einer Inflammation von der Leber ausgeschüttet und später wieder abgebaut wird. Bei akuten Infektionen kann das CRP im Blut massiv ansteigen – von den normalerweise weniger als fünf Milligramm pro Liter (mg/l) auf Werte von (weit) über 100.
hat ein Herzinfarkt mit Entzündungen zu tun, wird sich mancher fragen, der von den bekannten Risikofaktoren wie hohes Cholesterin, Diabetes, Rauchen, Bluthochdruck oder Übergewicht weiß. Doch nicht alle Infarkte lassen sich allein durch diese Risikofaktoren erklären. Dass sich in verkalkten Herzkranzgefäßen auch Entzündungen abspielen, ist seit langem bekannt und in der Fachwelt längst allgemein akzeptiert. Wenn im Inneren einer Arterie Ablagerungen, sogenannte Plaques, aufbrechen mit der Folge, dass sich die betroffene Arterie verengt oder gar verstopft (Infarkt), sind auch Entzündungsprozesse mit im Spiel.
Angefangen hatte es mit MONICA, der großen Augsburger Studie der WHO Mitte der 1990er Jahre. Damals konnten Koenig und sein Team zeigen, dass gesunde Männer mit chronisch leicht erhöhten CRPSpiegeln im Blut ein erhöhtes Infarktrisiko hatten. CRP, mittels eines hochempfindlichen Tests bestimmt, erwies sich als Risikoindikator. „Wir waren mit MONICA damals mit die Ersten, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben“, sagt Koenig, „inzwischen gibt es eine breite Datenbasis dazu und die Zusammenhänge sind eigentlich klar.“
Weiter ging es dann mit der JUPITER-Studie 2006/2007: Menschen mit normalen Cholesterinspiegeln, aber leicht erhöhten CRPWerten wurden mit Statinen behandelt, also mit Cholesterinsenkern, die auch für ihr Potenzial in der Entzündungshemmung bekannt sind. Die Studie wurde vorzeitig abgebrochen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die mit einem Statin behandelten Patienten signifikant seltener einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt erlitten.
In den Jahren 2009/2010 entwickelte man dann ein Studienkonzept mit der Absicht, direkter in die Entzündungskaskade einzugreifen, berichtet Koenig. Interleukin 1-beta wurde als geeignetes Ziel für einen medikamentösen Angriff identifiziert, einerseits, weil es für das entzündliche Geschehen in den Adern eine Schlüsselrolle spielt, andererseits, weil seine Ausschaltung nicht die gesamte Immunabwehr des Patienten lahmlegt. Und so kam CANTOS: Über 10 000 Patienten nach überstandenem Infarkt mit trotz maximaler Statintherapie noch erhöhten CRP-Werten, wurden zusätzlich zu einer leitliniengerechten Therapie entweder mit einem Antikörper gegen Interleukin 1-beta oder mit Placebo über fünf Jahre hinweg behandelt.
„Die Studie ist positiv ausgegangen“, berichtet Koenig. Zum ersten Mal konnte gezeigt werden, dass die Bekämpfung der Entzündung tatsächlich von klinischem Nutzen ist. Denn die Patienten nach überstandenem Herzinfarkt erlitten signifiWas kant seltener einen Zweitinfarkt, wenn sie zusätzlich zur normalen Therapie mit dem Antikörper Canakinumab behandelt wurden, teilte die Herstellerfirma Novartis im Juni mit. Canakinumab ist ein humaner monoklonaler Antikörper, der Interleukin-1-beta hemmt, einen Botenstoff des Immunsystems, der das Entzündungsgeschehen bei Arteriosklerose wesentlich befeuert.
Die Ergebnisse deuten laut Koenig einen Paradigmenwechsel an: Statt Entzündungen weiter nur als „Begleitphänomen“der Arteriosklerose und ihrer Folgen zu betrachten, scheine es sinnvoll zu sein, „bei Hochrisikopatienten die Entzündung mit ins Kalkül zu ziehen“, erklärt er.
Man habe eine Subgruppe von Patienten mit erhöhten CRP-Werten identifiziert, deren Risiko für einen erneuten Infarkt zwei bis dreifach erhöht sei gegenüber solchen mit normalen CRP-Werten. Erstmals seien Daten da, die nahelegten, bei Patienten nach akutem Herzinfarkt in einer stabilen Situation das CRP zu bestimmen und, wenn der Wert über zwei mg/l liege, eine antientzündliche Therapie in Erwägung zu ziehen.
Wo sieht der Experte heute den Stellenwert des CRP bei bis dato gesunden Menschen, also solchen, die noch keinen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten haben? Bei Patienten in einem Zwischenbereich, also zwischen hohem und niedrigem Risiko für einen Herzinfarkt in den nächsten zehn Jahren, bei denen man nicht so recht wisse, wie man sie behandeln solle, könnte eine CRP-Bestimmung in Frage kommen, meint Koenig. Seien die Werte – ohne dass eine akute Entzündung vorliege – mäßig erhöht, lägen sie also zwischen zwei und zehn mg/l, sei das ein Hinweis, dass man aggressiver behandeln müsse. In den US-Leitlinien werde das auch bereits so empfohlen.
Die europäischen Fachgesellschaften halten sich mit solchen Empfehlungen noch zurück. Doch Koenig erwartet einen Umschwung im Denken: „Man kann die Bedeutung des CRP nicht mehr unter den Tisch kehren“, erklärt er. Freilich könne man neue und teure Medikamente wie den Antikörper Canakinumab nicht allen Patienten querbeet geben – vielmehr müsse man Subgruppen von Patienten definieren, die davon besonders profitieren könnten. „Das geht in Richtung personalisierte Medizin.“Man müsse Hochrisikogruppen herausfiltern, bei denen ein Zusatzeffekt zu erwarten sei. In Zeiten, in denen die Patienten immer besser behandelt seien, müsse jede neue Therapie ihre Nische finden, betont der Experte – auch aus Kostengründen.
Die Ergebnisse aus der CANTOS-Studie sprächen dafür, dass Entzündungen ursächlich den Arterioskleroseprozess aufrechterhalten, so Koenig. Nach der langen Zeit seiner Forschungstätigkeit dazu und vielen „mehr als kritischen Kommentaren“, denen er in dieser Zeit ausgesetzt gewesen sei, freut ihn das natürlich.
Der wissenschaftliche Nachweis, dass er richtig lag, sei damit jetzt erbracht.
„Jede neue Therapie muss ihre Nische finden.“Prof. Wolfgang Koenig